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Alt 28.03.2012, 15:17
Bruce Bruce ist offline
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Beitrag Seminom Stadium I - Meine Story

Liebes Forum

Ich bin im Februar dieses Jahres unglücklicherweise auch eurem Club beigetreten. Ich wurde seither operiert und habe eine Single Shot Therapie mit Carboplatin hinter mich gebracht und habe in den letzten Wochen viel Zeit in eurem Forum verbracht und viele Tagebücher und Ratschläge gelesen, die mir sehr geholfen haben.
Ich bin sehr dankbar für diese Hilfe und würde gerne auch einen Beitrag dazu leisten, so dass zukünftige Unglückliche vielleicht Rat und Hilfe in diesem Bericht finden.

Besuch beim Urologen
Ich bin 24 Jahre alt und habe in den Winterferien eine Verhärtung am linken Hoden verspürt. Da ich auf Grund einer Hydrozele auf dieser Seite bereits voroperiert bin und bereits vor 3 Jahren bei meiner Urologin war, dachte ich zuerst dass es sich hierbei wohl nur um Narbengewebe handelt. Ich habe dann in den nächsten Wochen jedoch immer wieder den verhärteten Knoten gespürt und wurde immer mehr beunruhigt und habe mich anschliessend doch bei meiner Urologin vorgestellt.
Anschliessend lief alles wie im Film ab und ich kam mit dem Tempo der Geschehnisse nicht mehr klar. Irgendwie brauchte ich dann noch eine Woche um alles einigermassen zu fassen.
Ultraschall bei der Urologin zeigte eindeutig einen Hodentumor. Anschliessend gleich Blutentnahme zur Bestimmung der Tumorfaktoren, CT und Thoraxröntgen sowie Planung der Operation zur Hodenentfernung zwei Tage später.

Glücklicherweise zeigten sich im CT des Bauchraums und Beckens keine vergrösserten Lymphknoten, im Röntgen des Brustkorbes keine Metastasen. Tumorfaktoren waren alle (B-HCG, Alpha Fötoprotein und LDH) negativ. Danach konnte ich schon einmal etwas durchatmen.

Operation und Ski fahren
Anschliessend ging es zur Operation, diese wurde in einer Teilnarkose (Spinalanästhesie) durchgeführt und ist soweit sehr gut gegangen, sie haben gleich während der Operation eine Prothese (ich hätte nicht gedacht dass ich Mal Silikon im Körper hätte) eingesetzt. Ich hatte nur kurz nach der Operation ziemliche Schmerzen, die wir dann aber mit dem Hard Stuff (Fentanyl) gut in den Griff bekamen. Ich ging bereits am darauffolgenden Tage nach Hause, da ich der Ansicht war ich könnte mich auch zu Hause kurieren. Paracetamol und Ibuprofen habe ich nur für etwa 5 Tage gebraucht.
Ich spürte die Schmerzen vor allem in den nachfolgenden drei Tagen, war aber sehr bald wieder fit und war bereits eine Woche später wieder Ski fahren, aus medizinischer Sicht wahrscheinlich nicht die beste Idee, aber man gönnt sich ja sonst nichts und ich habe Vorsicht walten lassen. Ist soweit auch alles gut gegangen, habe keine Schmerzen gehabt oder Blutergüsse / Schwellungen und innerhalb von 2-3 Wochen verspürte ich nichts mehr von der Operation, ausser dass eine Gefühlsstörung im Bereich der Leiste verbleibt.

Histologie
Der histologische Befund aus der Operation zeigte in der Biopsie des Gegenhodens (ist anscheinend Standard bei der Operation) normales Hodengewebe mit mehr oder weniger normaler Samenproduktion.
Im betroffenen Hoden zeigte sich ein reines Seminom im Stadium pT3 (geringe Invasion des Samenstrangs) mit Invasion von Lymph- und Blutgefässen, zudem Invasion des Rete Testis und mit einer Grösse von 7,5 cm. (Mich hat insbesondere die Grösse verwirrt, wahrscheinlich wucherte das Ding schon Monate). R0 Resektion im mikroskopisch Gesunden. Zudem zeigte sich mikroskopisch eine sehr hohe mitotische (Zellteilung) Aktivität, früher bezeichnete man diese Seminome als „anaplastische Seminome“ und dachte, diese seien mit einer schlechteren Prognose verbunden, dies konnte aber in grösseren Studien (zum Glück) wiederlegt werden und hat keine klinische Bedeutung mehr.

