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Alt 18.08.2013, 13:54
J.F. J.F. ist offline
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Standard AW: Wie macht ihr das mit dem Arbeiten gehen...?

Hallo Kerejon,

ich werde die eigentliche Threadanfrage mal mehr oder weniger außenvorlassen und hoffe, dass Dirk das okay findet. Ich wüsste auch nicht wo ich ansonsten auf Dein Posting reagieren sollte.

WER hindert Dich daran sich mit der Sachlage zu beschäftigen? Das könnte in der Theorie nur Du, sonst keiner. Wenn Du es zulässt das dies von außen kommen kann, dann hast DU Dich dazu entschieden. Krass, ich weiß, aber überleg doch mal. Auch Arbeitengehen ist nicht nur ein Stück Normalität, die wir alle brauchen, sondern auch ein Stück Weglaufen. Für den einen ein komplettes Ausblenden, beim anderen einfach mal Durchschnaufen von den vielen Eindrücken und Erkenntnisse, die einen da überrennen. Und sogar in den Wahnsinn treiben könnten.

Ich kenne mich mit Lungenkrebs nicht aus, würde mich daher auf sehr dünnen Eis bewegen, wenn ich so machen würde als ob ich etwas wüsste. Und das ist so überhaupt nicht mein Ding. Ich mag Fakten, Wissen aus der medizinischen Ecke, kein blabla. Ich habe mich mit der Art von Melanomen, die man nur histologisch feststellen kann, nämlich den spitzoiden, beschäftigt. Denn meins ist so ein Mistding, das sogar Professoren gelinkt hat. Letztendlich hat der OA der Uniklinik recht behalten, weil ihn die Metastase unterstützt hat. Bei jeder Patientenveranstaltung zucke ich zusammen, wenn wiedermal ein Bild gezeigt wird, das ein harmloses Muttermal zeigt. Denn es sieht aus wie meins. Alle Ärzte, denen ich ein Bild des Tumors gezeigt habe, sagen einheitlich, nee, hätten wir nicht entnommen. Und da bin ich heute noch dem einen Chirurgen dankbar, dass er als einzigster die Ruhe behalten hat und menschlich blieb.

Nebenbei es gibt noch die ein oder andere Krebsart, darunter auch die Melanome, die chemo- und strahlenresistent sind. Und wenn ich auf der Webseite der Uniklinik Würzburg die vielen Seiten über deren Schwerpunkt Nebennierenkarzinom mir ansehe, dann wird unter adjuvante Therapie Mitotane aufgeführt. Und was adjuvant heißt, nun, das muss ich Dir nicht sagen . Und die Qualität der Therapien ist mittlerweile so gut, dass das alte Bild (Chemo = keine Haare, abgemagert bis zum Skelett etc) nicht mehr bei allen Therapien (und deren Patienten) gegeben ist.

Also nutze Deine Zeit. Nimm die Zeit des Arbeitens als Auszeit. Was verdammt schwer ist, wenn man selber die andere Seite gesehen hat. Und einen Teil Deiner Freizeit, um Dir klar zu werden wie Du mit der Krankheit umgehst und auch mit ihr lebst. Leben. Alles andere wird die Zeit zeigen. Warum soll es Dir nicht wie mir gehen? Dank seltener Art an einer scheinbar ungewöhnlichen Stelle im Gesicht und wahrscheinlich unterstützt durch eine AI habe ich mir im Laufe der Zeit (mittlerweile sieben Jahre) viele Ansagen, Sprüche und Hiobs seitens der Ärzte anhören dürfen. Manches hat sich im Laufe diverser Untersuchungen schon verflüchtigt, aber ein ungutes Gefühl blieb. Denn das auch ich ein Hochrisikopatient bin, nun, das hat man mir mehr als klar und deutlich gesagt und auch bewiesen, denn auch mein Melanom gilt als sehr aggressiv. Das es mich irgendwann kalt erwischt, nun auch damit habe ich mich auseinandersetzen müssen. Es ist also eine Frage der Zeit wie man sich mit seiner Krankheit arrangiert. Am Anfang ist dies schwer, da gibt es schon mal die Frage "lohnt sich die Anschaffung noch", aber je länger man in dieser Maschinerie der Nach- und Vorsorge ist desto eher bekommt man den "gesunden" Abstand. Von daher hoffe ich das auch Du diesen Abstand gewinnst und zu den, leider wenigen, Ärzten gehörst, die die menschliche Seite nicht links liegen lassen. Denn eins ist doch klar, die Ärzte können einen begleiten, bis zu einem bestimmten Punkt helfen, aber in den Schuhen der Patienten stecken sie nie. Was habe ich manch Arzt gewünscht, das er auch mal die Interferon-Therapie für ein paar Wochen machen muss, nur damit er weiß was er da lapidar als nicht möglich abtut, aber sehr wohl im Beipackzettel steht ....

Irgendwie habe ich während meines Schreibens gemerkt, dass dies doch sehr mit Arbeiten zu tun hat, nämlich mit Deiner Arbeit. Du stehst wahrscheinlich vor Deiner größten Herausforderung. Denn Du als Chirurg willst Menschen helfen. Hast aber selber eine Krankheit, die als unheilbar gilt. Stösst hier also an eine Grenze, die für den Menschen, für den Arzt nicht aufzuheben ist. Deswegen musst Du Dir die Zeit nehmen, um für Dich Klarheit zu finden. In Gesprächen mit Patienten, mit Kollegen, mit Freunden, mit allen, die ein offenes Ohr haben, so dass Du einen - Deinen - roten Faden finden kannst. Aber letztendlich kannst nur Du Dir helfen
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