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Alt 10.08.2003, 21:59
Gast
 
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Standard Erwachsene ehemalige krebskranke Kinder gesucht!

Hallo Monsterkind

Ja, ich kann das nachvollziehen, wenn man acht Jahre alt ist, gerne ein Dirndl tragen möchte und die Mama einem sagt, das passt doch jetzt nicht zu Dir, wenn sie einen in der Schule hänseln, einem aus dem Weg gehen, immer hintenrum tuscheln und Glatzkopf, Glatzkopf rufen, obwohl man eine Perücke trägt oder diese einem vom Kopf ziehen, im Bus oder auf offener Strasse.
Wie unsensibel doch Deine Tante gehandelt hat, ausgerechnet Dich auszuschliessen, wo Du doch sonst schon von so vielem Abstand halten musstest. Das ist furchtbar.
Hattest Du keine Perücke? Ich hatte eine, sie sah sogar ziemlich gut aus, sie war im Pagenschnitt gehalten, vielleicht etwas zu fein herausgeputzt für ein Bergkind wie mich, aber sicher besser als die Mobflusen anderer Kinder, die ich auf der Kinder-Krebsstation angetroffen habe. Sie war handgeknüpft und wahrscheinlich ziemlich teuer. Meine Patentante hatte sie von irgend einer begabten Friseuse erhalten.

Haben sie Dir Monsterkind nachgerufen? Oder ist das eine Bezeichnung von Dir.

Îch nehme ja an, dass die meisten Kinder, mit denen Du auf Station warst, verstorben sind. Ist mir gleich gegangen und es war furchtbar.
Erst habe ich das ja gar nicht verstanden, aber da war ein Junge, Urs hiess er, und der ist sowas wie mein Freund geworden. Wir wurden dann immer zusammen in ein Zimmer gelegt zur Chemo und seine Mama und meine Tante, die mich anstelle der Mama betreute, verstanden sich auch prima.
Ich merkte, dass er wohl das Gleiche hat wie ich, weil er meistens die gleichfarbige Flüssigkeit in der Flasche oder im Beutel hatte am Tropf wie ich. Und er hatte auch keine Haare.
Zur Kontrolle machten wir immer denselben Termin ab und gingen hinterher in Basel noch ein Eis essen. Dann, es sollte die dritte Kontrolle sein und ich freute mich schon so auf Urs, da kam er nicht. Ich stürmte so lange bei der Ärztin bis sie mir sagte, Urs ist heimgegangen. "Ja warum hat er denn nicht auf mich gewartet?" habe ich geschrien und dachte da doch noch, er ist einfach schon wieder nach Hause gegangen.
Da hat mir meine Tante erklärt, dass Urs zum lieben Gott heimgegangen ist und daraufhin sprachen wir zum ersten Mal über das Thema Sterben. Ich hatte dann auch Angst, dass ich sterben könnte (hatte ich vorher gar nicht) und da hat sie mir das so erklärt: (Schau, Urs hat eine Wespe gestochen und Dich eine Biene. Bei beiden tut das schrecklich weh, bei beiden schwillt der Arm an, bei beiden hilft es zu kühlen, bei beiden dauert es ein paar Tage bis es nicht mehr weh tut. Und trotzdem hat Urs eine Wespe gestochen und Dich eine Biene) Damit hat sie mir erklärt, dass es von aussen so aussehen kann, als hätte man genau das Gleiche und irgendwo ist doch ein Unterschied. Sie hat nichts von Tumor oder Krebs erzählt (ich glaube auch nicht, dass das mir in dieser Situation geholfen hätte), sondern nur vom bösen Weh, wie immer. Aber sie hat mir die Angst genommen auch zu sterben. Die Trauer aber hielt sich lange.
Ich weiss nur von einem Bub, er war Spanier, der es geschafft hat und heute noch gesund ist. Er hatte Leukämie, ALL.

Wenn Du aber z.B. bei der Amerikanischen Candlelighters Penpal-Seite schaust, wie alt die Leute sind und in welchem Alter sie Krebs gehabt haben, da siehst Du, dass es doch noch andere gibt, die sogar noch vor den 70-ern gerettet worden sind. Mir hat das viel Hoffnung gegeben,als ich da vor Jahren mal hineingeschaut habe. Ich sah, man kann es schaffen. Auch wenn man meist nur von denen hört und liest, die gestorben sind, es gibt Survivors.
Man kann die Krankheit überstehen und die viel belastendere Therapie.
Da bei mir ein Gendefekt für die Krebserkrankungen verantwortlich ist, bin ich nach wie vor nicht geheilt. Aber ich lebe so gerne und bin einfach dankbar, dass ich noch da bin. Ich persönlich denke, dass ich ein Glückskind bin.
Wenn Du dich heute noch Monsterkind nennst, ist das ein Gefühl in Dir oder ein Synonym für die Gefühle, die Du als Kind hattest?

Du hast viel mitgemacht, ob es letztlich Krebs war oder nicht, spielt insofern keine Rolle, denn Du hast die Behandlung in vollem Ausmass über Dich ergehen lassen müssen. Sicher warst Du manchmal müde, frustriert und traurig und hast Dir gewünscht, Du könntest den ganzen Mist zum Mond schiessen. Aber Du warst stark und Du hast es geschafft. Du hast enorm gekämpft. Du musst Dich für gar nichts schämen.
Du kannst stolz auf Dich sein!

Ich grüsse Dich ganz herzlich bis zum nächsten Mal

Ladina
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