Mit den Befunden aus den Voruntersuchungen (CT, Röntgen, Blutentnahme) und dem histologischen Befund hatte ich somit ein Seminom Stadium I.

Therapie - Gedankenkreisen
Nun ging das Gedankenkreisen erst richtig los. Ich habe zum ersten Mal dieses Forum und dann so ziemlich jede Studie und alle Guidelines europäischer und amerikanischer Herkunft zu diesem Thema konsultiert und habe so bereits vor dem Gespräch mit meinem Onkologen einige Informationen gehabt. So wusste ich bereits, dass es die Optionen Bestrahlung, Chemotherapie mit Carboplatin und Wait-See Strategie gab. Ich hoffte mein Gespräch mit dem Onkologen würde mir Klarheit verschaffen, leider bin ich dabei zuerst keinen Schritt in meiner Entscheidung weiter gekommen. Ich hatte keine klare Idee wie es weiter gehen sollte und fand es besonders schwierig, selber entscheiden zu müssen. Ich weiss dabei gibt es keine falsche Entscheidung, aber insofern gibt es irgendwie auch keine richtige Entscheidungen. Ich musste um mich zu beruhigen mir immer wieder vor Augen halten, dass wenn ein Krebs, dann dieser und dass die Heilungschancen ja exzellent sind.

Therapie - Keine Bestrahlung
Die erste Option, welche ich dann allmählich ausschliessen konnte, war die Bestrahlung. Obwohl die Idee einer „lokalen“ Therapie für mich im ersten Moment durchaus interessant erschien, habe ich in den gelesen Studien zu viele Hinweise auf Langzeitschäden bei Bestrahlung gesehen. Insbesondere ist das Risiko für mögliche Zweittumoren, unabhängig von dem Seminon, sowie das Risiko für eine Herz-Gefäss-Erkrankung erhöht. So wurde mir auch vom Onkologen eher von dieser Option abgeraten

Therapie - Statistik
In Zahlen bzw. statistischen Angaben blieben mir dann folgende Möglichkeiten:
Da ich histologisch eine Rete testis Invasion hatte und der Tumor > 4cm war, ging man von einem Rezidivrisiko von 30% aus, sollte ich keine weiteren Schritte unternehmen und regelmässig zur Kontrolle gehen. Diese beiden Risikofaktoren (Rete testis Invasion und Tumorgrösse) sind zwar vorläufig nicht validiert, wurden aber in einer grossen Studie (632 Patienten) gezeigt und deshalb bereits in die Guidelines aufgenommen.

Sollte ich eine einmalige Carboplatintherapie machen würde sich gemäss Onkologen bzw. Guidelines das Rezidivrisiko auf 3% senken.

Therapie - Carbplatin
Ich hatte trotz diesen guten Zahlen grosse Angst vor einer Chemotherapie und habe lange zu der Wait-and-See Strategie tendiert und mir versucht einzureden, dass ich ja zu 70% gesund sei. (Was irgendwie trotzdem viel ist).
Nach langem Hin und Her und mehreren Stunden Internet und Rat mit Freunden und Familien habe ich mich dann trotzdem zur Chemotherapie mit Carboplatin entschieden. Dabei haben mir letztendlich folgende Überlegungen geholfen.
Das erste was mich dabei beruhigt hat ist, dass man nun seit über 20 Jahren mit Carboplatin Seminome behandelt und dabei noch in keiner Studie ein erhöhtes Langzeitrisiko für irgendwelche Erkrankungen zeigen konnte. Zudem überwiegte die 30:3 % Statistik, umso mehr ich darüber nachdachte. Und als letzten Punkt war für mich ausschlaggebend, dass eine allfällige 3xPEB Chemotherapie, sollte bei der Wait-and-See Strategie ein Rezidiv auftreten, doch deutlich „schwerer“ ist als der Carboplatin Single Shot und auch mit fraglichen Langzeitproblemen verbunden ist.

