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  #16  
Alt 14.12.2005, 13:33
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Zwei Jahre danach...

Die Nacht war relativ ruhig, Du warst nicht so oft wach, und dementsprechend bekam ich auch mehr Schlaf.
Sonntags konntest Du dann wieder vieles alleine machen. Du hattest Besuch zum Adventskaffee eingeladen, und ich war für den 60. Geburtstag von Cons Mutter gebucht. Du meintest, Du würdest bis morgen alleine klarkommen, ich solle in meinem eigenen Bett schlafen und Montags vorbeikommen.

Wir haben noch zusammen Mittag gegessen, und ich habe Dir alles vorbereitet für den Nachmittag und den Abend. Du hattest so unglaublich kalte Hände und Füße, und nichts half... Warm einpacken hat überhaupt nichts genutzt, und Wärmeflasche war wegen der Diabetes nur eingeschränkt möglich. Nebenwirkungen der Chemo... Schmerzen hattest Du auch, aber dagegen konnten wir wenigstens was machen, Du hast Tropfen genommen, und ich habe Dir den Rücken eingerieben.
Mit sehr gemischten Gefühlen bin ich dann nachmittags gegangen...

Die Geburtstagsfeier war recht nett, doch ich war in Gedanken mehr bei Dir als sonstwo, würdest Du wirklich alleine klarkommen ? die letzten Tage warst Du abends doch recht schwach, würdest Du die Treppe nach oben in Dein Schlafzimmer schaffen ?
Gegen neun war ich dann so unruhig, daß ich beschlossen habe, wieder zu Dir zu fahren und bei Dir zu schlafen. Ich habe Dich angerufen, das übliche, nicht nötig, es geht doch, aber wenn ich meine... Ja, Mama, ich meinte...

Meine zwei Lieben waren ein bißchen enttäuscht, hatten sich gefreut, mich mal wieder zu hause zu haben. Aber sie haben beide verstanden, daß ich zu Dir fahren 'mußte'...
Als ich dann bei Dir war warst Du glaube ich sehr froh, auf jeden Fall hast Du Dich gefreut. Du hattest einen netten Nachmittag mit Deiner Freundin, sie hat alles gemacht, Du mußtest nicht mal vom Sofa aufstehen, es hat Dir viel Freude gemacht, und Du warst guter Dinge. Während der ganzen Zeit haben Dich immer wieder Freunde, sogenannte und sehr wenige echte, angerufen... Meist waren die Gespräche für Dich eher belastend, Menschen können so unglaublich taktlos und dumm sein... Für Dich war aber glaube ich ganz wichtig, daß man an Dich dachte. Besucht haben Dich nur wenige, auch so ein Phänomen, das wohl nahezu alle Krebskranken kennenlernen...
Wie haben noch eine Weile geschwatzt, und dann habe ich Dich ins Bett gebracht. Am nächsten Morgen war der Ultraschall geplant, die Mutter einer Freundin von mir wollte uns hinfahren.


Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
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Johann Gottfried Herder
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  #17  
Alt 19.12.2005, 09:33
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Zwei Jahre danach...

Du warst sehr geschwächt, und streckenweise hatte ich Angst, wir würden es nicht bis in die Praxis schaffen.

Während Deiner Blutabnahmen habe ich kurz mit dem Arzt gesprochen, er hat nicht verstanden, warum Du so sehr abgebaut hattest. Dein Blutbild von Freitag war sehr gut, sogar die Leberwerte waren gut, er hoffte, über den Ultraschall etwas herauszufinden.

Er hat mich gefragt, wie es denn zu hause geht, Du konntest ja kaum ein paar Schritte laufen... Ich habe ihm gesagt, daß Du nicht ohne Hilfe das Bett verlassen kannst und daß Du Abends auf der Treppe nicht so gut alleine nach oben kommst. Er hat dann den Ultraschall gemacht und mit Dir gesprochen. Dann hat er mich ins Untersuchungszimmer geholt, Du hast geweint, warst ziemlich fertig. Er hatte Dir gesagt, daß Du dringend ein Pflegebett brauchst, weil das mit Deinem Bett nicht mehr geht... Einerseits hast Du mir in dem Moment sehr leid getan, Mama, andererseits war ich sehr erleichtert, daß er das einfach so gemacht hat... Ich habe Dich kaum noch hochbekommen aus dem Bett, wenn es nachts schnell gehen mußte, das war für uns beide nicht schön, und mein Rücken war ein einziger Dauerschmerz. Er hat versucht, Dir die Vorteile darzulegen, mehr Selbständigkeit war glaube ich das Zauberwort... Du warst zwar nach wie vor schockiert, aber Du hast schon auch gesehen, daß das für den Moment die bessere Lösung sein würde.

