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  #1  
Alt 01.08.2015, 16:02
Tienchen Tienchen ist offline
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Standard Schwiegervater hat Magenkrebs

Hallo ihr Mitbetroffenen,

ich bin ganz neu hier und hoffe, etwas Rat zu finden.
Ende letzten Jahres wurde meinem Schwiegervater Speiseröhrenkrebs diagnostiziert. Er blieb positiv, schließlich hat er vor einigen Jahren schon den Prostatakrebs besiegt. Dieses Mal geht es leider nicht gut aus. Er hat sehr schnell abgebaut, während Chemo und Bestrahlung und in der Zeit danach 20kg abgenommen. Im März wurde er operiert, war dann noch lange im Krankenhaus und anschließend in der Reha. Es ging ihm aber weiterhin immer schlechter und er nahm weiter ab. Vor zwei Wochen kam er schließlich wieder ins Krankenhaus, weil er über einen längeren Zeitraum wieder Magenschmerzen hatte. Am 24.7. sagte ihm ein Arzt, dass zwei Tumore gefunden wurden, einer im Magen, einer in der Speiseröhre. Uns werden nun keine Hoffnungen mehr gemacht, er ist zu schwach für eine Chemo, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er es überstanden hat. Letzten Dienstag wurde er nach Hause geschickt, heute musste er sich wegen der starken Schmerzen wieder einliefern lassen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich schon akzeptiert habe, was kommen wird, soweit das eben möglich ist. Ich plane, wann mein Mann und ich ihn in den nächsten Tagen noch besuchen können und denke schon an die Zeit danach.

Mein größtes Problem in dieser Situation ist, dass mein Mann sich komplett verschließt. Als wir heute morgen die Nachricht bekommen haben, dass mein Schwiegervater wieder im Krankenhaus ist, ist mein Mann wortlos aufgestanden und hat angefangen, Wäsche zu waschen, die Küche zu putzen und hat sich schließlich vor den Fernseher gesetzt. So sitzt er nun seit Stunden, schaut sich eine Serie an und wechselt sofort das Thema, wenn ich frage, wie es ihm geht, oder ob wir morgen ins Krankenhaus fahren wollen. Er lacht über die Witze in der Serie und versucht, die Stimmung aufzulockern. Ich kenne ihn seit über 6 Jahren und gerade gibt er mir zum ersten Mal Rätsel auf. Wie soll ich mit ihm umgehen? Kann ich ihm irgendwie helfen? Hat er realisiert, dass sein Vater bald sterben wird, und kann einfach nicht darüber reden, oder will er es nicht wahrhaben und blendet das "Thema" deswegen aus? Arbeitet es innerlich in ihm? Mir ist nur noch zum Weinen zumute, während er cool tut. Dass ich emotional bin, weiß ich, aber leider weiß ich auch, dass ich heute nichts dramatisiere.

Sicher kann ich mir nicht mal annähernd vorstellen, wie es ihm gehen muss - er ist noch nicht mal 30, das ist einfach zu jung, um einen Elternteil zu verlieren. Habt ihr vielleicht Ideen, Ratschläge oder Tipps, wie ich meinem Mann helfen kann und seid ihr auch mal mit dieser Situation konfrontiert worden? Wie seid ihr mit Angehörigen umgegangen, die so reagiert haben, wie mein Mann?

Ich bin euch sehr dankbar für Antworten.
Traurige Grüße,
Tienchen
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  #2  
Alt 02.08.2015, 00:42
Benutzerbild von Tinele
Tinele Tinele ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Hmmm , ich glaube dein Mann braucht ein paar Tage um den Schock zu verdauen . Als mein Mann die Diagnose SBK bekam , hat er tagelang übertrieben gelacht und einen auf locker lustig gemacht . Es war sehr befremdlich für mich , aber für ihn war es die beste Art damit umzugehen .

Lass deinen Mann so sein , wenn es ihm hilft. Signalisier ihm einfach , wenn er reden möchte bist du da. Und gib ihm Zeit , bis er es zulassen kann traurig zu sein .......

