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Alt 21.10.2006, 00:44
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marjana marjana ist offline
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Standard AW: Aufgeben gibts nicht . . . . . . Oder ?

Liebe Martina,
Ich war tief betroffen, als ich Deine Geschichte gelesen habe, obwohl ich ja auch selber viel in dieser Richtung erlebt habe, aber Deine Geschichte hat mich sehr aufgewühlt. Ich antworte erst jetzt, weil ich in Urlaub war, als Du geschrieben hast und danach gings mir erst mal schlecht.

Es stellen sich mir 3 Fragen:

1. Sind wir selber schuld an unserer Krankheit ?
2. Wie unfehlbar sind Ärzte ? Bzw. wie schützen wir uns vor ihren
Fehlern und ihrer Ignoranz ?
3. Welche Schmerzmittel sind wann angebracht ? Warum geben uns
die Ärzte so oft nicht das, was wir brauchen ?

Zur Schuldfrage
Oh, das hätten wohl manche gerne, Ärzte, Politiker, vor allem die Gesundheitspolitiker, die Industriellen, die unsere Umwelt verschmutzen, aber auch oft Freunde, gar nahe Familienangehörige … dann ist man selbst aus der Verantwortung. Und da ist ja auch noch unsere Religion, die gerne Krankheiten als Strafe Gottes darstellt.

Nein, nein und noch mal nein ! Wir sind nicht schuld an unserer Krankheit. Selbst diejenigen, die viel geraucht oder Alkohol getrunken haben, sind es meistens nicht oder zumindest nicht ausschließlich. Es gibt so unendlich viele mögliche Faktoren für die Entstehung eines Krebses !

Zuallererst ist da mal die persönliche Praedisposition. Wir alle haben diese Zellen in uns, die zu einem Krebs mutieren können und doch kriegt nicht jeder Krebs, selbst wenn er raucht oder säuft. Es braucht schon das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, um einen Krebs entstehen zu lassen. Der Körper ist normalerweise so organisiert, daß er Gefahren selbst abwendet, aber das Immunsystem kann empfindlich gestört oder gar völlig außer Kraft gesetzt sein durch viele Einflüsse: Medikamente, Streß, Traumata, Fehlfunktionen einzelner Organe, unzureichende Ernährung und und und natürlich auch durch Tabak oder Alkohol.

Da gibt es die ganzen „normalen“ Umweltverschmutzungen – in der Luft, in der Nahrung, in den Stoffen, mit denen wir in Berührung kommen. Das alles aufzuzählen würde an dieser Stelle zu weit gehen, aber vielleicht mal einige hervorstechende, denen ich ausgesetzt war:
• Ich habe 7 Jahre in meiner Kindheit in einem Braunkohleabbaugebiet gelebt. Die Luft war so verpestet, daß meine Mutter die Wäsche immer schnellstens wieder reinholen mußte nach dem Trocknen, sonst hätte sie sie grad erneut waschen müssen.
• Ich habe über 20 Jahre im Ruhrgebiet gelebt … es erübrigt sich wohl über die dortige Belastung der Luft zu reden und auch infolge der Luft aller Wiesen etc. in denen man Erholung suchte.
• Ich habe in meinem Berufsleben 5 Jahre lang mit giftigen Farben Kostüme mit einer Spritzpistole gestaltet. Damals hatten wir noch keine Ahnung. Erst eine schwere Vergiftung veranlasste meinen Arbeitgeber endlich eine Gasmaske anzuschaffen.
• Ich habe als Künstlerin über viele Jahre Siebdrucke erstellt. Da hat man den Riecher direkt über den giftigen Dämpfen der Farben. Erst in meiner Schwangerschaft kam ich auf die Idee weniger giftige Farben zu suchen und meine Kunst darauf umzustellen, weil ich inzwischen etwas gelernt hatte und weil ich mein ungeborenes Kind schützen wollte.
• Als Künstlerin habe ich auch Radierungen gemacht. Dabei verwendet man hochgradig krebserregenden Asphaltstaub. Das hat uns keiner in der Hochschule gesagt. Sie wussten es wohl selber nicht. Erst als ich mit meinem ersten Mann zusammen war, der Gefahrschutzbeauftragter bei Krupp war, kam ich an die sogenannte MAK-Wertliste, die nicht allgemein zugänglich ist.
• Ich habe etwa 30 Jahre ein hochgradig stressiges Leben gehabt, durchsetzt mit etlichen nachhaltigen Traumata.

