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Alt 05.11.2008, 20:52
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Conny44 Conny44 ist offline
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Standard AW: BSDK mit Lebermetastasen u.Dialyse

Ach liebe Angelika,

es zerreißt mir das Herz, wenn ich lese, wie du leidest. Und ich kann so mit dir fühlen. Ich habe absolut keine Idee, wie man dir die Schuld nehmen kann. Denn im Prinzip weißt du ja, dass deinen Liebsten niemand mehr hätte retten können. Aber deine Gedanken drehen sich im Kreis.

Ich stand ja auch in der Patientenverfügung drin und hatte mal irgendwann geschrieben, dass man es niemals unterschätzen soll, wenn man daraus eine Entscheidung treffen muss. Der innerliche Konflikt ist kaum auszuhalten. Liebe Angelika, jeder wird dir sagen, dass du nicht für seinen Weg ins Regenbogenland verantwortlich bist, nur es kommt nicht an. Angenommen, du hättest so eine Entscheidung nicht treffen müssen, mit Sicherheit wäre es etwas anderes gewesen, was dir den Schlaf raubt. Und ich denke, dass das auch nicht unnormal ist, weil man es einfach nicht wahrhaben kann, dass genau das eingetreten ist, was so unvorstellbar war.

Die ganze Zeit hast du/ haben wir für unsere Lieben gekämpft, uns geopfert, uns selbst aufgegeben und bis zum Schluss gehofft, wir könnten unsere Männer irgendwie retten, um das Unausweichliche zu umgehen. Und nun plötzlich stehen wir da und müssen feststellen, dass wir es nicht verhindern konnten, mit keinem Mittel der Welt, nicht durch unsere Liebe, nicht durch unsere Fürsorge, einfach durch nichts. Das zu akzeptieren kann gar nicht von heute auf morgen gehen. Wenn ich ehrlich bin, ich habe es nach fast 6 Monaten immer noch nicht geschafft. Immer und immer wieder gehe ich gedanklich die letzten Stunden durch. Bei mir war es etwas andersherum. Mein Mann hat unendliche Schmerzen gehabt, hatte aber (als er noch reden konnte am Nachmittag) eine Schmerzpumpe abgelehnt, weil er nicht mit seinem Sterben gerechnet hatte. Die Ärzte standen Kopf, wussten nicht, wie sie die Schmerzen stillen sollten. Aber ich habe es durchgesetzt bis zum Schluss, dass er diese Pumpe nicht bekommt. Und ich musste zugucken, wie er leidet. Zwar habe ich in seinem Sinne gehandelt, aber war es wirklich richtig? Auch wusste ich, dass Jörg es als das Entwürdigendste ansah, wenn er mal gewindelt würde oder ein Gitter ans Bett bekäme. Genau das war aber der Fall. Ich hatte versucht, so lange es ging, es zu umgehen. Auch ein Gitter wurde in meiner Abwesenheit ans Bett gemacht, weil er gestürzt war. Und zu guterletzt legten sie ihm noch einen Blasenkatheter an. Er hatte "HILFE" vor Schmerzen geschrien (obwohl er abwesend war), und ich habe es zugelassen. 4 Stunden später ist er gestorben. Ich hatte mir bittere Vorwürfe gemacht, dass ich das alles nicht verhindert habe. Bin in Gedanken immer wieder alles durchgegangen und habe mich gefragt, was wäre anders geworden, hätte ich etwas anders gemacht. Auch heute lässt mich das nicht los.
Aber möglicherweise ist das nicht unnormal, weil unser Verstand so einen schweren Verlust nicht begreifen kann. Demzufolge versuchen wir offenbar, wenigstens in unseren Gedanken uns vorzustellen, dass es auch hätte anders ausgehen können, hätten wir nur anders gehandelt. Und bei dir wird es wohl noch einen Zacken schlimmer sein mit dieser Entscheidung. Du hast absolut nicht egoistisch gehandelt, sondern im vollsten Sinne deines Mannes.
Wir müssen irgendwie lernen, zu verstehen, dass wir alles gegeben haben, was in unserer Macht stand, aber dieses Krustentier stärker war.

Obwohl ich dir einige Monate im voraus bin (falls man das so ausdrücken darf), ist es nicht wirklich viel besser geworden, d.h. es braucht wirklich unendlich viel Zeit.

Über eins sei dir bitte im Klaren: Deine Liebe und Fürsorge ist durch nichts zu übertreffen gewesen.
Bist du in psychologischer Behandlung? Wäre das nicht auch eine Überlegung wert? Ich denke, du solltest dir Hilfe holen.

Ich habe jetzt unendlich viel geschrieben. Ich drück dich und wünsche dir, dass du wenigstens selbst auch ein kleines bisschen stolz auf dich sein kannst.:pf troest:
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Traurige Grüße von Conny (& Jörg - seit 15.5.08 nur noch in liebevollen Gedanken)

Ein Millionär und ein Bettler haben statistisch gesehen jeweils 1/2 Million!
Soviel zu Statistiken!

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mein geliebter Mann: BSDK 06.06.1959 - 15.05.2008
mein Pa: BSDK 17.01.1941 - 08.07.2007
meine Mutti: Akute Leukämie 18.11.1941 - 30.03.2011
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