LG Tine
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  #3  
Alt 05.08.2015, 00:34
Lucie77 Lucie77 ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Liebes Tienchen,

erstmal möchte ich dir viel Kraft und Durchhaltevermögen wünschen!
Ich hab vor ca einem Jahr meinen Opa verloren nach nur einem Jahr...Diagnose Magenkrebs...ich weiß wies euch geht

Also ich kann dir nur sagen: Menschen werden komisch, wenn sie trauern oder einen Schock verarbeiten müssen.
Einige müssen immer Leute um sich haben, fangen ständig an zu weinen, reden über alte Zeiten, andere wollen allein sein, lenken sich mit den dümmsten Sachen ab...wollen das einfach verdrängen.

Ich kenne deinen Mann ja nicht, aber es hört sich so an, als möchte er daran gar nicht denken.
Ich glaube, bis man das akzeptiert hat, dauert es einfach bei Manchen...und bis man das dann verarbeitet...ist immer ganz unterschiedlich.
Ich kann dir nur raten: ich weiß, du meinst es gut wenn du fragst, wann ihr ins Krankenhaus wollt und sowas.
Vielleicht klingt das für deinen Mann dann alles sehr sehr schlimm und er weiß innerlich ja, was kommen wird...alles wird irgendwie endgültig und er will das alles nicht.
Sei auf jeden Fall für ihn da, wenn er dich braucht, aber der Grad zwischen Bedrängnis und da sein ist in solchen Situationen sehr schmal(kenne ich von mir). Menschen werden dann komisch...eigentlich weiß man, dass andere nur helfen wollen...aber manche werden dann auch aggressiv und lassen das dann raus.

Du willst nur für ihn da sein und ich denke, er weiß das dann auch, aber warte vielleicht bis er etwas dazu sagt bzw übertreib die Nachfrage nicht.
wenn du weiter vielleicht was loswerden möchtest oder einfach jemanden zum reden brauchst, darfst du mir gern schreiben.

Ich wünsche dir, deinem Mann und natürlich dem Rest der Familie alles Liebe und Gute!!!
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  #4  
Alt 07.08.2015, 14:03
Lia90 Lia90 ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Hallo Tienchen,

ich weiß nicht, was ich groß sagen soll. Bin in fast derselben Situation und kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Mein Partner ist um die 30 und bei ihm geht es um seine Mutter. Ich kenne es von ihm, dass er nicht sprechen will und akzeptiere das, habe ihm aber gesagt, dass ich nun bewusst nicht mehr nachfrage, weil ich ihn nicht bedrängen will, und er, wenn er doch sprechen möchte, jederzeit zu mir kommen kann. Das passt, glaube ich, für ihn - zumindest hat er es so gesagt.
Vielleicht braucht dein Mann auch einfach Zeit, um das, was passiert, so weit zu verarbeiten, dass er darüber sprechen kann.
Würde dir daher denselben Vorschlag geben wie Tinele:
Zitat:
Lass deinen Mann so sein , wenn es ihm hilft. Signalisier ihm einfach , wenn er reden möchte bist du da. Und gib ihm Zeit , bis er es zulassen kann traurig zu sein .......
Ich wünsche euch viel Kraft für die kommende Zeit!

LG, Lia90
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  #5  
Alt 09.08.2015, 19:52
Tienchen Tienchen ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Vielen Dank für eure Antworten, besonders die Einschätzungen zum Verhalten meines Mannes. Es ist schon mal beruhigend zu lesen, dass das, was er tut, "normal" ist. Unsere Familien sind grundverschieden: während Teile meiner Familie ständig nachfragen, wie es bei meinem Schwiegervater aussieht, wird in seiner Familie kaum darüber gesprochen. Wenn ich mit jemandem aus meiner Familie telefoniere, wechsle ich das Zimmer, damit er es sich nicht immer wieder anhören muss. Letzten Montag waren wir spontan im Krankenhaus. Ich habe ihm nach der Arbeit geschrieben, dass ich hinfahren möchte und er nicht mitkommen muss. Er wollte dann aber und so saßen wir ein Stündchen bei meinem Schwiegervater. Als ich ihn dann abends nochmal fragte, ob ich irgendwas für ihn tun kann, sagte er: "Naja, gesund machen kannst du ihn ja nicht." Seitdem weiß ich zumindest, dass die Realität in seinem Kopf angekommen ist, auch wenn er nicht darüber spricht. Ich habe nur Angst, dass er es zu lange in sich reinfrisst. Ansonsten geht unser Leben erst mal weiter wie bisher. Mein Schwiegervater wurde am Freitag wieder nach Hause entlassen, er soll sich in 10 Tagen wieder melden, dann wird weitergesehen. Ich bin gespannt, ob die Ärzte noch einen Versuch starten, oder ob das verbliebene Gerüst aus Haut und Knochen nicht reicht. Und ich weiß nicht, was ich ihm mehr wünsche: eine weitere Behandlung mit vielleicht ein bisschen Hoffnung, oder dass es einfach schnell überstanden ist.