Mittags hattest Du Besuch, ein ehemaliger Kollege von Papa, der Kontakte bei der Krankenkasse hatte. Er hat mir sofort Tips gegeben und auch gleich seine alten Kontakte angerufen, um die Sache zu beschleunigen. Seine Frau hat Dich ein bißchen beruhigen können, sie fand das mit dem Bett gar nicht schlimm, für eine Übergangszeit, bis es Dir besser gehen würde... Abends warst Du wieder recht guter Dinge, und Du hast überlegt, wo das Bett stehen sollte...

Am nächsten Tag würde der Hausarzt vorbeikommen, er hat Dir zusätzlich Kochsalzinfusionen verschreiben, wollte Dich ein bißchen aufbauen für die nächste Chemo. Außerdem war wieder Besuch angesagt, auf den Du Dich sehr gefreut hast.


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Johann Gottfried Herder
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  #18  
Alt 19.12.2005, 10:58
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Tschüss Papa

Hast Du Mama abgeholt, heute vor zwei Jahren ?
Hättest Du sie wiedersehen wollen ?
Hast Du sie geliebt ?
Hast Du Dein Leben geliebt ?

Willst Du mich wiedersehen, irgendwann ?
Bist Du noch 'irgendwo' ?
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  #19  
Alt 19.12.2005, 16:04
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Zwei Jahre danach...

Mittags kam Dein Arzt vorbei und legte die Infusion an, wenn sie durchgelaufen ist, muß man den Schlauch abmachen und die Kanüle verschließen, ganz einfach... Es hat einen Moment gedauert, bis ich verstanden hatte, daß die Erläuterungen für mich bestimmt waren... Ich war gelinde gesagt verunsichert, bei meinen eigenen Spritzen kann ich kaum hinschauen, Blut sehen ist auch nicht ganz so meins, und jetzt sollte ich an Deiner Kanüle...
Ich erinnerte mich an eine Situation mit Papa, damals im Krankenhaus, da hat er an seiner Kanüle und den Infusionsschläuchen herumgemacht, das ganze Bett war voll Blut und ich in großer Angst, er könnte verbluten bis die Schwester kommt... Bei Dir würde ich nicht einmal eine Klingel haben...
Du hast das ganz locker gesehen, das würde ich schon schaffen. Ich war sehr überrascht von dieser Einschätzung, hätte nicht gedacht, daß Du derartiges Vertrauen in mich setzen würdest.
Als der Moment dann gekommen war, ging es ganz gut, Dein Besuch und Du, ihr wart voll Bewunderung für mich, wie locker und gut ich das hingekriegt hätte... Ich war schweißgebadet und hatte das Gefühl, ich würde zittern, doch meine Hand war wohl tatsächlich ziemlich ruhig.

Für den nächsten Tag hatte ich Termine, Krankenkasse, Sanitätshaus,... Eine Freundin hat sich um Dich gekümmert, für ein paar Stunden ging das. Sie hatte Angst, daß sie nicht schaffen würde, Dich zur Toilette und zurück zu bringen, Du hast das wohl gespürt, bist die ganze Zeit auf dem Sofa geblieben, und so hat das hingehauen.
Abends habe ich Dich wieder zum Essen 'genötigt', Du warst ziemlich unzufrieden mit mir... Doch Du hattest wieder Stuhlgang, fühltest Dich auch ein bißchen besser, wir dachten beide, es geht aufwärts... Also, nicht nachgelassen...

Mama, wenn ich gewußt hätte, daß es Deine letzte Mahlzeit war, ich hätte Dich nicht so traktiert...

Später kam dann eine Freundin von mir vorbei, weil ich es nicht mehr geschafft habe, Dich allein nach oben zu bringen.
Du wolltest dann noch am Schlafzimmerfenster eine Zigarette rauchen. Mama, hast Du gewußt, daß es der letzte Blick in Deinen Garten war ? Daß Du nach dieser Nacht nicht mehr aufstehen würdest ?


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  #20  
Alt 20.12.2005, 09:43
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Zwei Jahre danach...