Ob diese Entscheidung die richtige war, finde ich schwierig zu beurteilen und diese Frage werde ich wohl auch langfristig nicht beantworten können, da es ja keine Kontrolle gibt. (Ich kann leider nicht wissen „was passiert wäre wenn“.) Ich denke am Schluss handelt es sich hierbei wirklich um eine individuelle Entscheidung, welche man mit sich selbst und aber auch mit seinem Umfeld und seinen beratenden Stellen treffen muss. Ich kann auch nicht sagen, was ich gemacht hätte bei einem kleineren Tumor ohne Rete Testis Invasion mit einem Rezidivrisiko von vielleicht 15 – 18 %, wahrscheinlich hätte ich dabei eher auf die Wait-And-See Strategie zugesteuert, obwohl ich im Endeffekt das nicht sicher sagen kann.

Samenbank
Vor der Chemotherapie ging ich noch zur Samenbank, jedoch nur als empfohlene Vorsichtsmassnahme. Der Termin auf der Samenbank war dann wie erwartet komisch und hatte fast etwas skurriles, aber man bringt auch das hinter sich.

Chemotherapie
Vor einer Woche hatte ich dann die Chemotherapie. Am Vortag musste ich für 24 Stunden meinen Urin sammeln, ich habe dann wohl aus Stress soviel getrunken, dass der Behälter kaum reichte. Glücklicherweise musste ich dann doch nicht zur PET Flasche greifen und konnte mit meinen fast 3 Litern Urin am nächsten Tag in die Klinik gehen.

Dort wurde zuerst eine Blutentnahme gemacht, so dass dann mit Hilfe von Urin und Blut die Clearence (Nierenfunktion) errechnet werden konnte und damit die Dosis des Carboplatins (AUC 7) berechnet werden konnte. Anschliessend ging es zum Gespräch und Untersuchung mit dem Onkologen und dann zur ambulanten Therapie.
Über einen venösen Zugang wurde zuerst etwa 200 ml NaCL angehängt, und dann in etwa 500ml 1050mg Carboplatin über eine Stunde. Anschliessend noch etwa 300ml NaCL zum Spülen.
Das alles ist eigentlich gut gegangen, nur das ich mich über eine Pflegefachfrau ziemlich aufgeregt habe, da ich mir in ihrer Gegenwart wie ein schwerstkranker Krebspatient vorkam. Vielleicht war das aber auch nur persönliche Überreaktion.
Als Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen bekam ich 125mg Solumedrol über die Vene, zudem eine Ampulle Zofran auch über die Vene. Als Tablette gabs dann Emend, am Chemotag (Tag 1) 125mg, dann an den beiden weiteren Tagen je 80mg. In der Reserve hatte ich noch Primperan, was ich aber nie gebraucht habe.

Chemotherapie - Tagebuch
Am 1. Chemotag hatte ich bis am Abend kaum Probleme, dann in der Nacht fing die Verstopfung an (anscheinend Nebenwirkung der Antiübelkeitsmittel) und darunter litt ich 4-5 Tage und konnte kaum etwas dagegen tun. Neben der Müdigkeit und Abgeschlagenheit war das für mich die schlimmste Nebenwirkung.

Am 2. Chemotag bemerkte ich langsam eine Müdigkeit, alles war etwas schwieriger und ich konnte mich nicht lange konzentrieren, insbesondere konnte ich keine Bildschirme sehen ohne dass mir Sturm wurde. Ich schlief am Nachmittag beinahe 3 Stunden, und in der Nacht fast jeweils 10 Stunden. Übelkeit verspürt ich während allen Tagen nur sehr wenig jeweils am Abend, und auch der Appetit war, soweit nicht durch die mühsame Verstopfung gehemmt, mehr oder weniger vorhanden.

