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Alt 09.09.2006, 23:09
Benutzerbild von Claudia Junold
Claudia Junold Claudia Junold ist offline
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Standard Bestrahlung

Für alle, die sich nach mir mit Hirnmetas herumschlagen müssen. Ich hoffe, daß ich Euch etwas die Angst vor Gammaknife oder Novalis nehmen kann

Als ich die Nachricht bekam, daß ich eine Hirnmeta (1cm) habe, hatte ich echt Panik... Ich hab hier im Forum alles nach Berichten von Hirnbestrahlungen durchforstet und hab mir vorgenommen, einen Bericht zu schreiben, wenn ich alles gut hinter mir hätte. Und das will ich jetzt tun.
In der Uniklinik Erlangen wurde mir gesagt, daß es dort zwar kein Gammaknife, dafür aber "Novalis" http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/15462/ gäbe, hierbei handelt es sich um eine stereotaktische Bestrahlung. Das Verfahren soll Gammaknife nahezu identisch sein.

Am Tag der Bestrahlung wurde nochmal eine Röntgenaufnahme vom Schädel gemacht.
Dann wurde ich in einen Rollstuhl gesetzt und der Doc kam mit einem Gestell, das ungefähr so aussah, wie ein hypermoderner Adventskranz: ein flacher Metallring, an dem auf einer Seite in einem offenen Bereich verschiebbare Schrauben mit Kontermuttern hingen und mit vier Metallstreben mit Schrauben am oberen Ende, die von dem Ring wie Kerzen etwas nach innen geneigt nach oben ragten. In der Mitte dieses Ringes war ein loses Kreuz aus Gurten.
Dieses Teil wurde mir so aufgesetzt, daß das Gurtkreuz auf dem Kopf den Ring etwa auf Mundhöhe hielt. Dann wurden mir die vier Stellen, an denen die tragenden Schrauben angesetzt werden sollten, durch Injektionen mit Lokalanästhetikum betäubt und die Schrauben erst mal leicht angezogen, um zu sehen, wo sie sitzen würden. Die Gurte wurden noch ein paarmal nachgestellt, bis die Höhe der Schrauben stimmte. Mit jeder Höhenveränderung der Schrauben änderte sich ja die Stelle am Kopf und es wurde neu eingespritzt. Ich muß sagen, daß sich der Arzt wirklich bemühte, die Schmerzbelastung so gering wie möglich zu halten. Zwei Schrauben wurden rechts und links auf die Stirn gesetzt und zwei rechts und links auf den unteren Hinterkopfbereich. Einmal hatte sich die Haut auf der Stirn verschoben und war so auf Spannung, daß ich mein rechtes Auge nicht mehr schließen konnte. Das hab ich dann doch etwas bemängelt und das wurde auch gleich wieder korrigiert. Dann kam das wirklich Eklige: der Arzt holte den dicken Schraubenschlüssel und die Ratsche und zog die Schrauben nacheinander fest. Immer im Kreis rum wurde jede Schraube fester gezogen. Das tat nicht wirklich weh, war aber schon ein sehr unangenehmes, angstmachendes Gefühl. Es ging wirklich so weit, daß ich spürte, wie der Schädel zusammengedrückt und die Knochennähte zusammengequetscht wurden. Das Ganze war auch von sehr merkwürdigen Geräuschen im Kopf verbunden. Dazu kam, daß jede Berührung durch Werkzeug an den Metallteilen an meinem Kopf ein Echo wie am Königssee auslöste.... Schließlich hakte der Doc das Gurtkreuz aus und der Ring hing nun freischwebend bombenfest an den vier Schrauben, an meinem Kopf. Es ist klar, daß das nicht geht, wenn die Schrauben nur auf die Haut aufgesetzt werden, sondern die werden schon so fest angezogen, daß die Haut unter dem Druck nachgibt. Wie gesagt, das alles war zwar sehr unangenehm (ich glaube, die Psyche und die Angst spielen da wohl die größte Rolle), aber nicht wirklich schmerzhaft. Die Prozedur des Festschraubens dauerte in etwa eine halbe Stunde. Es wurde mir eine Schmerztablette angeboten, die ich zu diesem Zeitpunkt aber ablehnen konnte, weil die Schmerzen durchaus erträglich waren. Danach wurde ich mit dem Rollstuhl zum CT geschoben. Dort bekam ich eine "Box" (für mich sah das irgendwie aus, wie ein weißer Eimer mit Guckfenster oder der Helm eines Star Wars-Kriegers) über den Kopf gestülpt, das Teil wurde mit dem Gestell an meinem Kopf verschraubt, (was wieder liebliche Klänge in meinem Kopf hervorrief) und dann wurde mir geholfen, mich auf den Rücken auf den Röntgentisch zu legen. Das Gestell an meinem Kopf wurde mit dem Tisch verschraubt, das CT gefahren und ich wurde wieder losgemacht. Danach durfte ich zurück in den Rollstuhl, nachdem mir der "Eimer" wieder abgenommen worden war. Schließlich fuhr mich der Oberarzt zurück in mein Zimmer. Zum Glück hatte ich ein Einzelzimmer und konnte mich in der folgenden knapp zweistündigen Wartezeit so gut es ging ablenken. Mit meinem Handy (was natürlich verboten war! ) hab ich für Euch ein paar Fotos gemacht