Lia, was du schreibst hat mich sehr berührt. Wir scheinen im selben Alter zu sein und sind beide so einer hilflosen Situation ausgesetzt. Ich wünsche euch auch ganz viel Kraft!

Lucie, mein Beileid zum Tod deines Opas. Es tut mir sehr leid, das zu lesen. Wie geht es dir inzwischen damit?

Geändert von Tienchen (09.08.2015 um 19:54 Uhr)
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  #6  
Alt 10.08.2015, 08:24
Bernsteinketterl Bernsteinketterl ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Liebe Tinchen...das Verhalten deines Mannes ist völlig normal, wenn er so ein Typ ist...ich kann gut nachempfinden wie du dich fühlst...hab ein ähnliches Exemplar an meiner Seite...ist wohl eine Mischung aus verdrängen, nicht wahr haben wollen, Hilflosigkeit und Verzweiflung...du wirst viel Kraft brauchen und musst dich immer wieder daran erinnern dass es nicht gegen dich geht, wenn dein Mann so ist wie er eben in diesem Moment ist... alles Liebe
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  #7  
Alt 10.08.2015, 10:23
Lia90 Lia90 ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Ja, Tienchen, unsere Situation ist wohl sehr ähnlich. Ich kenne das, dass die zwei Familien total unterschiedlich mit der Situation umgehen. Einerseits hilft es mir sehr, dass ich mit meiner Familie offen über alles sprechen kann, andererseits belastet es auch enorm, wenn man sieht, dass die Schwiegerfamilie das nicht schafft und das alles irgendwie unausgesprochen im Raum steht.
Ich finde es teilweise auch sehr schwer einzuschätzen, was ich vor ihnen ansprechen kann, was nicht und ob ich so tun soll, als wäre nichts, oder ob ich meine Schwiegermutter z.B. auch nach ihrem Befinden fragen soll.
Ich glaube, man kann da immer nur von Situation zu Situation versuchen das gefühlt Richtige zu tun. Genauso im Umgang mit dem eigenen Partner.
Alles Gute euch derweil
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  #8  
Alt 19.08.2015, 17:31
Lia90 Lia90 ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Hallo Tienchen,

wollte mal kurz nachfragen wie es dir geht? Habt ihr schon neue Erkenntnisse von den Ärzten? Wie geht's deinem Schwiegervater derzeit? Und wie läuft es mit deinem Mann?

LG Lia90
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  #9  
Alt 30.08.2015, 09:40
Tienchen Tienchen ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Hallo Lia, ich war leider länger nicht hier. Es geht uns nicht so gut, die Situation zermürbt ziemlich. Vorletzte Woche sollte mein Schwiegervater sich wieder bei der Onkologin melden. Man muss dazu sagen, dass meine Schwiegereltern ziemlich naiv sind. Sie nehmen hin, was ihnen gesagt wird und was kommt, ohne große Nachfragen. Die Onkologin sagte, sie überweist ihn an für Krebs spezialisierten Arzt. Als mein Mann ihm daraufhin sagte, dass die Onkologin doch auf Krebs spezialisiert ist, rückte er mit der Bezeichnung des Arztes raus: Schmerzarzt. Da war uns leider schon klar, dass es nur noch um Schmerzlinderung geht, nicht mehr um Heilung. Am nächsten Tag war er beim Schmerzarzt, der ihm eröffnete, dass Lungenmetastasen gefunden wurden. In Absprache mit dem Arzt und meiner Schwiegermutter hat er entschieden, dass er dagegen nichts mehr machen lässt. Es heißt also wirklich langsam Abschied nehmen. Er bekommt jetzt Schmerzpflaster, Tropfen und Zäpfchen gegen die Schmerzen. Er ist zuhause (zum Glück!) und gestern haben wir ihn besucht. Er hatte starke Schmerzen und war ganz ruhig und schlapp. Es ist sehr schwer, das zu sehen und so machtlos daneben zu stehen. Ich hoffe sehr, dass er nicht mehr so viel leiden muss.