Am 3. und 4. Chemotag war es dann mit der Müdigkeit am Schlimmsten, ich war abgeschlagen und konnte nicht länger als eine Stunde auf sein. Am Nachmittag schlief ich viel, und konnte nicht wirklich etwas unternehmen und auch kaum „Unterhaltung“ konsumieren, so dass ich wirklich nur herumlag. Gegen Abend des 4. Tages war es aber dann schon wieder etwas besser und ab

Tag 5 der Chemotherapie ging es langsam wieder bergauf. Ich hatte aber nie Momente die unerträglich waren, es war durchaus immer machbar und nie „schlimm“, einzig meine Stimmung war am 4. Tag schon deutlich im Keller, das hat sich aber nun auch schon wieder gebessert.

Nun, eine Woche später, bin ich wieder auf ungefähr 80%, schlafe jeweils in der Nacht 10 Stunden aber kann am Tag doch einigermassen leistungsfähig sein. Ich habe auch wieder etwas Sport gemacht und denke es hat mir gut getan. Ich glaube ich bin was Übelkeit und Müdigkeit betrifft über die schlimme Phase hinaus und darf wieder aktiv sein und mich gesund fühlen.

Allen die nicht wissen ob sie eine Chemotherapie mit Carboplatin durchführen wollen kann ich sagen, dass erstens die „Akutphase“ durchaus machbar ist, etwas mühsam, aber durchaus machbar und hoffe dass mein oben geschilderter Gedankengang dem Einen oder Anderen hilft.

Blutbildungsstörungen
Die Nebenwirkungen bezüglich der Blutbildung werden sich jedoch leider erst in den nächsten Tagen bis Wochen bemerkbar machen, so dass ich nun noch wöchentlich zur Blutentnahme muss. Heute war die erste, wobei meine Leukozyten (weissen Blutkörperchen) und Thrombozyten (Blutplättchen) etwas gesunken sind, jedoch durchaus noch im Normalbereich. Mal schauen wie es weiter geht.

Gerne wüsste ich was andere Teilnehmer hier im Forum für Erfahrung bezüglich Probleme mit der Blutbildung gemacht haben? Habt ihr Infekte gehabt in dieser Zeit? Habt ihr euch besonders geschont oder Menschenmengen gemieden, oder ganz normal verhalten? Musstet ihr G-CSF (Stimulation der Leukozyten) nehmen und welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?
Das sind die Probleme, die möglicherweise noch auf mich zukommen, ansonsten bin ich froh, dass ich wahrscheinlich das Schlimmste überstanden habe.


Nachkontrolle
Ich habe noch keinen Termin für weitere Nachkontrollen (neben den Blutentnahmen) und bin mir noch nicht ganz sicher wie das Schema aussehen wird. (Ich glaube, das ist eines der wenigsten untersuchten Themen der Onkologie, „wie soll man nachkontrollieren und was bringt es“). Im ersten Jahr werde ich jedoch sicher dreimonatlich zur Kontrolle gehen, wobei es immer Blutentnahmen und klinische Untersuchung geben wird und wahrscheinlich alle 6 Monate eine bildgebende Untersuchung. Ich habe mich dabei mit meinem Onkologen auf MRI Untersuchungen anstatt CT Bilder geeinigt, da die Strahlen im CT nicht unerheblich sind. Um den Thorax zu untersuchen würden wir ein konventionelles Röntgenbild anfertigen. (MRI anstatt CT wäre auch bei einer Wait-And-See Strategie der Fall gewesen, so dass ich mich dabei nicht „mehr CT Untersuchungen“ hätte unterziehen müssen, was für mich zuerst ein Argument für die Wait-And-See Strategie gewesen ist).

So nun ist dieser Bericht schon viel zu lang geworden und ich hoffe, dass ihr das trotzdem liest und es hier nützlich sein kann.

Herzlichen Dank für alle eure Beiträge die ich lesen durfte, ich wünsche euch allen eine schöne Frühlingszeit und freue mich über Antworten und Kommentare eurerseits.

Geändert von Bruce (28.03.2012 um 18:28 Uhr)
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