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Alt 22.05.2012, 22:06
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Wesensveränderung bei Glioblastom

Guten Abend,

als ehemaliger Angehöriger kann ich zu dem Thema auch was beisteuern. Wobei es ziemlich egal ist, mit welcher Art von Krebs man es zu tun hatte.

Ich glaube, Menschen, die wissen, dass sie sterben werden, ziehen sich zurück. Sie schotten sich ab um einerseits ihr Umfeld zu entlasten. Andererseits fühlen sie sich als Aussätzige, als Menschen, die eigentlich bereits tot sind. Nur der Zeitpunkt war noch nicht da. Es gibt eine Grenze zwischen uns, die wir weiter leben dürfen/müssen, und ihnen, die wissen, dass sie in absehbarer Zeit sterben werden. Unsere Welt ist nicht mehr die ihre.

Vieles, was ihnen früher heilig war, ist für sie absolut unwichtig geworden und in ihrer Panik und Angst schlagen sie oft wahllos um sich. Dass sie dabei hauptsächlich die treffen, die ihnen am nächsten stehen, ist nur normal und ihnen selbst manchmal auch vollkommen egal.

Es gibt auch eine 'Diktatur der Krankheit'. Sie glauben dann: alle anderen (die Gesunden) müssen springen, wenn und wie ich pfeife und alles konzentriert sich auf mich. Wenn es so weit ist, gilt es unsererseits Grenzen zu setzen. Um ihretwillen und um uns zu schützen. Für Angehörige ist das zunächst schwer zu verstehen und es kostet wahnsinnig viel Kraft und Nerven das aus zu halten. Doch es lohnt sich. Für beide Seiten.

Sie haben es verdient, dass wir sie aushalten. Wenn der Druck mal wieder zu viel wurde, dann bin ich in den Wald und hab meinen Frust, meine Angst und meine Wut raus geschrien. Danach ging es wieder für eine Zeit.


Alles Gute,

Helmut



Ein Nachtrag:

Ich selbst leide an einem Prolaktinom (Hirntumor, WHO I). Zur Zeit der akuten Behandlung und teilweise auch bereits davor (soweit ich mich erinnere) hatte sich auch mein Wesen verändert. Unbeherrscht, aufbrausend, aggressiv, ungerecht. Meine Erfahrung ist, dass sich das bei erfolgreicher Behandlung auch wieder legt. Es ändert sich nicht der Charakter des Kranken. Es werden nur stressbedingt Wesenszüge frei, die ansonsten durch Erziehung und gesellschaftliche Zwänge kompensiert werden. Bei dem Einen mehr, bei dem anderen weniger.

Dass sich nicht der Charakter ändert, zeigt mir persönlich die Tatsache, dass ein vorher aggressiver Grieskram durch die Krankheit keineswegs plötzlich zum liebenswerten, toleranten Menschen wird. Zumindest habe ich so etwas noch nie gehört oder erlebt.

Der oder die Kranke wird durch die Konfrontation mit dem möglichen Tod zunächst nur durch Intuition (Gefühle, Angst, Schmerzen etc.) gesteuert und dadurch wird sein spontanes Handeln bestimmt. Er (oder sie) kann diese Emotionen nicht verhindern. Der Verstand, der solche Emotionen steuern kann, braucht mehr oder weniger Zeit und Unterstützung durch Andere, um in die Gänge zu kommen. Das heißt, die Emotionen nicht ungefiltert nach außen zu lassen sondern sie zu überdenken und erst dann entsprechend mit klarem Verstand zu handeln.

Ob der Kranke es schafft, sich aus dieser Phase zu befreien, hängt wesentlich von seinem Umfeld und vor allem von seinem Charakter ab. Unterstützung braucht er in jedem Fall. Sei es von Angehörigen und/oder von Dritten.

Das muss nicht immer so sein, kann jedoch und ist vielleicht auch nur eine Erklärungsmöglichkeit und es gibt sicherlich alle möglichen Schattierungen.


Alles Gute,

Helmut
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Geändert von HelmutL (23.05.2012 um 21:27 Uhr) Grund: Nachtrag vom 23.05.2012, 15:25
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