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Alt 15.06.2003, 19:09
Gast
 
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Standard Probleme ! Ich verstehe mich selber nicht mehr !!

Hallo Christian

Bin selber eine junge Krebspatientin, wenn auch nicht von MH betroffen, und kann so vieles, was Du beschreibst nachfühlen.

Zu Anfang möchte ich Dir folgendes sagen: Es ist überhaupt nicht verrückt, wenn und was Du schreibst. Schreiben bedeutet etwas aus dem Innern rauslassen, was da sonst gefangen ist und immer weiter plagt. Es heisst, etwas loslassen, bearbeiten und dann vor Dir stehen haben, was vorher nur im Innern nagte. Dabei wirst Du Dir über viele Deiner Gefühle und Ängste viel klarer, als wenns nur innen bleibt und das ist wichtig.
Nicht umsonst wird in vielen modernen Krebskliniken eine Schreibwerkstatt für Patienten angeboten.
Du hast damit ein wertvolles Mittel zur Selbsthilfe ergriffen.
Mach also unbedingt weiter, wann immer Du das Bedürfnis spürst, es hilft der Psyche, stabiler zu werden.

(Ich selbst habe auch geschrieben und tue es noch immer - hier im KK ist einiges davon veröffentlicht)

Ich denke, der Schreck über Deine Krebserkrankung sitzt nicht nur Dir in den Knochen sondern auch Deinen Eltern.
Sie geben sich positiv und haben innen furchtbare Angst, die sie dann mit fast übertriebener Fürsorge überdecken möchten, damit Du das nicht mitkriegst - aber so kriegst Du das erst recht mit.
(Ich war 8 Jahre alt, als ich an einem Burkitt-Lymphom erkrankt war - ich wusste nicht, dass das Krebs ist, was ich habe, aber ich habe kapiert, dass es was Schlimmes sein musste, denn meine Eltern benahmen sich übernatürlich freundlich zu mir - und das machte mir dann Angst - ich konnte mich gar nicht freuen, über all die Geschenke, die ich bekam, und hatte dann darum auch wieder ein schlechtes Gewissen, und dachte, was bin ich doch für ein dummes, böses Mädchen)

So wie Du Dir Gedanken machst, was passiert, wenn erst Deine Therapie zu Ende ist, wenn Dein Körper wieder ganz allein ohne therapeutische Unterstützung funktionieren muss, so überlegen auch Deine Eltern was falsch oder richtig ist für Dich, womit sie Dich unterstützen können.
Ihr Verhalten Dir gegenüber erinnert mich an Torschlusspanik, sie wollen auf gar keinen Fall etwas versäumen, Dir zuliebe zu tun. Jeder weiss, dass ein glücklicher Mensch weniger anfällig ist auf Krankheiten, als ein ewig Trauriger. (Krebs trifft aber auch glückliche, zufriedene Menschen)

Mit ihren Aktivitäten wollen sie Dir in erster Linie wohl einfach Freude bereiten, aber natürlich steckt auch die Angst dahinter, Dich vielleicht zu verlieren und dann nichts mehr nachholen zu können.

Ich denke mal, diese Angst taucht zumindest gelegentlich auch in Dir auf, vielleicht auch oft.
Die Normalität, nach der man sich sehnt nach der Therapie hat ein anderes Gesicht, als das bisher gekannte.
Wir können nicht da weitermachen, wo uns der Krebs rausgerissen hat. Die Krankheit gehört nun einfach zu uns, ist Teil unserer Geschichte, Biografie, unseres Lebens - das kann man nicht vergessen und ich denke, das muss man auch nicht.

Am Anfang ist es total schwer, das Vertrauen in den eigenen Körper ist erschüttert, durch die mitgemachte Krebserkrankung. Wir alle machen nach der Therapie eine eher schwierige Zeit durch, doch es ist möglich, sich wieder in seinem Leben einzuleben, auch dann, wenn es ein wenig anders ist, als das bisherige.
Und es ist wichtig, dass sich so etwas wie Alltag wieder einspielt, bei Dir und bei Deiner Familie.
Es ist wichtig, das Gleichgewicht wieder zu erlangen. Es gibt die Tage, an denen man sich glücklich fühlt, aber es gibt auch jene, an denen man pausenlos weinen möchte, beides darf und muss sein. Es ist heilsam und nötig, dass Du Dir von Zeit zu Zeit Gedanken machst gerade auch im Zusammenhang mit dem Krebs das kann Dich und Dein seelisches Wohlbefinden stärken, auch wenn Du erst noch denkst, sie schwächen Dich nur, aber wenn sich immerzu nur noch solche Gedanken in Dein Hirn drängen, bist Du bald seelisch am Abgrund.

Ich denke mal, Du gehst nach der Intensiv-Therapie in eine der Kurkliniken für junge Krebspatienten. Dort triffst Du Gleichaltrige in der selben Situation wie Du. Es ist ungeheuer hilfreich, sich einfach mal mit Leuten zu unterhalten, die das Gleiche hinter sich haben und irgendwie auch vor sich. Erfahrenes Personal hilft und unterstützt und organisiert auch Begleitung für die Zeit nach der Kur.
Das ist eine wirklich gute Sache.

In solcher Begleitung ist dann oft auch inbegriffen, dass auch Familienangehörige Unterstützung bekommen, denn Krebs trifft immer die ganze Familie schwer, alle sind in einer Ausnahmesituation und finden sich nur schlecht zurecht in der neuen Wirklichkeit.

Die neue Normalität, die sich so langsam einpendelt, erleben viele Betroffene im Nachhinein, wenn die Angst vor einer Neuerkrankung etwas in den Hintergrund gerückt ist, als sehr viel positiver als die alte, als sehr viel lebendiger, als sehr viel tiefer, als sehr viel froher, als viel liebevoller als die alte.
Das ist wohl das, was Karo schon sagte, eine glückliche Fügung durch den Krebs, dass man sich als Familie, als Freunde, überhaupt als Menschen wieder näher kommt, man die Kostbarkeit des Lebens richtig spürt und viel mehr dankbar ist, für jeden neuen Tag, weil es einfach nicht mehr so selbstverständlich ist.

Lieber Christian, das ist es also, was mir so durch den Kopf ging, als ich Deinen Beitrag gelesen habe, wäre schön, wenn ich Dir damit etwas helfen konnte.

Ich wünsche Dir, dass es Dir so geht, wie gaaaanz vielen MH-lern, die ich in meiner langen Krankheitszeit schon kennengelernt habe, dass es nie mehr zu einem Rückfall kommt, dass die Therapie alle Krebszellen erwischt hat und Dich ein positives und freundliches Leben erwartet.

Alles, alles Gute wünscht Dir von Herzen

Ladina
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