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Alt 31.05.2002, 20:01
Gast
 
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Standard Sie will das ich gehe!!

Hallo zusammen,
ich bin's nochmal, die Brigitte.
Als Selbstbetroffene muss ich hier Li völlig zustimmen (hallo Li! Ich bin's, die Krasse!).

Michaela, Deine Zeilen tun mir ein bisschen weh, wenn Du von einer "Pflicht" eines Krebspatienten sprichst, dass er sich Angehörigen mitteilen MUSS, damit die ihn auch verstehen können. Ah ja?
Nö, er muss überhaupt nichts. Ein Krebspatient hat schon genügend um die Ohren, das Ganze überhaupt erst mal selbst zu verarbeiten. Glaube mir, es ist die Hölle, da durch zu gehen, und die Gefühle und Stimmungen wechseln da ab zwischen Angst, Wut, Unglaube und Fassungslosigkeit. Und manchmal auch Verdrängung. Und manchmal auch plötzliches Aufgeben. Oder absoluter Kampf! Gleich ALLES!
Und wenn dann gleichzeitig auch noch die Angehörigen, Verwandte und Freunde in Dich drängen, doch bitte SO zu sein, wie SIE es gerne hätten, ... auch wenn es nur darum geht, darüber zu SPRECHEN, ... dann ist das manchmal eher noch eine zusätzliche Qual.
Ich weiss, es ist schwierig, als Angehöriger damit umzugehen, man will ja helfen, beistehen und versuchen, alles richtig zu machen. Doch alles braucht seine Zeit. Ganz besonders für den Betroffenen. Li hat recht, er muss in erster Linie alleine damit klar kommen. Er erlebt so viele Zeiten! Eine Zeit des Akzeptierens, eine Zeit der Tränen, eine Zeit des Verleugnens, eine Zeit des Lachens und des Mutes. Es ist ein langer Prozess der hin und her schwankt, mal rauf und mal runter. Und der Betroffene KANN nicht immer darüber sprechen, wie er sich fühlt, welche Aengste er hat, auch wenn es die Angehörigen doch so gerne wissen wollen. Aber manchmal spricht er auch NUR darüber, wie ängstlich er ist und was er die ganze Zeit fühlt, ... was dann aber die Angehörigen vielleicht NICHT so gerne wissen wollen!

Natürlich ist jeder kranke Mensch verschieden, und jeder reagiert anders auf seine Krankheit. Ich als Selbstbetroffene durfte ziemlich lange von allen Seiten gutgemeinte Ratschläge anhören, ... und das sonderbare daran war immer, dass jeder etwas anderes dazu sagte! Und nicht nur Ratschläge betreffend den Heilmethoden, sondern auch: "Du musst halt lernen ..." oder "Du solltest halt schon lange mal ..." oder "Warum sagst Du nichts?" oder "Mach Dir doch keine Sorgen, das wird schon wieder!" oder "Warum machst Du nur so ein Theater, es ist doch alles gut jetzt!?" oder "Hörst Du mir überhaupt zu? Warum bist Du nur so stur?" - Na, zack-peng! Und wenn ich nicht ihrer Meinung war oder nicht tat, was SIE am besten fanden, ... waren nach ein paar Wochen die Hälfte meiner Leute verschwunden! Wegen mir?
Oder weil SIE nicht damit klar kamen?

Man kann von einem Krebspatienten wirklich nicht verlangen, sich so oder so zu verhalten. Er muss da selber durch und kann nur am Rande für andere da sein. Meistens eher gar nicht, weil er zu sehr mit sich selber beschäftigt ist. Er ist gerade damit konfrontiert, sich diesem Krebs gegenüber zu stellen, ihm den Kampf anzusagen oder ihn anzunehmen. Sein Leben wird in einer Rückschau betrachtet, unzählige Fragen drängen ihn zu einer Antwort, die er kaum finden wird, und seine eigene "Endlichkeit" des Lebens wird ihm ziemlich hart vor die Nase gestellt. Vielleicht mag er die Krankheit eher akzeptieren, wenn er schon ein älterer Mensch ist und manche Jahre hinter ihm liegen? Vielleicht ist das aber auch nur eine Phase und ein paar Wochen später packt ihn sogleich der Kampf zum Weiterleben wieder?

Ich weiss also aus Erfahrung, dass ein ZUVIEL an Fürsorge, Zuwendung und ... naja, Besserwisserei überhaupt nichts hilft. Und umgekehrt, wenn sich Angehörige und Freunde GANZ abwenden, ist das genau so schlimm. Es ist beides verletzend, weil man sich als Patient nicht verstanden und nicht ernst genommen fühlt.
Versucht daher die Mitte zu finden. Mit Eurer Anwesenheit. Mit Eurer Liebe. Mit Euren Gesprächen, aber auch Eurem Lachen. Fragt nicht solche Dinge wie: "Machst Du Dir Sorgen?" Wäre ja schön, wenn der Betroffene darauf antwortet: "Ich? Mir SORGEN machen? Warum sollte ich? Ist doch alles wunderbar!" Auf diese Frage könnt Ihr nur eine merkwürdige Antwort erhalten. Nämlich ein erzwungenes "Jein!". Das JA, weil es wahr ist, und das NEIN, weil es aus RUECKSICHT Euch gegenüber geschieht!
Muss er das? Rücksicht nehmen? - ER?

Lasst dem Patienten Zeit. Viel Zeit. Versucht, auf seine Stimmungen einzugehen. Fragt lieber solche Fragen wie: "Kann ich Dir irgendwie helfen?" oder "Willst Du darüber sprechen?". Oder sagt ihm ganz einfach, dass Ihr bereit seid darüber zu sprechen, wenn ER es möchte. Versucht ihm zuzuhören, ohne wenn und aber. Und wenn er nur schweigt, dann lasst ihn schweigen und haltet seine Hand.
Manchmal hilft die blosse Anwesenheit eines geliebten Menschen mehr, als seine ewigen Fragen und guten Ratschläge. Sucht nicht immer nach Gründen für ein Verhalten, welches nicht die Regel ist.

Mir hatte mal jemand gesagt, ich lebe seit dem Krebs in einer völlig anderen "Welt", die ein Nichtbetroffener gar nicht nachvollziehen kann.
Das ist in gewisser Weise richtig. Das bedeutet aber nicht, dass man mit Krebs anfängt, gaga zu werden, hm? - Im Gegenteil. Ein Krebsbetroffener lernt BEIDE Seiten kennen. Die "gesunde" und die "kranke". Man kann auch von IHM etwas lernen. Wetten?

Liebe Grüsse
von der "krassen" Brigitte
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