Dieses Gestell am Kopf ist höllisch schwer, ich denke, daß es deutlich über 1 kg wiegt und nachdem ich sowieso eine Arthrose mit Bandscheibenvorwölbung in meiner Halswirbelsäule habe, wurde mir diese Zeit nicht gerade kurz. Zum Glück hatte ich ja reichlich Hörbücher dabei... Ich bekam ziemlich Durst, aber dieser Ring läuft so über das Gesicht, daß man zwar drunter durchfassen kann, aber kein Glas oder Flasche durchkriegt. Ich hab nach der Schwester geläutet und um einen Strohhalm gebeten, den ich dann auch gleich bekam. So ging das Trinken anstandslos.
In der Zwischenzeit berechneten Physiker die Strahlendosis (ich bekam 20 Gy) und die Einfallswinkel. Schließlich holte mich eine Schwester ab und rollte mich in den Strahlenbunker. Das Team dort war wirklich sehr lieb, auch wenn mich der Professor fragte, ob ich wohl passionierte Golferin wäre - er hat mein Sehbehindertenabzeichen mit dem Männchen mit dem Weißen Stock wohl tatsächlich mit einem Golfer verwechselt... Tja, darüber sollten wir nachdenken...
Dann bekam ich wieder diese "Box" aufgesetzt und sollte mich wieder auf eine Art Liege legen und so hochrutschen, daß mein Kopf mit dem Gestell an die Liege geschraubt werden könnte. Ab den Schulterblättern hängt man da mehr oder weniger freischwebend und nur auf die Schrauben im Schädel gestützt. Leider zeigte sich, daß diese Box beim CT und die Box im Strahlenbunker nicht die gleiche Schraubenlänge hatte. Also, Kommando zurück. Ich sollte mich wieder aufsetzen, die Box wurde wieder abgenommen und im Nebenraum hörte ich eifriges werkeln, weil die Schraube gekürzt werden mußte... Zu meiner Beruhigung hat das nicht wirklich beigetragen und ich verstand das auch nicht ganz! Ich war doch nicht der erste Patient mit diesem Ding am Schädel!!! Nach einiger Zeit wurde die Prozedur wiederholt: ich bekam wieder den "Eimer" übergestülpt, mußte mich mit Hilfe von zwei Leuten rechts und links von der Liege wieder auf den Rücken legen und konnte nun fest mit dieser Pritsche verschraubt werden. Das hat einige Zeit in Anspruch genommen und war schon ein sehr merkwürdiges Gefühl... Ich bekam irgendwie den Eindruck nicht los, in eine mittelalterliche Folterkammer zurückversetzt worden zu sein... Als das Klirren und Scheppern, das mit dem Verschrauben einherging aufhörte, wurde mittels Hydraulik oder E-Motor oder so, mein Kopf in die gewünschte Position gebracht. Das war auch wieder sehr komisch, denn mal wurden die Halswirbel in die Länge gezogen, mal schräg zur Seite gefahren, mal rauf, mal runter, mal vor, mal zurück. Endlich lag mein verschraubter Kopf wohl so, wie ihn die Strahlendocs haben wollten.
Anschließend wurde mir erklärt, daß sich während der Behandlung sowohl die Liege als auch das Bestrahlungsgerät bewegen würden. Nachdem ja logischerweise während der Bestrahlung niemand im Raum sein darf, wurde ich per Videokamera überwacht und es wurde mir eindringlich gesagt, daß ich nur die Hand heben bräuchte wenn irgendetwas wäre und die Behandlung dann sofort abgebrochen würde.
Dann ging es los. Ich sollte vier Bestrahlungsfelder bekommen. Es hat schon leicht an eine Geisterbahn erinnert, als ich mutter-, vater- und überhaupt seelenallein mit dem Kopf in ein Metallgehäuse geschraubt an diese Liege "gefesselt" dalag und die "Ratten das sinkende Schiff" in den "Kontrollraum" verließen. Durch die Bewegung der Liege und des Gerätes selbst entstanden einige komische Geräusche, die aber nicht laut oder unangenehm waren - bei weitem nicht mit einem MRT zu vergleichen! Dann war das erste Feld auch schon fertig, das Team kam wieder herein, fragte mich, ob alles ok sei, stellten irgendwas am Gerät herum und ging wieder "in Deckung". Dieses Spiel wiederholte sich dann noch dreimal. Es ist schon fast etwas unheimlich: man riecht nichts, sieht nichts, spürt nichts - und weiß doch, daß in diesem Augenblick im eigenen Gehirn etwas verschmort