Wie geht es euch? Gibt es bei deiner Schwiegermutter was neues, vielleicht erfreulicheres als bei uns?

Geändert von gitti2002 (08.11.2015 um 12:14 Uhr) Grund: Vollzitat entfernt
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  #10  
Alt 31.08.2015, 19:42
Lia90 Lia90 ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Hallo Tienchen,
das tut mir sehr Leid für euch! Ich hatte schon befürchtet, dass du keine guten Neuigkeiten haben wirst, nachdem du länger nicht hier warst.
Bei uns ist die Situation etwas besser, aber auch nicht wirklich gut. Meine Schwiegermutter ist ja auch austherapiert und ihre Akte wurde bereits von der normalen auf die Palliativstation verlegt. Sie hat aber bisher Gott sei Dank keine Schmerzen und ist auch zuhause. Sie sieht aber schlecht aus, sehr dünn und kann nur mit viel Kraftaufwand und Überwindung essen. Wenn sie sich dann immer wieder übergeben muss bzw. Schleim spuckt, ist das echt schlimm mitanzusehen.
Ich kenne das Gefühl, das Leid zu sehen und nicht helfen zu können leider auch sehr gut. Das ist schrecklich.
Ich wünsche euch, dass die Schmerzen deines Schwiegervaters möglichst gut in Schach gehalten werden können, damit er nicht allzu sehr leiden muss...!
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  #11  
Alt 14.09.2015, 15:28
Lia90 Lia90 ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Tienchen, ich hoffe es ist kein allzu schlechtes Zeichen, dass du lange nicht mehr hier warst? Wie geht es euch?

Lg Lia90
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  #12  
Alt 07.11.2015, 15:27
Tienchen Tienchen ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Hallo Lia,
es ist toll zu sehen, dass du immer wieder an uns gedacht hast. Ich hoffe, dir geht es gut! Und ich hoffe auch, dass ihr noch nicht durch das durch musstet, was wir seit Ende September erleben.

Gut daran ist vielleicht, dass wir zwischen der Diagnose der Lungenmetastasen und dem Tod meines Schwiegervaters nur 6 Wochen in dem Wissen gelebt haben, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Was daran schlecht ist, das muss ich in einem Forum wie diesem wohl nicht mal beginnen aufzuzählen. Es ging alles so wahnsinnig schnell und war zu dem Zeitpunkt so plötzlich. Ich brauchte jetzt einige Zeit, um meinen Mann und meine Schwiegermutter zu unterstützen, ganz viel Ablenkung und somit auch Abstand von diesem Forum. Es fiel und fällt mir schwer, dieses Wort 'Krebs' zu lesen. Aber jetzt möchte ich diese letzten Wochen aufschreiben, damit ich sie nachlesen kann (ich musste schon hier nachsehen, weil ich die Zeiträume gar nicht mehr einschätzen konnte. Ich hatte keine Daten mehr in Erinnerung, wann welche Hiobsbotschaft kam) aber auch, damit ihr wisst, was vor sich ging. Ihr habt mir so viel Anteilnahme gezeigt, obwohl ihr in ähnlichen Situationen seid. Dafür möchte ich nochmal danke sagen!

