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Alt 25.05.2003, 23:30
Gast
 
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Standard Ich habe so eine Angst...

Liebe Julie,

Du "tickst" schon ganz richtig. Es ist nun mal Deine Mutter, davon hat man nur eine. Sie hat Dir das Leben geschenkt. Deshalb ist sie Dir auch immer noch wichtig, auch was sie von Dir denkt. Das sind ganz normale Gefühle, auch wenn Du weisst, dass sie Dir nicht gut tut. Herz und Verstand in Einklang zu bringen ist eben immer wieder sehr schwer. Wenn Du den Kontakt auf ein Minimum beschränken kannst, ist es doch schon mal ein Anfang.

Schlimmer und gefährlicher finde ich jetzt, welchen Raubbau Du mit Dir und Deinem Körper treibst. Bei allem Verständnis, dass Du vor der Krankheit und den Schmerzen fliehen willst. Aber wohin bringt Dich diese Flucht? Doch nur schneller von Deinem Sohn weg! Entschuldige, wenn ich das jetzt mal so krass ausdrücke, aber es sollte Dir bewusst werden, was Du tust. Mit Flucht ist die Krankheit keinesfalls zu heilen. Im Gegenteil, Du solltest den Angriff starten, Dir sagen: "Dir werd ich's zeigen, Du blöder Tumor - DICH kriege ich auch noch klein - und nicht DU MICH!" Versuche, die Angst in Zorn umzuwandeln. Lasse dem Tumor nicht kampflos freie Bahn. Wenn Du es schon nicht für Dich tun willst - dann kämpfe für Deinen Sohn, dem Du doch eine bessere Mutter sein willst, als es Deine Mutter für Dich war. GIB NICHT AUF !!!

Natürlich verstehe ich Deine Ängste, ich muss ja auch mit meinem Krebs leben. Und mit diesen Ängsten geht man auch schon mal durch die Hölle. Ich möchte aber dennoch versuchen, Dich zu motivieren, aus dieser Hölle wieder ein wenig rauszukommen. Ich hoffe, Du verstehst mich da jetzt richtig?!

Tja, meine Eltern waren immer für mich da, auch wenn ich mich mit meiner Ma ständig gezofft habe. Mein Pa ist 1998 an Krebs verstorben und er fehlt mir heute noch sehr. Danach hatten Ma und ich viel geredet und uns langsam wieder angenähert. Sie hatte mir z. B. "gebeichtet", dass sie ständig eifersüchtig auf mich (ihre Tochter!) war, weil ich mich so gut mit Pa verstanden hatte und wir so viel zusammen gemacht hatten. Das ging dann immer "von ihrer Zeit" mit Pa ab. Idiotisch, nicht wahr? Sie wusste das auch, kam aber aus ihrer Haut nicht raus.
Na ja, wie heisst es so schön "Nobody is perfect". Meine Mutter hat auf ihre Art schon Liebe für mich empfunden, konnte es nur nicht immer so zeigen. Immerhin hatten wir letztlich Gelegenheit uns auszusprechen, so dass wir uns im letzten Jahr in Frieden und auch liebevoll voneinander verabschieden konnten, als sie starb.

Mit meinen Freundinnen kann ich schon reden und auch mal weinen. Allerdings ist der Freundeskreis ziemlich geschrumpft, da nur wenige in der Lage waren, die vielen "Ereignisse" in den letzten fünf Jahren (Trennung vom Lebensgefährten, zeitgleich Tod meines Vaters, danach meine eigene Krebserkrankung, dann die lange schwere Krankheit und schliesslich Tod meiner Mutter) mitzutragen. Viele wussten nicht, wie sie damit umgehen sollen (bzw. mit mir) und haben sich einfach zurückgezogen (wie einfach!). Andere sind mit Sprüchen wie "das wird schon wieder" oder "das schaffst Du schon" und "lass Dich mal nicht so hängen" gekommen, die sicher auch gut gemeint waren, mir aber nicht im Mindesten geholfen haben. Nur wenige standen wirklich immer an meiner Seite und haben geholfen, sofern sie konnten. Dennoch musste ich das meiste alleine tragen. Auch die besten Freunde können nicht ständig präsent sein und "eine Schulter zum anlehnen" (in Form eines Partners) hatte ich nicht, auch keine Geschwister.

Liebe Julie, bitte achte mehr auf Dich und nimm für Deinen kleinen Jonas den Kampf auf....
Ich wünsche Dir dafür ganz viel Kraft, grüsse und umarme Dich ganz lieb
Gabi
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