wird... Jedes Feld dauerte im ganzen eine knappe Minute, wovon ich aber nicht sagen kann, wie lange jeweils die tatsächliche Bestrahlungsdauer war. Dann wurde ich vom Tisch losgeschraubt und aufgesetzt. Danach begann der Professor den Vogelkäfig von meinem Kopf loszumachen. Das war auch wieder ein ganz blödes Gefühl und tat auch weh. Ich bat den Doc, ob er die Schrauben nicht langsamer losmachen könne, damit der Entlastungsschmerz nicht so abrupt einsetzen würde, aber er meinte bloß: "Ich hab schon so viele Ringe von Köpfen losgeschraubt..." Woraufhin ich ihm gesagt hab: "Das wird wohl sein, aber hatten SIE auch nur EINEN EINZIGEN davon selbst am Kopf????" Ich hab ihm dann geraten, sich doch mal so ein Ding auf den Kopf schrauben zu lassen, damit er das nachfühlen kann.. Ehrlich gesagt glaub ich nicht wirklich, daß er sich meinen Rat zu Herzen nimmt... Dann wurde ich wieder in den Rollstuhl verfrachtet und merkte, daß mir am Hals etwas warm herunter lief. Ich faßte hin und hatte eine blutige Hand. Als ich das der Schwester sagte, meinte die bloß: "Quatsch, Frau Junold, Sie bluten doch nicht, das "suppt" doch höchstens etwas!" Inzwischen lief mir das Blut über den Hals vorne runter und ich wischte es mit dem Taschentuch ab und zeigte es der Schwester. Da endlich kam sie in die Gänge, holte ein paar Mulltupfer und drückte sie fest auf die Stelle am linken Hinterkopf. Als es nach mehreren Minuten immer noch nicht aufgehört hatte, holte sie zwei Klebeverbände für die beiden Stellen auf der Stirn, die tatsächlich nur etwas "suppten" ( Zellflüssigkeit mit etwas Blut vermischt ), polsterte meinen Hinterkopf mit großen Tupfern und legte mir einen Kopfverband an. Dann wurden mir sämtliche "Folterwerkzeuge" in die Hand gedrückt, damit ich die für den nächsten mit auf Station nehmen könnte und wurde in mein Zimmer gefahren. Da tat es dann zum ersten mal wirklich weh und auch die Halswirbelsäule signalisierte mir deutlich, daß dieses Gewicht und die komische Haltung, die man durch das Gestell zwangsläufig einnimmt, nicht das war, was sie gerne hat. Eine Schwester brachte mir eine Schmerztablette. Ich hab dann meinen Mann angerufen und mich aus der Strahlenunterwelt zurückgemeldet, hab ein paar SMS geschrieben, viel getrunken (das wurde mir geraten) und mich dann gegen halb 8 ins Bett gelegt und geschlafen. Ich bin in der Nacht mehrmals aufgewacht und konnte aber sehr schnell wieder einschlafen. Ich hatte schon etwas Schmerzen, aber nicht wirklich schlimm. Am nächsten Morgen hab ich dann doch eine Tablette genommen. Auf der Stirn merkte ich unter dem Verband fast nichts, aber am linken Hinterkopf hatte ich schon eine ziemliche Beule und rechts eine leichte. Ich war ziemlich wacklig auf den Beinen und hab den ganzen Vormittag verschlafen. Am Tag drauf wurde ich entlassen. Ich sollte mich noch zwei Wochen schonen, den Kopf weder Hitze noch Kälte aussetzen und darauf achten, ob ich starke Kopfschmerzen mit Erbrechen bekommen würde. In diesem Fall sollte ich wieder kommen.
Daheim hab ich eigentlich erst richtig gemerkt, daß ich doch einen größeren Eingriff hinter mir hatte. Ich war schlapp, müde und es war mir ziemlich schwindlig. Brav wie ich bin (wer lacht da so laut???), hab ich mich dann aber auch öfters mal hingelegt, um meinem Körper einfach etwas Erholung zu gönnen. Heute, am 5. Tag nach der Bestrahlung, bin ich eigentlich wieder recht fit und es ging mir zu keinem Zeitpunkt wirklich schlecht. Auf der Stirn hatte ich von Anfang an nur zwei verschorfte Druckpunkte von den Schrauben, aber am Hinterkopf hab ich immer noch zwei kleine Beulen, die auch berührungs- und druckempfindlich sind.

Fazit aus dem Ganzen: Diese Entfernung meiner Hirnmeta wird aus eigenem Antrieb ganz sicher kein neues Hobby von mir, aber allen denen das noch bevorsteht kann ich nur ganz ehrlich sagen, daß es durchaus Schlimmeres gibt. Wirkliche, echte Schmerzen hatte ich nie, aber es ist schon eine unheimliche Prozedur, die ich nicht mehr brauche, wenn es sich vermeiden läßt... Hoffen wir, daß sie nie mehr nötig sein wird!
Ganz viel Glück und keine schlechteren Erfahrungen als ich sie gemacht habe, wünscht Euch herzlich

Claudia
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