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Alt 16.12.2006, 15:52
Leonie Marie Leonie Marie ist offline
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Frage Remission, und dann?

Hallo allerseits ,
ich habe das Forum gestern entdeckt und wäre froh gewesen, ich hätte schon vor 1,5 Jahren davon gewußt. Ich bin erst in der Reha mit Leidensgenossinen zusammengetroffen und es hätte mir bestimmt gut getan, mich während meiner Therapie nicht so alleine zu fühlen.

Ich bin von Krebs innerhalb von kürzester Zeit gleich doppelt betroffen. 2004 war ich ständig krank (sogar im Sommer) und kraftlos (auch im Urlaub), schob das aber auf Probleme im Job und mit meinem Freund.
Schlafprobleme kamen dann im Sommer/ Herbst hinzu, doch auch da lag die Erklärung nahe, daß mich mein Gewissen plagte, denn ich hatte eine Affäre mit einem Kollegen begonnen (die ich bis zum Ende vor meinem Freund verborgen hielt). Auch geschwitzt habe ich nachts öfters und Weihnachten plagte mich ein dreitägiger, furchtbarere Juckreiz, das kam mir aber nicht weiter komisch vor.
So richtig "los" ging es aber erst 2005: Ende Januar bekam mein Vater die Diagnose Lungenkrebs, Anfang Februar entdeckte ich einen vergrößerten Lymphknoten in der rechten Halsbeuge. Ich bekam, wegen der Krankheit meines Vaters, natürlich erst mal Panik, aber mein Hausartzt beruhigte mich, Erkältungszeitraum im Winter, die Fragen nach B-Symptomatik verneinte ich - schien mir alles nicht der Rede wert. Dann galt meine Sorge ausschließlich meinem Vater - alle zwei Wochen fuhr ich mehr als 500 km (eine Richtung), um noch so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen.
Mein Freund wollte mich nicht unterstützen, da er sich selber kraftlos fühlte, mit Schlafproblemen zu kämpfen hatte und mit meinen Eltern nie so richtig gut klar gekommen ist. Er war der Meinung, das sei schließlich meine Familie - daß er mich unterstützen könnte, dadurch, daß er mit mir die langen Autofahrten teilt, kam ihm nicht in den Sinn. Und ich war nicht in der Lage, diese Unterstützung einzufordern, weil ich mir selber nicht sicher war, ob die Beziehung noch einen Sinn machte (wir zweifelten schon lange, und dann hatte ich mich ja Hals über Kopf in meinen Kollegen verliebt - der leider auch nicht immer unterstützen konnte, da verheiratet und zwei kleine Kinder).

Naja, von April bis Juni ließ ich dann doch etwas genauer nachforschen: Blutuntersuchungen, Röntgen, Ultraschall, dann CT und schließlich sogar PET. Zwar beunruhigte mich die Aussage des Radiologen zunächst extrem (Er zeigte auf eine weiße Masse beim Herzen und sagte: Hier, sehen Sie das? Das ist nicht normal, darum mußten wir die Bilder nochmal machen - und ließ mich 15 Minuten allein mit meiner Angst! Doch dann sagte er, es könne nichts schlimmes sein und ich war überzeugt, die weiße Masse sei mein Herz). Im Mai brach ich nach einem 20km Lauf total zusammen und mußte ca 24h alles auskotzen - Dehydration meinte der Internist, bei dem ich am Tag drauf sowieso einen Termin wegen des "Gnubbels" hatte. Da der Lymphknoten am Hals m.E. nicht gewachsen war machte ich mir bis zum Tag vor der Biopsie keine Gedanken.