Die letzte Whatsapp-Nachricht von meinem Schwiegervater erreichte mich am 20. September. Darin schrieb er, dass er Fortschritte macht und seit 6 Tagen richtige Nahrung zu sich nimmt. Vorher hat er wochenlang nur noch an der künstlichen Nahrung gehangen. Er schrieb von Kartoffelsuppe und jedes Mal, wenn ich die nun koche, denke ich ganz besonders an ihn. Ich machte mir an diesem 20.9. schon meine Gedanken, weil ich viel gelesen hatte von diesem "Hoch vor dem Ende". Aber ich drängte den Gedanken weg. Es war ja erst ein Monat vergangen, seit der Arzt sagte, dass eine Behandlung unmöglich sei und wir hofften auf ein letztes gemeinsames Weihnachten, vielleicht träumten wir sogar noch davon, seinen Geburtstag im März mit ihm zu feiern. Als es ihm 'so gut' ging, bat er meinen Mann um Karten für das nächste Heimspiel unseres Vereins. Er wollte noch ein letztes Mal ins Stadion. Das Spiel war am 26.9. - aber er durfte sein Stadion nicht mehr sehen. Am 25.9. rief er nach einer schrecklichen Nacht den Notarzt, er kam mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus. Wir sind noch am selben Nachmittag zu ihm gefahren, zum Glück wusste ich da noch nicht, dass es das letzte Mal sein würde, dass ich ihn bei Bewusstsein sehen würde. Er schien es im Nachhinein gewusst zu haben. Er hat uns vieles gesagt: dass er uns bitten wollte, ihn mit zu meiner Familie nach Norddeutschland zu nehmen, weil er mal sehen wollte, wo ich aufgewachsen bin. Dass er dort nochmal mit meinem Opa ein Bier trinken wollte, weil sie sich bei unserer Hochzeit so gut verstanden haben. Dass er doch so gerne nochmal ins Stadion gegangen wäre. Dass er ständig mit meiner Mutter über Fußball schreibt. Und kurz bevor wir uns verabschiedeten, sagte er, dass wir seine Engel sind. Nichts tröstet mich mehr als die Erinnerung an diesen Satz. Wir waren für ihn da, das ist alles, was man seinem lieben Menschen in dieser Situation geben kann. Mein Mann ging am nächsten Tag mit seiner Mutter zum Fußballspiel und besuchte ihn nochmal. Trotz Antibiotikum ging es ihm immer schlechter. Am Morgen des 29.9. kam der Anruf, den ich wohl nie vergessen werde: meine Schwiegermutter, die mich bei der Arbeit anrief und mir sagte, dass ich unbedingt meinen Mann erreichen muss und er sofort ins Krankenhaus kommen soll. Mein Schwiegervater lag im Sterben. Schon in der Nacht ging es ihm sehr schlecht und am Dienstagmorgen haben die Ärzte nochmal nachgesehen, wie weit der Krebs inzwischen fortgeschritten ist. Laut meiner Schwiegermutter haben sich die Ärzte sehr erschrocken. Der Krebs war schon den Rachen hinauf gewandert. Aus der Narkose ließen sie ihn gar nicht mehr richtig aufwachen, er bekam sofort viel Morphium, um ihm diese Schmerzen zu ersparen. Zum Glück habe ich tolle Kolleginnen, sodass ich mittags gehen durfte und es noch rechtzeitig ins Krankenhaus schaffte. Als ich ankam, war er gerade von der Intensivstation geholt und in ein Sterbezimmer gebracht worden. Er atmete so schwer, in den ersten Nächten habe ich von diesem Atmen geträumt. Es hörte sich so schrecklich an. Die Ärztin hat uns versichert, dass es sich nur für uns so schlimm anhört, dass er davon aber nichts merkt. Er reagierte nur auf zwei Dinge: auf seinen Namen, da öffnete er ganz kurz die Augen. Und auf den Kampfspruch unseres Vereins: da öffnete er die Augen, lächelte und nickte, als wollte er antworten. Er hat lange gebraucht, um loslassen zu können. Am Nachmittag sind die meisten gegangen (er hatte vier Söhne, da standen also eine Menge Leute hilflos um ihn herum), nur meine Schwiegermutter, mein Mann und ich waren noch da. Wir haben sie in die Cafeteria geschickt, damit sie etwas essen konnte. Das waren unsere letzten Minuten allein mit ihm. Wir saßen einfach neben ihm, hielten beide seine Hand und konnten uns nur weinend unseren Gedanken hingeben. Als meine Schwiegermutter wieder da war, haben wir uns verabschiedet. 40 Minuten später ist er gestorben. Es war, als hätte er nur gewartet, bis er endlich mit seiner Frau allein war.

