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Alt 29.08.2012, 14:08
AnneMelanie AnneMelanie ist offline
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Standard AW: Oligodendrogliom WHO II-WHO III

Part IV:

Nun ja die folgenden Tage wurde nicht wirklich was gemacht, wir wurden beschwichtigt und beruhigt, man wüsste schon was das Beste für ihn sei.
So wurde er trotz ungeklärter Beinschmerzen am 08.08. entlassen und nach tatsächlich 2 Stunden wieder eingeliefert, weil er vor Schmerzen nicht mehr aggieren konnte.
Sichtlich "glücklich" schienen die Schwestern über die Rückkehr meines Vaters.

Am Donnerstag den 09.08. erzählte ein Schüler meiner Mama, dass mein Vater sich wohl in der Visite Luft gemacht hätte, was sie meinen wie es hier weiter gehen soll etc (mein Vater ist eher ein ruhiger Vertreter).
Nach einer Weile betrat dann eine OÄ'in das Zimmer und wollte mit meiner Mutter sprechen, sie entgegnete ihr, dass sie es auch hier vor meinem Vater machen können.
Nun ja, die OÄ'in entschuldigte sich und versprach eine schnelle Regelung, meine Mutter verlangte nach einer Schmerztherapeutin.

Unter Knurren wurde diese dann auch geholt, sie bemerkte eine Polsterung an der Einstichstelle der Drainage (riet zu einem MRT) und verschrieb zur Schmerzbekämpfung ein Opiat, welches natürlich erstmal wieder Halluzinationen auslöste.
Aber die Schmerzen waren am Freitag schon erträglicher für ihn.

Meine Mama sprach dann mit dem OA der Station (der behandelnde Neurochirurg ließ sich ja seit getaner OP nicht mehr blicken-sein Job ist ja erledigt) und fragte nach dem MRT-Termin.
Der Arzt etwas aufgebracht-ein MRT Termin in der UNI wäre erst am 17.08. frei, vorher geht nichts und der Chefarzt der Radiologie kann sich nicht um Vorverlegung kümmern, da zu ausgebucht und nicht erreichbar ist.

Mir schien es etwas zeitentfernt, so rief ich bei der Radiologiepraxis an, die meinen Vater ja schon kannte, diese hatte noch am selben Tag Zeit für ihn, ich also meine Mutter wieder angerufen und ihr das erzählt.
Meine Mutter wieder zum OA, Zitat: wenn ihr Mann sich dort untersuchen lässt, ist er nicht länger Patient hier und somit entlassen.

Ja....was macht man da!? man ist ja schockiert und fühlt sich wie ein Kleinkind, welches getadelt wird und nun nachsitzen muss, weil es bestimmte Regeln nicht befolgt.
Also warten bis zum kommenden Freitag.

Der Schüler im Praktikum erzählte meiner Mama, dass Papa in der Nacht am Wochenende sogar weggelaufen sei und sie ihn 2 Etagen tiefer eingesammelt hätten, das er es nicht mehr bis auf die Toilette schafft und sogar in die Ecken des Zimmers uriniert.
Darauf hin wurde er in ein Einzelzimmer verlegt, die Schwester meinte im Beisein meiner Mutter-das haben sie jetzt davon, wenn sie die ganze Nacht umherlaufen und die anderen Patienten stören.

Am Montag hatte meine Mutter eine zündende Idee (ich denke man ist oft wie gelähmt und dann handlungsinkompetenter), sie ließ sich von den Schwestern die Nummer der Vermittlung geben, die wollten erst nicht, aber ließen sich dann doch überzeugen, meine Mutter rief dort mit dem Handy an und verlangte die Radiologie der UNI, mit dieser verbunden, bat sie um ein Gespräch mit dem Chefarzt und keiner kann und wird es glauben-der war prompt dran und schockiert über diese Geschichte, mein Vater konnte also noch am MONTAG ins MRT.

