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Alt 13.05.2008, 12:15
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Bianca-Alexandra Bianca-Alexandra ist offline
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Registriert seit: 15.02.2008
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Standard AW: Betroffene und Angehörige im Umgang miteinander

Liebe Östel,
liebe Anna-Karin,

ich habe Dich schon viel gelesen und finde Deine Beiträge immer sehr interessant. Was Du ansprichst fällt mir auch an meiner Mutter das ein oder andere Mal auf. Meine Mom allerdings ist weniger in materiellen Dingen so - was da ist gibt sie schon gerne aus , sondern viel mehr im Emotionalen.

Meine Mutter hat im vorletzten Jahr Dezember (nach 7 Jahren Beziehung) standesamtlich ihren Partner geheiratet. Im darauf folgenden Sommer sollte eigentlich die kirchliche Trauung nachrücken. Ich glaube, Du hast ja den Lebenslauf gelesen, da folgte die Diagnose und andere Dinge rückten in den Vordergrund. Bei uns ist es eigentlich so, dass eine Heirat erst dann so richtig komplett ist, wenn auch die Kirche abgehalten wurde. Meine Mom hat damals meinen Vater geheiratet. Nach 16 Jahren Ehe ist er ja leider an Krebs verstorben.

Nun hat der Mann meiner Mutter wieder auf die kirchliche Heirat angesprochen. In einem Gespräch mit meiner Mutter habe ich dann sehr schlucken müssen.

Sie hat sich verschiedenes gefragt. Sie hat mich angeschaut, hatte nasse Augen und hat gesagt: Man heiratet aber doch nur einmal, es wäre nicht richtig, jetzt vor die Kirche zu treten. Ich weiß doch dass ich nicht mehr so lange leben werde. Er hätte es dann bestimmt schwer wenn er später vielleicht nochmal soweit ist dass er die richtige Frau findet. Sie machte mir den Eindruck, als wäre sie der Meinung, dass er sich die Kirche für eine andere Frau aufheben sollte, für eine Frau, die vielleicht länger lebt.

Liebe Östel, ich habe ihr darauf geantwortet dass die Kirche das Eheversprechen komplett macht. Dass sie so oder so an seiner Seite sein wird - auch falls er noch einmal diesen Schritt mit einer anderen Frau gehen sollte. Sie wird immer dabei sein. Genauso, wie mein Vater es heute bei ihr ist. Ich habe ihr gesagt, dass er meiner Meinung nach das schönste Eheversprechen an sie gibt, dass es geben kann. Er ist sich der schwierigen Zeit bewusst, er durchlebt sie jeden Tag. Seine Liebe ist so groß, dass er dennoch - und gerade jetzt - vor Gott bezeugen möchte, dass sie zusammen gehören. Und zu guter Letzt. Er möchte sie gerne heiraten. Es ist vermutlich auch für ihn die Geste, die es erst komplett macht.

Ich glaube, ich bin ein bißchen abgedriftet. Was ich Dir damit aus meiner "Angehörigen-Perspektive" sagen möchte: Es weiß ja niemand wie es laufen wird, wann der Zeitpunkt kommen wird an dem sich die Wege leider trennen werden. Es muss ja nicht sein, dass man wieder aller Vernunft handelt. Aber wenn es doch Wünsche gibt, die umsetzbar sind. Wenn es doch Wünsche sind, deren Erfüllung Auftrieb geben, warum sie dann nicht umsetzen?

Natürlich kann ich Deine Sorge um das Danach und wie Dein lieber das schaffen wird verstehen - und finde es sogar in gewissen Maße gut dass Du nicht denkst "Nach mir die Sinnflut". Aber ich finde es so schade wenn manch Betroffener in Erwartung dass es schlimmer werden wird, sich die Freude und die schönen Momente bis dahin versagt.

Ich finde, gerade jetzt: Wenn Dein Mann Dir doch etwas Gutes tun möchte - und auch wenn er sich dabei (langsichtig) vielleicht übernimmt, dann nimmst Du vielleicht auch ein bißchen ihm die Freude daran, Dir diesen Wunsch zu erfüllen. Letztlich wird er irgendwann in der Zukunft vieles ändern müssen. Du wirst ihn bestimmt nicht vor allem bewahren können.

Was die Wohnungssuche angeht habe ich noch ein paar Tipps, ich weiß nicht ob Du diese Adressen schon kennst. Teilweise (vor allem bei Annonza) können die Inserate hier kostenlos aufgegeben werden, das erhöht die Chance auf günstige Wohnungen ohne Makler.

www.annonza.de (Anzeigen aus regionalen, kostenlosen Blättchen)
www.kaleydo.de (Generalanzeiger)
www.immobilienscout24.de
www.immonet.de

Ich habe meiner Mama vor der ersten OP einen Nasenstecker mit Diamant geholt. Sie hat auch über mein Konto nachgedacht. Mir war das den Moment der Freude aber so sehr wert. Jedesmal wenn ich ihn funkeln sehe bin ich froh, dass ich ihn gekauft habe. Ich bin froh, dass ich ihr etwas gutes tun konnte. Das tut mir auch gut.

Ich hoffe, die Sicht aus meiner Perspektive hilft Dir vielleicht ein bißchen. Und ich hoffe, Du kannst noch unendlich viel und lange die Zeit im Jetzt genießen.
Liebe Östel, auch was Anna-Karin schreibt kenne ich von zuhause. Meine Mutter hat zum Beispiel sämtliche digitalen Fotos durchgesehen und jene gelöscht, die sie von sich nicht mag oder wo sie der Auffassung ist, dass die später niemand sehen sollte. Genauso hat sie alle Unterlagen sortiert, gemistet und mir einen Teil ihres Schmucks schon jetzt gegeben.

Natürlich verursacht das immer wieder Herzweh. Aber ich finde es gut. Es hilft ihr, damit umzugehen. Es hilft mir, sie zu verstehen. Ich finde gerade auch den Austausch darüber sehr gut. Manchesmal hat sie es falsch verstanden wenn ich auf Ihre Kommentare zum Thema Tod abwiegelnd reagiert habe. Als sie zum Beispiel sagte dass sie hofft, den frisch gepflanzten Flieder noch blühen zu sehen, habe ich gesagt Och Mamma, natürlich!

Und gar nicht gemerkt, dass sie eigentlich über das sprechen wollte was ihr Angst macht. Sie hat mir inzwischen gesagt, dass meine Versuche Optimismus auszustrahlen für sie manchmal eher wie ein Maulkorb für Ihre Gedanken sind.

Jetzt versuchen wir auch damit besser umzugehen. Nicht plattzubügeln sondern zu verstehen. Und sind dann genauso, wie wir uns zusammen diebisch freuen können, auch manchmal zusammen tief traurig. Ich kann es Dir nicht besser erklären. Für mich ist es wichtig, ihre Sorgen zu kennen. Wahrscheinlich eben, weil es immer so wahr. Ich wüsste sonst auch gar nicht, wie ich unterstützen kann wenn nicht gerade hier. Ganz liebe, nachdenkliche Grüße

Mr ist gerade ein Spruch wieder eingefallen den ich hier in dem Zusammenhang wiedergeben möchte.

Warum den Toten Blumen schenken
warum Ihnen denn im Leben nicht
Wenn lebend man mehr Blumen schenkte
so lebte länger manches Herz.

__________________
Liebe Grüße - Bibi
*********************
Dankbarkeit
ist die Erinnerung
des Herzens

Geändert von Bianca-Alexandra (13.05.2008 um 12:37 Uhr)
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