Es war eine unruhige Nacht, Du hattest ständig das Gefühl, Du müßtest zur Toilette, gegen Morgen habe ich dann nicht mehr geschafft, Dich aus dem Bett zu kriegen. Du hattest keine Kraft mehr, konntest nicht helfen, und ich hatte seit vier Nächten fast nicht geschlafen, ich spürte keine Energie mehr in mir.
Ich habe Dir eine Schüssel geholt, und so ging es dann auch im Sitzen im Bett einigermaßen...

Mama, wenn ich mich an diese Minuten erinnere, kann ich noch heute meine Verzweiflung von damals spüren. Du hast das nicht mitbekommen, warst froh, wieder zu liegen, und ich konnte verhindern, daß Du die Schüssel siehst...
Ich habe Deinen Hausarzt zu Hause angerufen, er hat versprochen, sofort zu kommen. Danach hat mich die Kraft verlassen... Ich habe eine Freundin angerufen, sie wollte ohnehin kommen, um mir zu helfen, Dich wieder auf Dein Sofa zu bringen. Ich konnte kaum einen klaren Satz formulieren, habe geweint, ich war fertig... Kurz darauf war Con da, Kind bei Oma, Arbeit abgemeldet... Warum ich denn nicht angerufen hätte ? Warum habe ich denn nicht ganz klar gesagt, wie 'schlimm' das alles ist ? Warum hatten wir nicht längst einen Pflegedienst zur Unterstützung ?
Ich dachte, ich schaffe das, wollte Dir fremde Leute im Haus ersparen, Mama... Ich hatte keine Vorstellung davon, wie anstrengend es sein würde. Und bis zu diesem Moment war es mir auch gar nicht so arg vorgekommen.

Dein Arzt kam, hat Dir eine Infusion angelegt und Bettruhe verordnet. Danach haben wir uns zusammengesetzt... Er versuchte, mich zu beruhigen... Blutungen seien nichts ungewöhnliches, und das sei nun auch nicht mehr das Problem. Du würdest gehen in den nächsten Tagen, Dein Sterben hatte begonnen... Er konnte das selbst nicht so recht fassen, gestern waren wir noch in seiner Praxis, so schnell hatte er das nicht kommen sehen. Falls ich ihn brauchen sollte, könnte ich ihn jederzeit anrufen, er würde mittags auf jeden Fall nochmal vorbeikommen.

Ich habe dann den Pflegedienst angerufen, den wir wegen der Spritzen schon hatten, habe die Situation kurz geschildert, es war kein Problem, das 'Deine' Schwester vorbeikommen würde...


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  #21  
Alt 21.12.2005, 16:56
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Zwei Jahre danach...

Nachdem die Infusion durchgelaufen war und ich die Kanüle wieder zu hatte, wolltest Du unbedingt aufstehen... Wir hatten zu dritt alle Mühe, Dich im Bett zu halten, abwechselnd waren wir bei Dir, Lippen feucht halten, aufdecken, zudecken... viel konnten wir nicht tun... schlucken konntest Du nicht so gut, also haben wir ein Infusionsset umgebaut, das ging recht gut, und immer wieder Deine Versuche, die Beine aus dem Bett zu kriegen... Ach, Mama... Du hast mir so leid getan, und ich habe das Sanitätshaus verflucht. Wenn wir das Pflegebett schon gehabt hätten, hättest Du wenigstens unten liegen können, mit Blick in Deinen Garten...

Mittags dann Dein letzter energischer Moment... völlig unvermittelt hast Du auf die Frage, ob Du nicht doch mal was trinken willst, gesagt 'ich will jetzt Capuccino'... wir haben alle sehr gelacht, für einen kleinen Moment war die Anspannung ein bißchen gelöst... und natürlich hast Du Deinen Capuccino bekommen, leider konntest Du ihn kaum trinken, nur ein paar Tropfen...

Nachmittags kam Dein Arzt nochmal, mittlerweile hattest Du 'aufgegeben', unbedingt aufzustehen... Er fragte mich, wie das jetzt weitergehen solle. Er hatte mit Deinem Onkologen gesprochen, Du könntest in ein Krankenhaus, rein palliativ, keine Lebensverlängerung, nur Erleichterung, und ich könnte auch die ganze Zeit dableiben... Du wolltest in kein Krankenhaus mehr, also würde ich Dich auch in keines bringen. Er hat mir trotzdem eine Einweisung geschrieben, für alle Fälle, und meinte, ich solle nochmal in seine Praxis kommen. Als ich dann später ging, hast Du die anderen ziemlich genervt... wo ich sei, wann ich denn endlich komme...