Meine Mutter ging zu den Schwestern, sagte denen, dass Papa noch heute dran kommt, als die Radiologie anrief und um die Bringung des Patienten bat, brachte meine Mutter ihn selbst.

Als sie gemeinsam zurück auf Station kamen, standen 2 Schwestern und die schon erwähnte OÄ'in zusammen (sie sahen meine Eltern nicht kommen) und Zitat: keine Ahnung wie die das mit dem Termin geschafft hat, aber der ist ja selbst Schuld wenn er an der Drainage zieht- meine Mutter sagte dann ganz laut, dass sie jetzt zurück seien und das Trio erschrack sichtlich.
Zu dem "ziehen" der Drainage kann ich sagen, mein Vater ist einmal im Bett hochgerutscht und dabei zog es plötzlich am Rücken, das teilte er der Schwester mit, aber die zeigte kein Interesse.

Das MRT ergab eine Einblutung am Rücken durch die Drainage, nun mussten schnell abschwellende Medis her.

Dienstagnachmittag rief die Hausärztin meines Vaters (nach der 1.OP gewechselt zu dieser, gut aufgestellt und begleitet ihn auch mit Homöopathie) auf Station an und bat den OA der Station (nennen wir ihn mal Doc X) meinen Vater doch noch bis Freitag in der UNI zu lassen, um sicher zu gehen, dass die neuen Medikamente auch anschlagen, da die häusliche Situation diesen Zustand nicht tragen kann.

Doc X rief dann empört meine Mutter an und beschwerte sich förmlich was der Hausärztin einfiel ihm zu sagen, was er zu tun hat, mein Vater ist noch heute aus der Klinik ventassen und kann umgehend abgeholt werden.
Medikamente kann er schließlich auch zu hause nehmen.

Meine Mutter erklärte Doc X, dass es ihr heute nicht mehr möglich sei, da sie wichtige Termine wahrzunehmen hat, gut-aber morgen ab 10 Uhr!!!

Also holte meine Mama ihn ab, er halluzinierte nicht mehr, die Schmerzen in den Beinen waren auszuhalten und er hatte sogar Appetit, sie fuhren in ihr Liebglingsrestaurant und urplötzlich fingen die Schmerzen wieder an, er konnte nicht mehr sitzen, musste umher laufen, konnte vor Schmerzen wieder nicht essen.
Zu Hause legte er sich sofort hin und schlief so gut es ging.

Am Donnerstag rief Mama an, völlig aufgeregt und planlos-er pullert ein, er schafft es nicht bis zur Toilette, er hat Schmerzen, im Kopf, im Rücken, in den Beinen und er übergibt sich in einer Tour.
Ich bat sie die Hausärztin zu informieren und da diese leider unterwegs war, kam sie erst gegen Abend vorbei.

Meine Vater wurde also mit Sondersignalen zurück in die UNI gebracht und noch während der Fahrt "schlafen" gelegt.
Meine Mama fuhr Freitagfrüh gleich zur Station, vorher fasste sie sich ein Herz und rief den Onkolgen an (der bat uns ja schon Beginn des Jahres seine Hilfe an), der meinte dann er würde schauen ob neurologisch alles getan ist und wenn ja, holt er ihn sofort auf seine Station und kümmert sich um ihn.
Auf Station wartete schon mit Hände in den Taschen Doc X (ich redete meiner Mama bereits Donnerstagnacht ins Gewissen-geh nicht auf Konfrontation, sei bestimmt aber freundlich, notiere dir lieber in einem Buch Namen und Gesprächsinhalte).
Doc X blufte also meine Mutter an: was wollen sie denn hier? Ich versteh nicht was ihr Mann hier soll, am liebsten hätte ich ihn postwendend heute Nacht noch heim geschickt, der simuliert doch.