Am nächsten Morgen frühstückten wir mit ihr und ließen uns von diesen letzten 40 Minuten berichten. Bestattet wurde er erst am 16.10. und einen Tag später stand das erste Heimspiel seit seinem Tod an. Der Stadionsprecher hat in der Halbzeit kurz von ihm gesprochen. Das war fast emotionaler als die Trauerfeier. Tja und seitdem versuchen wir irgendwie klarzukommen. Ich denke, es wäre leichter, wenn man wüsste, dass er keine Hoffnung mehr hatte. Dass er nicht mehr leben wollte. Aber er wollte noch nicht gehen, er hat sich bis zum Ende gewehrt. Das sieht man schon daran, dass er auf der Intensivstation beatmet wurde, damit alle Angehörigen noch mal zu ihm konnten, er aber als alle da waren noch 3-4 Stunden ohne Hilfe atmete. Er hatte noch so viel vor. Und ich hätte ihm so sehr gegönnt, dass er seine Enkelkinder kennenlernen kann. Es tut mir jetzt schon leid für meine Kinder, dass sie diesen tollen Opa nicht kennenlernen dürfen. Das war mir aber auch gleichzeitig der einzige Trost: dass ich meinem Mann sagen konnte, dass wir alles richtig machen, wenn unsere Kinder nur halb so fröhlich, liebenswert, offenherzig, großzügig und dankbar werden wie ihr Opa.
Nicht jeder ist mit 24 Jahren schon verheiratet. Ich bin froh, dass ich es bin, denn weil wir uns schon so lange kennen, hatte ich 5 Jahre mit meinem Schwiegervater, ich kenne ihn nicht nur aus Erzählungen, ich kann selbst Geschichten von ihm erzählen und mich an einen Menschen erinnern, der mir sehr am Herzen liegt und den ich gegen keinen anderen Schwiegervater der Welt, sei er auch noch so gesund, jemals eintauschen wollen würde.

Ich vermisse dich, Klaus, jeden Tag, so sehr.
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  #13  
Alt 08.11.2015, 15:10
Lia90 Lia90 ist offline
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Beiträge: 100
Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Hallo Tienchen,

mein allerherzlichstes Beileid! Ich musste oft an dich denken und habe schon befürchtet, dass es euch nicht gut geht und du keine guten Nachrichten hast. Das tut mir wirklich wahnsinnig Leid für euch

Wir sind ja etwa im selben Alter, ich bin zwar nicht verheiratet, aber auch ich kenne meine Schwiegermutter nun etwas mehr als 5 Jahre und kann es daher sehr gut nachempfinden, dass es ein schönes Gefühl ist, diesen Menschen persönlich gekannt und gemocht zu haben, eigene Erinnerungen an ihn zu haben und von ihm erzählen zu können. Das kann dir keiner mehr nehmen! All die schönen Erinnerungen bleiben.

Mit meiner Schwiegermutter geht es leider auch immer mehr bergab. Sie behält kein Essen mehr in sich, erbricht nach fast jedem Bissen, wird nun seit etwa 2 Monaten zusätzlich künstlich ernährt und hat kaum noch Kraft um aufzustehen. Ich habe Angst, dass wir in absehbarer Zeit denselben Weg gehen müssen, den ihr gerade hinter euch habt. Die Ärzte haben keine Hoffnung mehr und trotzdem redet man es sich als Angehöriger immer wieder schön...

Ich kenne das mit dem Abstand zum Forum, auch ich kann und will hier manchmal einfach nicht reinsehen.
Ich wünsche euch viel Kraft zum Verarbeiten eurer Trauer und dass ihr euch in dieser schweren Zeit gegenseitig Halt schenken könnt und zusammenrückt, um das weiterhin gemeinsam durchzustehen.

Ganz liebe Grüsse
Lia90
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magenkrebs, mann, rat, schwiegervater, verschlossen


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