Im Juni wurde mir dann zu einer Biopsie geraten, nachdem das PET positiv ausgefallen war. Zu dem Zeitpunkt war ich aber schon bei meinem Vater - was eigentlich als 1-wöchiger Urlaub geplant war, mündete in 12-tägiger Sterbebegleitung Er hat sich gewünscht zu Hause zu sterben, und das konnten wir ihm ermöglichen, auch wenn es schmerzhaft war, zu sehen, wie er litt, wie er immer schwächer wurde, wie er am Ende seine Hände und Augen nicht mehr richtig kontrollieren konnte, weil die Metastasen ihm auf´s Hirn drückten.
Auch in den letzten Tagen wollte mein Freund nicht kommen, weil er selber so fertig war und mit seinen Schlafproblemen kämpfte - und ich konnte wieder nichts einfordern, nicht mal richtig sauer sein!

Als Papi starb war es Nacht und ich wachte in meinem Zimmer. Mein mittlerer Bruder kam mich holen und sagte: Papi hat aufgehört zu atmen! Doch als wir und auch mein ältester Bruder ins Wohnzimmer kamen, wo sein Pflegebett stand, und uns um sein Bett stellten, da tat er noch seinen letzten Atemzug - auch wenn meine Mutter meinte, daß sei nur die letzte Luft gewesen, die aus seinem Körper entweicht - ich hatte das Gefühl, er habe auf uns alle gewartet, wollte uns alle bei sich haben, als er ging. Und doch habe ich manchmal Schuldgefühle - meine Omi sagte, er habe sich gewünscht, wenn er stirbt halte ich ihm die Hand. Nur hat sie mir das erst nach seinem Tod gesagt - und da war es zu spät. Hätte ich es vorher gewußt, ich wäre in diesen letzten Stunden nicht von seiner Seite gewichen.

Als der Bestatter Papi abholte, bat meine Mutter darum, ihn nicht mit den Füßen zuerst aus dem Haus zu tragen und er erwiderte, daß sei ein alter Brauch, man sagt sonst würde bald der nächste in der Familie nachfolgen. Da dachte ich zum ersten Mal, daß mein 'Gnubbel" auch etwas Schlimmes sein könnte. Auf der Fahrt nach Hause (der OP Termin für die Biopsie stand schon für den nächsten Tag fest), dachte ich dann: Na und wenn es etwas Schlimmes ist? Dann bekämpfe ich es halt und werde wieder gesund!

Kurz nach dem Tod meines Vaters erhielt ich dann die eigene Diagnose: Morbus Hodgkin, 2A ohne RF (wobei ich nach meiner Therapie merkte, daß ich nicht mehr schwitzte, der Juckreiz für immer verschwandt - und denke, daß ich eigentlich 2B mit RF hatte ...). Der Internist wollte mir 8 Zyklen Chemo verabreichen, da bin ich für eine Zweitmeinung zum Glück zum Hematologen gegangen, der mir 4 verordnete, die dann später sogar noch auf 2 runtergefahren wurden.

Ich ließ mir noch Eierstocksgewebe entnehmen, bekam Hormonspritzen und bevor ich meine erste Chemo bekam verabschiedete sich mein Freund in den Herbsturlaub. Ich machte es ihm einfach, dadurch, daß meine Mutter kam, um mich ins Krankenhaus zu begleiten. Erst wollte er noch, daß ich den Therapiebeginn verschiebe, damit er dabei sein konnte, dann, daß ich Montags Chemo mache, damit er am Freitag wie immer zu seinen Musikstunden konnte.

Die Chemo´s vertrug ich einigermaßen, ich bekam sie Donnerstags oder Freitags, so konnte ich mich am Wochenende auskotzen und am Montag wieder arbeiten. Nach dem ersten Chemiecocktail ABVD bekam ich noch einen Port, weil ich von einem der Wirkstoffe unglaubliche Venenschmerzen bekam. Weil meine Blutwerte immer sehr stark absanken, bekam ich die Chemo nur alle 3 Wochen (statt alle zwei) und mußte auch noch Neupogen spritzen, saß mir unsägliche Knochenschmerzen verursachte ... Und von den Hormonen bekam ich Wechseljahrsbeschwerden erster Güte - und das mit 30!
Statt abzunehmen futterte ich (übrigens auch heute noch) meinen Frust, meine Angst, meine Trauer in mich hinein (ich wiege heute 10-15 kg mehr als vor der Diagnose).