Das reicht erst mal. Es wären noch weit mehr Faktoren in meinem persönlichen Leben zu nennen. … daß ich obendrein noch geraucht habe und auch Alkohol getrunken habe, soll nun der auslösende Faktor gewesen sein ? Gar der einzige ? Andere werden mit anderen krebsauslösenden Faktoren zusammengekommen sein oder aus anderen Gründen hat ihr Immunsystem nicht funktioniert. Meine beiden Krebse sind übrigens jeweils in Phasen hochgradiger psychischer Belastung entstanden.

Kein Arzt hat mich jemals nach den anderen Faktoren gefragt ! Und wenn ich sie ungefragt erwähnt habe, so tauchen sie dennoch nicht in meiner Anamnese auf !

So macht man Statistik !

Wenn ich alle Krebspatienten nach etwas anderem frage, sagen wir mal „wie viel Eier sie gegessen haben“ ganz bestimmt finde ich dann auch eine Korrelation zwischen dem Eierkonsum und Krebs. Nun, ich will nicht abstreiten, daß Rauchen und Alkohol schädlich ist, aber ich zweifle massiv diese Statistiken an, nachdem ich erlebt habe, wie wenig es je einen Arzt gekümmert hat, welchen anderen Faktoren ich oder andere Krebspatienten ausgesetzt waren.

In Tierversuchen hat man sogar nachgewiesen, daß schädliche Einflüsse auf die Mutter beim Kind später Krebs auslösen können ! Vielleicht die Ursache, warum immer mehr junge Menschen vom Krebs betroffen sind ?

Wer ist also schuld an meiner Krankheit, am Krebs im Allgemeinen ?
Ich denke K E I N E R ist im engeren Sinne schuldig. Sicher der Industrie und ihren Lobbyisten ist so manches vorzuwerfen, aber wollen wir nicht alle alles möglichst billig kaufen ? Wie viele schreien auf, wenn Kraftwerke geschlossen werden sollen, weil sie die Umwelt verpesten – Arbeitsplätze um j e d e n Preis ?

Nun, es ist bequemer dem Kranken selbst die Schuld zu geben. Und sich gar noch als Richter und Vollstrecker aufzuspielen. Als bei meinem Mann endlich und viel zu spät der Krebs diagnostiziert wurde - deutliche Symptome wurden von der Hausärztin 2 lange Jahre nicht ernst genommen und nicht entsprechend untersucht – fragte ich die Hausärztin, warum denn nicht schnellstens mit einer Therapie begonnen würde, da sagte sie mir doch glatt „Madame, Ihr Mann hat sein Leben lang gesoffen und geraucht, jetzt sollen wir Ärzte schnell, schnell machen ?“

Nota bene: es gibt offensichtlich unter dem medizinischen Personal eine Großzahl, die Patienten als notorische Lügner ansehen. Als meine Mutter vor vielen Jahren offene Beine hatte, da wollten ihr die Ärzte nicht glauben, daß sie außer einer einzigen Zigarette als Jugendliche nie geraucht hatte. Offene Beine werden Raucherbeine genannt, also kamen die Ärzte nicht mal auf das Nächstliegende, daß dies eine Folge ihres Diabetes war, weswegen sie im Krankenhaus war !


Zu den Ärzten

Ganz sicher haben Fehler von Ärzten dazu beigetragen, daß es bei mir so schlimm geworden ist. Schuld an meinem Krebs sind sie natürlich nicht. Ich möchte hier nicht alle Behandlungsfehler aufzählen. Nur das Wichtigste. Ich war mit meinem Rezidiv, das deutlich sichtbar an der Stelle entstanden war, wo der erste Krebs war, schon ein Jahr vor der Entdeckung beim Arzt. „Harmlose Verknorpelung an der Narbe“. Das hat er auch noch gesagt, als es schon fast so groß war wie eine Pflaume. Vielleicht habe ich den Arzt nicht früher gewechselt, nicht nur weil er meinen 1. Krebs so frühzeitig entdeckt hat, ich ihm also vertraut habe, sondern weil das die Endphase der Krankheit meines Mannes und anschließend seines langsamen Sterbens nach dem Absetzen aller Therapien war.
Eine sofortige Konsultation eines anderen Arztes hätte mir wahrscheinlich die Metastasen erspart und somit eine größere Heilungschance gegeben.