Am Abend kam der Anruf: NOT-OP Gehirnhautentzündung, Deckelung Schädel nicht vollständig möglich, da Bakterien den Knochen angefallen haben.
Es darf erstmal niemand zu ihm, er muss die Antibiose annehmen. (zur Erinnerung, heute wäre erst das Rücken MRT gewesen)

Samstag: neue OP-Kopf es konnten nicht alle Eiterherde entfernt werden, Druck zu hoch, Drainage in Kopf

Sonntag: meine Mama darf zu ihm, er weiss wie er heisst und wie alt er ist, aber mehr ist nicht möglich-der OA der Intensivstation führt ein sehr langes und gutes Gespräch mit meiner Mutter, meine Mama macht sich endlich über die Verfahrensweisen Luft und selbst der Arzt bestätigt, dass Behandlungsfehler vorliegen, wäre er später als Donnerstagnacht gekommen, dann hätten sie ihm nicht mehr helfen können.

Montag: OP-Rücken, das Polster am Rücken ist ein zusätzlicher Bakterienherd im Spinalkanal durch die Drainage von vor 2 Wochen, neue Drainage zur Wundreinigung

Dienstag: NOT-OP Kopf, der Intensivstationsarzt, der meine Mama anrief und über die OP informierte, sagte ihr auch das Doc X bei der stattfindenden OP anwesend sein wird.
Meine Mama bat ihn freundlich-grüssen sie Doc X von mir, er sieht ja nun selbst das mein Mann nicht simuliert und er soll seine Arbeit ordentlich machen.

Ihr werdet es nicht glauben, Doc X rief eine Std. später (also noch vor der OP) meine Mutter an und fragte sie, warum sie denn so geladen ist, sie hätten wohl aneinander vorbei geredet.
Meine Mama erklärte ihm, dass er froh sein kann, dass sie Freitag nicht auf Station aus dem Anzug gesprungen ist und was er sich eigentlich erlaubt, er kann von Glück sagen, dass sie nicht gleich zur Chefetage gegangen ist.

Er entschuldigte sich und versprach egal wie spät es werden würde, meine Mutter über den Ausgang der OP zu informieren.

Mittwoch: unverändert-schläft viel, nicht orientiert, erkennt aber Personen

Donnerstag: das Gleiche in Grün

Freitag: er sitzt am Vormittag mit der Krankengymnastik an der Bettkante

Samstag: kurzes Gespräch möglich zwischen Papa und Mama, aber eher geschlossene Fragen

Sonntag: OP-Kopf neue Eiterherde entdeckt, ein Port und eine weitere Drainage müssen gelegt werden

Montag: meine Mama so enttäuscht, da er Nachmittags kaum weckbar ist, also wurde mit der Pflege vereinbart, dass sie Mittags kommen darf, er sitzt in einem therapeutischen Stuhl und lässt sich von Mama Mittag anreichen, er schafft eine ganze Mahlzeit

Gestern: er wird künstlich ernährt, verweigert das Essen und redet nicht mit meiner Mama

Was soll ich sagen...ich funktioniere, in den letzten drei Wochen habe ich neben meiner Vollzeitarbeit noch nebenbei gearbeitet und bin dann Abends zum Sport, nur um nicht nachzudenken und immer wenn das Telefon nicht klingelte, war ich froh, weil keine Schreckensnachrichten kommen konnte.

Die Schwestern äussern sich meiner Mutter nicht mehr gegenüber, es scheint als hätten sie einen Maulkorb um, auch in die Akten darf meine Mama keine Einsicht nehmen.
Das müsste der Arzt genehmigen, hier spielt wieder die Versorgungsvollmacht eine Rolle, hätten wir diese bereits, so müssten sie Einsicht gewähren.

Meine Mama trägt eine bereits vor ausgefüllte in der Handtasche mit sich rum, aber mein Papa kann den Stift nicht halten, denn leider gibt es neben der gesundheitlichen Situation auch die geschäftliche, die Auftraggeber zahlen nicht, weil sie aus unserer Not eine Tugend machen und erst mit dem "Chef" also Papa sprechen möchten, bevor sie zahlen.