In der Praxis hat er mir dann ein Päckchen Morphiumpflaster in die Hand gedrückt, falls Du Schmerzen bekommen würdest, sollte ich die aufkleben, es spiele keine Rolle mehr, wie viele, Hauptsache schmerzfrei. Er würde bis zum nächsten Tag abends erreichbar sein, dann nicht mehr. Er meinte, spätestens am Wochenende würdest Du gehen... Als ich schon auf dem Weg raus war, fragte er mich, ob ich schon einmal beim Tod eines Menschen dabei war. Nein, war ich nie... wollte ich auch nie... wollte ich auch damals nicht... wer will das schon. Er hat mir gesagt, wie das sein kann...

Ich bin dann wieder zu Dir gegangen, Du warst sehr müde und sehr unzufrieden... wo war ich denn die ganze Zeit... zum Glück konnte ich eine Apothekentüte vorweisen, Betteinlagen... was hätte ich Dir denn sagen sollen...

Abends habe ich dann Dein Patenkind angerufen, sie wollte am nächsten Tag vorbeikommen... ich hatte das Gefühl, daß das zu spät sein würde, um mit Dir zu reden... Sie kam sofort vorbei, ihr habt ein bißchen geredet, sie hat ein bißchen geweint...

Ich lag mit Dir in Deinem Bett, und urplötzlich sagtest Du 'jetzt muß ich sterben'... Totenstille im Raum... und ich höre mich noch heute sagen 'ja, Mama, das ist wohl so... willst Du hier bleiben, in Deinem Bett ? wenn Du das willst, dann schaffe ich das auch' und Du sagtest 'ja'...
Du warst sehr unruhig, und irgendwann in der Nacht habe ich Dich wieder mal gefragt, ob Du Schmerzen hast... Du sagtest 'Barbara, Du mußte nicht mehr mit mir sprechen, ich bin doch tot'... Nein, das warst Du nicht, Du warst zwischen den Welten, nicht mehr ganz hier und noch nicht dort. Und das habe ich Dir auch gesagt... und Dich gefragt, ob Du Dich darauf freust, Deine Eltern wiederzusehen...
Nach einer Zeit hast Du mich weggeschickt, ich solle schlafen gehen, ich sei müde und müsse schlafen... Und so bin ich auf mein Lager, Con lag in einem Sessel am Fußende, und meine Freundin auf dem Boden vor Deinem Bett, damit Du nicht rausfallen könntest. Sie würden mich wecken, wenn nötig...


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  #22  
Alt 25.12.2005, 09:43
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Zwei Jahre danach...

Nach sechs Stunden Tiefschlaf bin ich aufgewacht. Du hast geschlafen, Con war schon wach und hatte Kaffee gekocht. Deine Nacht war unruhig, aber Du hattest allem Anschein nach keine Schmerzen.
Dein Arzt kam vorbei, Du bist von der Klingel aufgewacht. Infusion wolltest Du keine mehr, überhaut wolltest Du gar nichts, nur in Ruhe und alleine gelassen werden. Wir konnten Dich kaum verstehen, und Du warst ziemlich unzufrieden, doch irgendwann hatten wir es verstanden... Alle raus, Du woltest allein sein und sterben...
Später hat dann das Sanitätshaus angerufen, sie wollten das Pflegebett liefern. Ich habe abgelehnt. Für die Stunden, die Dir noch blieben, wollte ich Dir keinen Transport durch das enge Treppenhaus zumuten. Con hat mich bestärkt in der Entscheidung, Du warst kaum mehr ansprechbar, und Du würdest Dein Wohnzimmer nicht mehr genießen können, also wofür eine solche Tortur, zumal wir zumindest einen fremden Helfer gebraucht hätten...
Als Deine Pflegerin kam, haben wir nur das Nötigste zusammen gemacht, Du hast protestiert und wieder mit Nachdruck verlangt, alleine zu sein...

