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Alt 19.04.2005, 14:16
Gast
 
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Standard Wie soll ich mit meiner Mutter umgehen ?

Liebe Claudia, dein Beitrag hat mich sehr betroffen gemacht. Ich war vor kurzem in einer sehr ähnlichen Situation. Ich masse mir selten an, daß ich nachfühlen kann wie es jemand anderem geht, aber ich glaube in deinem Fall kann ich es ganz gut.

Als die Diagnose bei meinem Vater gestellt wurde hat meine Mutter meinem Vater versprochen, daß sie ihn pflegen wird, komme was da wolle. Sie wußte, daß er nur noch wenige Wochen, bestenfalls Monate, zu leben hatte. Meine Schwester und ich sind jede Woche für jeweils zwei Tage hingefahren (ca 200km) und haben alles, was im Haushalt/Garten etc zu tun war gemacht, um ihr den Rücken freizuhalten. Außer zunehmender Müdigkeit und Schwäche hatte mein Vater keine gravierenden Probleme und sieben Wochen lang ging alles relativ gut. Dann verschlechterte sich sein Zustand innerhalb von zwei Tagen deutlich und es war klar, daß sie keinen Tag mehr alleine klarkommt. Ich bin Knall auf Fall losgefahren, nicht ahnend, was da auf mich zukommen würde. Sobald ich da war hat meine Mutter sich komplett "verabschiedet". Sie hat buchstäblich überhaupt nichts mehr gemacht, sogar ihren Saft zum Abendessen musste ich ihr hinstellen ("Ich brauche noch was zu trinken"). Wenn sie überhaupt noch am Bett meines Vaters saß (vielleicht insgesamt eine Stunde am Tag, wenns hoch kommt) hat sie ihn vollgeheult. Sie hat sich hemmungslos ihrem Selbstmitleid hingegeben. Und jeden Tag mindestens einen Anlass gefunden, mich zur Minna zu machen, weil ich irgendwas nicht so gemacht habe, wie sie das bestimmt hat. Nach drei Tagen und drei Nächten, in denen ich ihn jede Stunde vom Bett aufs Stühlchen manövrieren musste (Prostataproblem) und kurz vor dem Zusammenbruch stand, kam gottseidank meine Schwester um den zweiten "Pflegefall" zu übernehmen. Ohne sie hätte ich den Alptraum der neun Tage, die es bis zu seinem Tod noch gedauert hat nicht durchgestanden. Er starb 12 Tage nach seinem 79sten Geburtstag. Das ist nun über zwei Wochen her. Meine Mutter hatte bis heute kein Wort der Anerkennung oder des Dankes für das, was wir getan haben. Zwei Stunden vor seiner Trauerfeier hat sie mir die vorerst letzte Szene gemacht. Noch nie habe jemand sie so schlecht behandelt wie ich, nicht mal ihre Mutter (die sie immer noch mit Inbrunst hasst, 30 Jahre nach ihrem Tod).

Hoffe du verzeihst mir diese Tirade (hab mich kurz gefasst, ist höchstens ein Zehntel von dem, was ich gerne schreiben würde). Mir persönlich hilft es immer von anderen in einer ähnlichen Situation zu hören, fühl mich dann nicht ganz so allein. Vielleicht geht es dir ja auch so...

Ich glaube nicht, daß ich dir einen konkreten Rat geben kann. Nur ein paar Gedanken zu deiner Situation:

Was deine Mutter betrifft: du kennst sie jetzt seit dreissig Jahren. Ist ihr Verhalten im Moment "typisch" für sie oder entspricht es überhaupt nicht ihrem sonstigen Wesen? Warum verhält sie sich so, steckt da etwas anderes dahinter, zB Angst? Du sagst, sie blockt jede Diskussion darüber ab. Kannst du vielleicht trotzdem eine Strategie finden, diese Blockade zu durchbrechen? Worauf würde sie reagieren (wenn überhaupt)?

Was dich und deinen Bruder betrifft: kümmert ihr euch zu viel um sie/übernehmt ihr zu viel Verantwortung? Was wäre, wenn ihr weit weg wohnen würdet? Kann einer von euch besser mit eurer Mutter umgehen als der andere und deswegen mehr Einfluß nehmen auf sie?

Was deinen Vater betrifft: du sagst er hat einen Hirntumor. Ist es realistisch davon auszugehen, daß deine Mutter, trotz ihres Berufs und Hilfe von aussen, ihn daheim versorgen kann? Wäre er, falls deine Mutter ihr Verhalten nicht ändert, woanders besser aufgehoben?


Ich wünsch dir ganz viel Kraft in dieser belastenden Situation. Du wirst sie brauchen. Und deinen Bruder und/oder gute Freunde, die dir zur Seite stehen. Und Zeit für dich. Nutze jede Gelegenheit, dir selbst was gutes zu tun.

Ein paar positive Gedanken zum Schluss: ich habe für mich und auch für meinen Vater alles so gemacht, daß es gut war. Hätte mir vorher jemand gesagt, was auf mich zukommen würde, hätte ich gesagt, daß ich das niemals durchstehen werde. Lieblinsspruch meiner Schwester: "Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben" (ich bin also quasi über mich hinaus gewachsen). Und meine Schwester und ich sind uns sehr viel näher als vorher.

Wenn du magst, hinterlass deine e-mail Adresse und ich mail dir meine Telefonnummer.

LG, Ingrid
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