Meine Mama kann keine Rechnungen schreiben, keine Angebote verfassen, da sie keine rechtliche Vertretung ist, es läuft zum Glück jetzt über einen Anwalt.
Mein Freund hat zum Glück daran gedacht einen ins Boot zu holen, da sonst die Fristen verstreichen und wir dann irgendwann gar keinen Handlungsspielraum mehr haben und der Lebenstraum meines Vaters unfreiwillig in den Ruin geht, was ihm obendrein noch das Herz bricht.

Meine Mama hat eine viel zu hohe Erwartungshaltung an meinen Vater, sie kann mit der Situation nicht um und ist jedesmal enttäuscht, wenn sie einen schlafenden Mann auffindet, der nicht "schätzt" das sie extra seinen Lieblingsjoghurt mitgebracht hat, damit er wenigstens etwas isst.

Auch das er kognitiv nicht in der Lage ist die Gabel zum Mund zu führen, ist für sie nicht zu verstehen und Neuland.

Ich rede oft mit ihr, versuche ihr zu Verstehen zu geben, dass alles Zeit braucht und das wir leider auf die Nase gefallen sind, weil wir keinen Plan B hatten, den hat uns mein Freund schon nach dem ersten Tag der Diagnose geraten.

Wir sind leider blauäugig los und jetzt zum teil handlungsunfähig, weil die Emotionen und Ereignisse einen überrollen.

Ich fahre am WOE das erste Mal seit dem 02.08. wieder nach Hause, ich habe wahnsinns Angst davor, meinen Vater so sehen zu müssen.
Auch tut mir auf einer Seite mein Freund sehr leid, weil er diesen Weg wieder miterleben muss.
Wir hatten vor einigen Tagen ein langes Gespräch bis in die Nacht und ich sagte ihm unter Tränen, dass mich der Gedanke quält, wenn er nicht mehr ist, das ich ihn immer mit Enkelkinder spielen sehen wollte (es sind noch keine geplant wegen Beruf), das ich mir immer gewünscht habe er baut mit mal mein Traumhaus und das es der Wunsch einer Tochter ist, das ihr eigener Vater sie zum Traualtar bringt und die Hand der Tochter an die schützenden Hände des Verlobten übergibt.
Er bestätigte mir, dass diese Fragen wie wäre es gewesen wenn, immer bleiben werden, egal wie lange der andere nicht mehr bei uns ist.
Und er sagte mir auch, dass es ihm unendlich leid tut, zu wissen, dass ich die Erfahrung machen muss, wie es ist einen geliebten Menschen zu verlieren aufgrund einer Erkrankung.
Sterben gehört zum Leben dazu, aber wenn eine Krankheit einen in die Knie zwingt, dann hat es einen anderen Charakter und das verändert einen.
Und genau das tut ihm leid, das hätte ich nicht verdient und meine Mama beginnt schon jetzt zu zerbrechen, obwohl "noch nichts" passiert ist.

Ich arbeite seit 3 Jahren auf einer Wachkomastation nebenbei und ganz ehrlich, ich kann von mir sagen, dass ich abgebrüht bin, ich nehme mir Schicksale von meinen Patienten nicht zu Herzen, weil ich ihnen dann nicht helfen kann und sich nicht gut therapieren kann, ich kann an deren Situation durch Mitleid nichts bewegen, aber ich hatte dieses WOE das erste Mal große Probleme dort meinen Job zu machen und musste um eine Auszeit bitten, auch wenn diese Tätigkeit immer mein Wochenhighlight war.

Ich kann es nicht, im Moment nicht.

Mein Vater wird diesen Sonntag 60 und die vor Monaten geplante Feier mit allen Freunden und Kunden kann nicht stattfinden, keine hätte gedacht das wir mal eine Situation erleben werden, wie sie jetzt ist.

Ich bin schockiert über die Ärzte, über einzelne Schwestern und Pfleger und ich bin zum Teil schockiert über uns selbst.



...wieviel Leid kann ein Mensch ertragen...
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