Die Sonne schien Dir ins Gesicht, ich wollte den Rolladen soweit herunterlassen, daß Du nicht geblendet wurdest... Du hast sofort protestiert, Laden oben und Fenster auf und alle raus...
Ach, Mama... Abwechselnd haben wir oben vor der Schlafzimmertür gewacht, falls Du rufen würdest, wollte ich sofort bei Dir sein... Ein paar Mal habe ich versucht, zu Dir rein zugehen, einmal hast Du mich auch für einige Zeit an Deinem Bett behalten. Du warst sehr unruhig, alles schien Dich zu stören. Wir haben dann die Betteinlage gegen ein Handtuch ausgewechselt, und Du wurdest ein bißchen ruhiger. Dein Körper hat gekämpft, Atemzug um Atemzug, mittags warst Du überhaupt nicht mehr ansprechbar, doch immer noch wurdest Du sehr unruhig, wenn einer von uns zu Dir ins Zimmer kam und blieb.
Ich war sehr unsicher, wollte Dich nicht alleine lassen, wer will schon alleine sterben. Doch Con meinte, wir sollten das respektieren, es sei schwer für Dich, zu gehen, und offenbar war es noch schwerer, wenn Du nicht allein warst.
Ich saß auf Deiner Terrasse, rauchte, und ständig ging das Telefon... Ich bin immer wieder mal zu Dir gegangen und habe Dir die Grüße ausgerichtet, ich glaube, daß Du das auch irgendwie mitbekommen hast, zumindest warst Du ruhig in der Zeit. Nur bleiben durfte ich nicht.

Irgendwann zwischen zwei und drei hatt ich plötzlich ein merkwürdiges Gefühl... Ich 'mußte' an Dein Stammbuch denken. Ich wußte, es lag im Haustresor, wo der Schlüssel lag, wußte ich nicht.
Meine Beine trugen mich in den Keller, meine Hände lösten die Wandverkleidung vor dem Tresor, und dann faßte ich in eine Nische (in der ich im Leben nicht gesucht hätte), zog den Tresorschlüssel heraus und holte Dein Stammbuch aus dem Tresor... Und dann war ich wieder 'Ich'...
Ich ging nach oben, um Con zu erzählen, was geschehen war... Con war auf dem Weg zu mir... Du warst extrem unruhig gewesen für einige Minuten und jetzt plötzlich ganz ruhig, kein Kampf mehr... Ich habe mich gefragt, ob Du meinetwegen kämpfen mußtest, solange, bis ich endlich die Ruhe hatte, mich ein wenig zu entspannen... Ich hatte etwas derartiges vorher noch nie erlebt. Rein theoretisch hätte ich es wohl für möglich gehalten... vielleicht...
Ich war nun auch viel ruhiger. Ich bin zu Dir gegangen und habe Dir gesagt, daß ich das Stammbuch nun habe. Du hast das ja längst gewußt... Und ich habe Dir gesagt, daß ansonsten soweit alles klar ist, ich würde mich zurechtfinden. Dann habe ich mich eine Weile neben Dein Bett auf den Fußboden gesetzt und Deine Hand gehalten. Du hast sie mir nicht lange gelassen und wurdest dann auch wieder unruhiger, bis ich wieder rausgegangen bin.

Kurz nach halb fünf habe ich plötzlich daran gedacht, daß der Rolladen bei Dir um fünf automatisch runtergehen würde. Also bin ich nach oben gekommen, um den Stecker rauszuziehen...
Und so warst Du dann bei Deinen letzten Atemzügen doch nicht allein. Im ersten Moment war ich nicht sicher, hatte nur das Gefühl, Du gehst... Nach diesem langen Kampf war es ein ruhiges Ende.
Bis neun haben wir Dich zu hause behalten, die ganze Zeit war der Rolladen oben und das Fenster gekippt, ich habe Dir eine Kerze ans Bett gestellt, und wir waren immer wieder bei Dir.

Ich bin zu den zwei Nachbarn gegangen, die auch in den letzten Wochen noch menschlich waren und den Kontakt zu Dir gehalten haben. Die meisten haben – wenn überhaupt – mich immer wieder gefragt, wie es Dir geht, nicht angerufen, nicht vorbeigekommen, ‘sowas‘ schaut man sich wohl nicht an... Ich fand das sehr traurig für Dich, Du auch, ich weiß... Die Nachbarn, denen Du über Jahre so viel Einfluß auf Dein Leben eingeräumt hattest, deren Meinung Dich immer wieder verletzen konnte... Sie alle waren viel zu feige, um sich bei Dir zu zeigen, es war aber gewiß besser so, es hat völlig gereicht, daß ich mir die dummen Sprüche angehört habe.

Als der Bestatter kam, ist Con mit nach oben gegangen, ich wollte nicht dabeisein, wenn sie Dich die Treppe hinunter aus Deinem Haus tragen. Ich habe dem Wagen noch nachgeschaut, Mama, innerlich für einen Moment völlig leer. Es war vorbei.


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