Aber es sind nicht nur die Ärzte selbst, meine Metastasen sind erst durch einen PET-Scanner erkannt worden, weil der Radiologe erst eine Computertomographie und als diese noch nicht klar genug war diese sauteure Untersuchung angeordnet hat mit den Worten, „Das was ich auf den Röntgenaufnahmen sehe, würde ich normalerweise Ihrer chronischen Bronchitis zuschreiben, aber in dem Kontexte, daß Sie schon einmal Krebs hatten …“ Wieviele Ärzte werden das unter dem Druck der Krankenkassen in Deutschland wagen ?

Ich bin dabei eine Schadensersatzklage gegen den Arzt zu führen, der mein Rezidiv nicht ernst genommen hat. Zum Glück gibt es Kanzleien, die darauf spezialisiert sind. Sicher macht jeder Fehler, auch Ärzte und dafür gibt es Versicherungen ! Vielleicht würde ich mir das ersparen, aber mir gehen bei meiner lumpigen Witwen-Rente die Reserven langsam aus, die für mein Alter vorgesehen waren.

Morphine ja oder nein und wie viel ?

Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn Ärzte einem Patienten die notwendigen Medikamente verweigern. Sicherlich, sie haben (meist) den größeren Überblick über mögliche schädliche Nebenwirkungen, aber Morphine zum Beispiel schädigen nicht in dem Maße die Leber und Nieren wie alle übrigen Schmerzmittel ! Ist es also verantwortbar, einer schwerkranken Person, die noch zusätzlich Chemotherapie bekommt, was sehr die Nieren und Leber beeinträchtigt, weiterhin andere Schmerzmittel zu geben ? Das Argument der Abhängigkeit ? Es ist lächerlich. Wer diese Krankheit besiegt, wird danach auch den Entzug überstehen ! Meinen Vater mussten sie im Krieg wegen seiner schweren Beinverletzung mit Morphium behandeln. Er hat den nachfolgenden Entzug gut überstanden.
Als es meinem Mann mit seinem Krebs immer schlechter ging und die Schmerzen immer unerträglicher wurden, haben wir einen Trick benutzt, um immer ausreichend Morphium zu haben, wenn die Schmerzen eine Dosiserhöhung erforderten, bis die zögerlichen Ärzte endlich die höhere Dosis verschrieben. Den Rest habe ich nach seinem Tod an die Ärzte ohne Grenzen gegeben.
Wie viel Morphin notwendig ist, weiß letztlich nur derjenige, der die Schmerzen hat. Schmerzen sind halt nicht meßbar.

Aber es gibt einen ganz anderen, unausgesprochenen Grund, weshalb Morphine nicht so gern verschrieben werden. Sie haben eine euphorisierende Wirkung ! Aber das darf nun wirklich nicht das Kriterium sein, warum es nicht verschrieben wird. Aber leider scheint das eines der Argumente. Einer der Onkologen meines Mannes hat ihm mal wörtlich gesagt, er könne ihm ja schließlich auch keinen Beaujolais verordnen ! Aber Antidepressiva mit vielen Nebenwirkungen, die ebenfalls abhängig machen und einen herben Entzug verursachen …
Mir verweigerte man übrigens den Einsatz von Cortison, das sowohl die Schmerzen als auch meine allergischen Reaktionen bekämpfen könnte. "Wir wollen doch nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen" sagte der Hausarzt, um mir ein sehr Leber und Nieren schädigendes stärkeres Schmerzmittel zu verschreiben, dabei krieg ich diese Organe nach jeder Chemo nur mit hohem Einsatz an verschiedensten Pflanzenpräparaten wieder einigermaßen in Griff.

Gegen manche Schmerzen nehme ich übrigens seit einigen Monaten erfolgreich Packungen mit Schwedenkräutern. Ich habs ausprobiert als ich im Frühjahr die schwere Vergiftung hatte nach fast 2 Jahren Chemotherapie und kein Paracetamol mehr schlucken wollte, weil das die Leber stark angreift.


Nun ist es auch ein sehr langer Brief geworden. Dabei bleiben noch so viele Themen unberücksichtigt. Zum Beispiel „Aufgeben gibt’s nicht“. Ich habe aufgegeben um den Sieg über meine Krankheit zu kämpfen, die vielen Rückschläge haben mich jedes Mal am Boden zerstört, aber ich habe nicht aufgegeben darum zu kämpfen noch so lange wie möglich und das so gut wie möglich zu leben. Wenn es dann viele Jahre werden, umso besser.

Ich wünsche Dir und allen anderen viel Kraft und mehr Erfolg als ich hatte

Marjana
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