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Alt 20.07.2002, 19:31
Gast
 
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Standard Wer kann mir helfen?

Liebe B., liebe Nadine!

Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr so schnell geschrieben habt. Seid umarmt!
Ich glaube, dass ihr mich vielleicht nicht richtig verstanden habt. Mein Vater hat sich räumlich distanziert. Er ist weit weg in eine Klinik gegangen und ich bin sicher, dass er wusste, dass er nicht mehr zurückkommen würde, sondern dort sterben würde. Das wollte er übrigens auch. Ich glaube auch, dass er sich von uns so abgesetzt hatte (er wollte nicht, dass einer von uns bei ihm ist und auch die Anrufe von uns waren ihm, glaube ich, lästig), weil er sich von uns lösen wollte. Er hat gespürt, dass wir ihn noch nicht loslassen konnten. Und sicher fiel es auch ihm schwer, uns loszulassen, solange er noch um uns war oder unsere Stimmen gehört hat. Ich glaube, dass dies sein Grund war, uns zu verlassen. Er wollte in Ruhe sterben, weil er unter diesen Qualen nicht mehr weiterleben wollte.

Wenn Menschen sich in ihren letzten Lebenstagen von einem abwenden und nicht mehr sprechen, haben sie meiner Meinung nach vielleicht angefangen, sich vom Leben überhaupt abzuwenden. Sie müssen das tun, weil sie sonst nicht sterben können. Wer stirbt, hat eben nichts mehr mit dem Leben zu tun.

Mein Problem ist aber eher, dass ich wissen will, was konkret in ihm vorgegangen ist. Ich will auch wissen, wie er sich körperlich gefühlt hat, ob er Schmerzen hatte, wie stark seine Übelkeit war. Ich würde das alles gerne einmal nachfühlen können. Ich will wissen, ob er Angst hatte oder ob er das Leben so satt hatte, dass er sich wirklich auf seinen Tod freuen konnte. Ich will wissen, ob er überhaupt noch an irgendetwas Freude empfunden hat und ob er noch an uns gedacht hatte.

Ich weiß, dass er morgens an seinem Todestag noch gelacht hat. Drei Stunden bevor er gestorben ist, hat er noch mit meiner Mutter telefoniert.

Seid lieb gegrüßt und danke fürs Zuhören. Anja
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