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Alt 22.10.2002, 06:23
Gast
 
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Standard Kübler-Ross und ihr Sterbephasen Modell

Guten Morgen Lillebror,

die Zusammenfassung, auf die du verweist, ist sehr oberflächlich. Es ist eine von anderen erstellte extreme Verkürzung dessen, was Kübler-Ross geschrieben hat. Leider ist es das "Werk", auf das ihr euch bei unserer Diskussion stützt. Und das ist das Problem!
Man kann das Anliegen von Kübler-Ross nicht verstehen, wenn man nur diese Zusammenfassung kennt. Ich sprach von "lächerlich", weil sie nur einen klitzkleinen Ausschnitt dessen, was Kübler-Ross gemeint hat, wiedergibt. Das ist natürlich dann schon im Kern darauf angelegt, zu Missverständnissen zu führen.
Und ich finde es anmaßend, hier mitdiskutieren zu wollen und sich aufzuspielen, wenn man noch nicht einmal das Originalwerk kennt, über das hier diskutiert wird. Sorry, aber da kann ich echt nicht den Hut vor ziehen. Wenn man keine Ahnung hat, sollte man sich entweder zurückhalten oder aber der Sache sehr vorsichtig nähern, ohne den anderen bloßstellen zu wollen.

Ich habe den Originaltext zum Teil noch einmal gelesen. Ich kann beim besten Willen keine Stelle finden, an der Kübler-Ross dem Betroffenen seine Individualität abspricht oder ihn irgendwie bevormundet. Ich hatte dich so verstanden, dass es dir in deiner Kritik hauptsächlich darum ging. Aber das meint sie gar nicht. Es geht ihr darum, dass ein Mensch, der die Diagnose einer unheilbaren Krankheit erhält, unter Umständen (!) im ersten Moment mit Nichtwahrhabenwollen also Abwehr reagiert. Dies tut er, um sich zu schützen, ein psychischer Mechanismus, weil die Wucht der "Wahrheit" für den Moment so groß ist, dass sie nicht bewältigt werden kann. Angehörige können genau das gleiche durchmachen. Ich bin überzeugt davon, dass auch sie auf ihre Weise den gleichen Weg gehen und die gleichen Phasen durchmachen wie der Betroffene selbst. Auch für einen Angehörigen kann der Schock so groß sein, dass er erst einmal seine Hoffnung darauf richtet, dass z.B. die Diagnose nicht stimmt oder die Namen von Patienten verwechselt wurden oder dergleichen. Er verhält sich also in dem Moment keinesfalls objektiv und bevormundend, sondern ist genauso hilflos wie der Betroffene. Vielleicht aber kennt er die Diagnose auch schon länger oder hat schon lange die Befürchtung, dass der Betroffene sterben wird und geht realistischer an die Sache heran (sorry wegen dem Ausdruck). Dann ist es doch nur von Vorteil, wenn er weiß, dass ein Betroffener zunächst mit Abwehr auf eine schlimme Nachricht reagieren kann (!), denn dann weiß er, dass der Betroffene momentan noch nicht in der Lage ist, sich mit allem, was mit der Diagnose zusammenhängt (also auch dem Tod) auseinanderzusetzen. Die Nachricht muss erst verarbeitet werden. Dann ist es doch von Vorteil, wenn der Angehörige weiß, dass er jetzt nicht über den Tod sprechen sollte, weil der Betroffene dann erst recht mit Widerstand reagiert. Das ist vielleicht der Moment, an dem ihr neulich gesagt habt, dass ihr damals das Gefühl hattet, die Gespräche über das Sterben aufgedrängt zu bekommen, obwohl ihr (bzw. deine Freundin) euch gar nicht als Sterbende gefühlt habt.
Susanne hat recht, wenn sie sagt, dass man diese Sensibilität für das Empfinden eines Betroffenen auch ohne die Bücher der Kübler-Ross mitbringen kann. Und sicherlich gibt es noch darüber hinaus viele andere wertvolle Ansichten über den Umgang mit schwerkranken, vom Tode bedrohten Menschen (vielleicht passt euch dieser Ausdruck besser als "Sterbender"). Dennoch: Ich habe für mich viel von ihr gelernt.

Schönen Tag. Anja
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