Einzelnen Beitrag anzeigen
  #66  
Alt 13.08.2008, 19:57
teich1 teich1 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 25.06.2008
Beiträge: 160
Standard AW: Diagnose GLIOBLASTOM IV

Liebe Mirjam,

es ist alles so verdammt gemein und grausam mit anzusehen, was diese Krankheit aus unseren Lieben macht.

Was Du und Ela über eure Geschwister schreiben, kann ich ebenfalls bestätigen. Mein einziger Bruder -ein Jahr älter als ich- hat sich auch ziemlich distanziert. Er wohnt nicht weit weg, ist seit Februar mit dem Rücken krank geschrieben gewesen, aber wenn es darum ging, mal bei Papa zu sein, hatte er selten Zeit.
Kam er dann doch, hat er sich, als mein Papa bereits bettlägrig war nur im 2 Meter Abstand an den Tisch gesetzt, nie an das Bett, nie Papas Hand gehalten, nie geweint, überhaupt keine Reaktion.
An dem Tag, als mein Papa gestorben ist, hat meine Mama ihn um sechs Uhr abends angerufen und ihm gesagt, dass es an der Zeit wäre, zu kommen und er meinte, er wüßte nicht, ob er seine Kinder zu der Exfrau bringen könne, weil die dann sauer werden würde. Meine Mama hat ihm dann barsch erklärt, dass Papa nicht nur Zahnschmerzen hätte und er zusehen solle, wo er er die Kinder läßt und sofort kommen solle. Das hat er dann auch getan und war um sieben Uhr da.
Er wollte sich wieder weit weg hinsetzen, aber meine Mama hat ihn regelrecht gezwungen, sich an Papas Bett zu setzen und seine Hand zu halten mit der Begründung, dass ich schon seit zwei Tagen dort sitzen würde, und nun mal auf die Terrasse gehen sollte. Er sollte mich mal ablösen, was er dann auch getan hat.

Er war dann dabei, bis mein Papa um 22.00 Uhr gestorben ist, aber dann auch schnell nach 23.00 Uhr wieder verschwunden. Ebenso den Tag darauf nur kurz nachmittags zum Gespräch mit dem Bestatter, dann wieder weg und den nächsten Tag genauso wieder. Und als Krönung hat er dann zu mir gesagt:"Du bist ja bei Mama, ich bin dann mal weg"

Ich war echt sauer, denn ich wollte auch gerne wieder zu mir nach Hause und zu meinem Mann, aber natürlich nicht meine Mama alleine lassen.

Ich denke, mein Bruder wurde nicht damit fertig, was die Krankheit aus meinem Papa gemacht hat und er konnte es nicht verarbeiten und hatte wahrscheinlich Angst, dass er völlig ausflippt, wenn er sich vielleicht äußerlich ein paar Gefühle erlaubt hätte. Ich weiß es nicht, es gab so viele schlimme Momente, auch als Papa starb und mein Bruder hatte nicht einmal Tränen in den Augen. Meine Mama hat sogar selber ein Gebet für meinen Papa gesprochen, mit dem Inhalt: "Bitte schicke ihm einen Engel entgegen, der ihn abholt und begleitet" und selbst jetzt bei diesem Gedanken an die Situation steigen mir schon wieder Tränen in die Augen...
Aber er hat nie reagiert und auch nicht sonderlich Zeit investiert. Er meinte sogar manchmal noch, Papa muß raus und was sehen, damit er noch Lebensfreude bekommt, aber er ignorierte, dass Papa gar keine Kraft mehr hatte.

Ich finde es interessant, dass ihr alle einen Geschwisterteil habt, der so anders ist als ihr, also genauso wie bei uns. Einer kümmert sich, macht und tut und der andere lebt sein Leben weiter, nach dem Motto: "Ich kann ja nichts daran ändern, ob ich da bin oder nicht." Und soll ich Euch mal was sagen? Das schlimmste daran für mich war wirklich, dass meine Mama dennoch immer meinen Bruder gelobt hat. Zum Beispiel haben mein Mann und ich sechs Samstage lang an dem Fischteich meiner Eltern aufgeräumt, Hütte entrümpelt (Papa hatte vor seiner Krankheit alles mögliche angeschleppt -wie ein Messi), die Beete gemacht usw.. Mein Bruder hat einmal Rasen gemäht und als dann Besuch kam und sagte, wie toll dort alles aussehen würde, hat meine Mama gesagt:"Ja, Dirk hat ja auch Rasen gemäht." Soetwas kam dauernd und dass war nochmal genauso schwer für mich, dass sie soetwas sagte.

In dieser ganzen verzwickten Situation wollte ich auch keinen Ärger anfangen, weder mit meiner Mama noch mit meinem Bruder, aber es gibt viele Sachen, die bleiben einem einfach unverständlich. Im Nachhinein hat Mama es gemerkt und nun sind wir ein Herz und eine Seele und auch mein Bruder hat einiges kapiert und kümmert sich wirklich viel.

Wahrscheinlich braucht jeder in dieser Situation seinen persönlichen Anstoß um zu gegebener Zeit helfen zu können. Auch wenn die Erkenntnis vielleicht manchmal zu spät kommt...

Euch alles Liebe und Gute

Petra
Mit Zitat antworten