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Alt 11.01.2006, 15:53
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Sandra! Sandra! ist offline
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Standard AW: Magenkrebs, Metastasen, Chemo, Blutübertragung und jetzt noch Bauchwasser!

Liebe Marion,

deine Gedanken, Ängste und Wünsche kann ich nur all zu gut verstehen und nachempfinden. Bei meinem Vater kam die Krankheit auch ganz plötzlich und verlief auch viel zu schnell in eine Richtung, in der man leider nicht mehr viel machen und die Krankheit nicht mehr stoppen konnte. Ich kenne sehr gut das Gefühl der Hilflosigkeit, des Machtlosseins und des Ausgeliefertseins gegenüber dieser Krankheit. Liebe Marion, leider gibt es nicht nur Gutes auf dieser Welt und ich weiß genau, wie wütend dich nun diese Situation macht. Als ich in deiner Situation war hatte ich auch diese vielen offenen Fragen auf die mir auch leider keiner eine Antwort geben konnte. Also handelte ich intuitiv. Ich machte alles das, was mein Gefühl mir gesagt hatte und das war gut so. Ich schaffte mir so viele Freiräume wie nur möglich und nahm fast meinen ganzen Jahresurlaub, damit ich so viel Zeit wie nur möglich mit meinem Vater verbringen konnte. Er sagte zwar sehr oft, dass ich meine „kostbare“ Zeit nicht bei ihm und wegen ihm verschwenden sollte, und es reichen würde, wenn ich ihn nur halb so oft besuchen würde, aber das konnte ich ihm schnell wieder ausreden. Ich sagte ihm immer, dass ich mich erst wieder auf etwas anderes konzentrieren könne, wenn ich mich selber von seinem „guten“ Gesundheitszustand überzeugt habe. Wirkliche Wünsche hatte er nicht außer einen! Da sein einziger Wunsch, nämlich den der Heilung, nicht erfüllt werden konnte, wollte er, dass wir nicht weinen. Er wollte, dass wir so weiterleben als wäre (fast) nichts passiert. Wir sollten mit ihm genauso wie vor der Krankheit umgehen. Wir haben die Krankheit natürlich nicht voll und ganz aus unserem Leben verdrängt und ignoriert; wir haben sehr wohl Gespräche über den Verlauf und der Aussichtschancen geführt, haben es aber mehr sachlich gesehen. Trotz der ganzen Komplikationen und schlechten Prognosen haben wir bis zum Schluss die Hoffnung nicht aufgegeben! Je mehr aber die Krankheit fortschritt merkte man meinem Vater an, wie sehr es ihn schmerzte, dass er uns (vor allem seine liebe Frau) bald verlassen muss. Und da spürte man ganz deutlich, dass er ähnliche Gefühle wie wir hatte. Er war genauso wütend über diese Scheiß-Krankheit und hatte ähnliche Fragen wie wir. Wir haben mit meinem Vater sehr oft alte Bilder und Filme angeschaut und über die guten alten Tage gelacht. Die Männer haben an einem „guten Tag“ einen Skat-Abend mit ihm gemacht. Und wenn er einen besonders guten Tag hatte, bin ich mit ihm im Auto ein bisschen spazieren gefahren. Manchmal habe ich auch einfach nur an seinem Bett gesessen während er schlief. Wenn er dann wach wurde und mich verwirrt ansah, habe ich ihm erzählt, dass ich nur aufgepasst habe, dass ihn keiner während seines Schlafes klaut. (Anmerkung: Er hatte nachts immer Angst zu schlafen, da er dachte, dass ihn dann jemand holen würde.)

Liebe Marion, ich kann dir leider nur einen Rat geben, nämlich den, dass du das zu tun hast was dein Gefühl dir sagt. Wenn du noch so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen und ihm noch viele Sachen sagen möchtest, dann mach es! Versuche in der Nähe deine Eltern Unterschlupf zu finden und nimm deine Tochter mit! Falls dein Vater das abblocken sollte, dann spreche mit ihm ganz offen und ehrlich über deine Ängste und Gefühle. Glaube mir, er wird dich nicht zurückstoßen!
Ich wünsche dir und deiner Familie ganz viel Kraft für die kommende schwere Zeit und vor allem wünsche ich euch noch eine lange schöne Zeit mit deinem Vater! Denkt immer positiv und gebt die Hoffnung nicht auf! Die Ärzte bekommen das Bauchwasser bestimmt wieder in den Griff!

Viele liebe Grüße
Sandra
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