Als mein Freund aus dem Herbsturlaub zurückkam, sagte er, er wolle sich trennen - nicht unbedingt jetzt, aber er wolle, daß klar sei, daß wir uns trennen. Schon mal so was bescheuertes gehört? Ich wollte es erst nicht akzeptieren, ich sollte zwei Monate später 500 km weit weg ziehen (neuer Job) und wollte uns die Chance geben, im Abstand in uns hineinzuhören, ob uns noch aneinander lag und unsere Beziehung noch eine Chance hatte. Andererseits stand unglaublich viel zwischen uns: sein (von mir so empfundener) Ego-Musik-Trip, meine Affäre mit dem Kollegen, seine mangelnde Unterstützung während der Krankheit meines Vaters, meine (von ihm so empfundene) mangelnde Unterstützung seiner Musik. Und nicht zuletzt die mangelnde gemeinsame Vision und Perspektive...

Gegen Ende der Chemo begann ich mit meinem neuen Job - und bis auf meinen Chef sollte niemand etwas wissen. Ich habe mich in die Firma gequält und war völlig überfordert. Richtig schlimm wurde es bei der Bestrahlung - am Ende mußte ich die Karten auf den Tisch legen und mich dauerhaft krankschreiben lassen. Die Bestrahlung habe ich als "am schlimmsten" erlebt: ich konnte nicht mehr essen, nicht mehr trinken, mußte mich trotzdem immer wieder übergeben. Zum Glück war mit 2005 auch die Therapie vorbei, am 30.12. hatte ich die letzte Sitzung.

Mit Freunden feierte ich in ein (hoffentlich) besseres 2006!

Und das war es auch: Reha im Februar (endlich ähnlich leidgeprüfte kennengelernt!), ab März Wiedereinstieg in den Job. Die Kontrollen sind immer negativ, alles hat sich normalisiert.

Und doch: nichts ist wie es war.
Nur langsam steigt die Trauer um meinen Vater, um meine Beziehung, um die Affäre (die leider eine Affäre bleiben mußte obwohl ich mir mehr gewünscht hätte, und die mit meinem Wegzug + neuem Job auch ein Ende fand), um mein Leben vor meiner Krankheit, um meine Gesundheit in mir hoch.

Ich nehme zwar psychologische Hilfe in Anspruch, um das letzte Jahr zu verdauen, und spüre, daß es wieder aufwärts geht.
Und doch: Oftmals weiß ich nicht, wie ich mein Leben gestalten soll - ich habe so nahe am Abgrund gestanden und schaffe es doch nicht die mir jetzt geschenkte Zeit für mich erfüllend zu gestalten.

Außerdem fühle ich mich nach wie vor oft müde und schlapp, habe jetzt auch noch Probleme mit dem Kreuz (Bandscheibenvorfall -> Ischias).

Ich habe zwar im Mai 2006 wieder den 20km Lauf gemacht - sozusagen als symbolischer Schlußpunkt eines ziemlich miesen Jahres. Dennoch bin ich nach 6h Arbeit meist immer noch ziemlich fertig und kann ich mich nur selten zum Sport oder anderen Aktivitäten aufraffen.

Kann mir jemand von Euch sagen, wie er / sie sein Leben nach der Remission gestaltet hat? Wie er / sie mit der Angst bei den Nachuntersuchungen umgeht? Wielange es gedauert hat, bis er / sie kräftemäßig daß Gefühl hatte: jetzt bin ich wieder auf dem Stand von früher?

Ich hoffe, mein Beitrag war nicht zu lang und Ihr seid noch nicht ?!

Ganz herzliche Grüße in die Runde und viel viel Kraft denjenigen, die die Therapie gerade durchstehen! Laßt Euch von meinem Bericht nicht entmutigen, denn trotz allem ist mir bewußt: Ich habe von den schlechten Losen eines der besseren gezogen, ch habe es geschafft, ich darf leben!

Und Ihr könnt das auch - wenn Ihr es wollt und Euch alles in allem nicht unterkriegen laßt!
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