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  #1  
Alt 24.10.2010, 13:19
Jojo73 Jojo73 ist offline
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Hallo zusammen!

Viele von Euch sagen, es sei hilfreich, sich hier seine Sorgen von der Seele zu schreiben. Ich versuche es mal.

Die Diagnose - Adenokarzinom am Gebärmutterhals- bekam ich im August, die OP war Anfang September. Von dem Tag an wußten die Menschen in meiner Umgebung nicht mehr mit mir umzugehen. Meine Eltern waren sooo hilfsbereit und besorgt, dass es fast schon nervig war. Ich fühlte mich doch gar nicht krank und mir tat auch nichts weh (zumindest bis zur OP nicht). Meine Freundinnen (bis auf eine) haben mich nicht einmal im Krankenhaus besucht. Allenfalls bekam ich eine SMS - telefonieren war wohl zu persönlich. Ich fühlte mich wie eine Aussätzige.

Eine knappe Woche nach der OP kam dann der Befund der Pathologie: Keine der entnommenen Lymphknoten waren befallen und auch die Blase hatte nichts abbekommen. Das war doch wohl die beste Nachricht, die man mir hätte überbringen können!!! Von dem Moment an brach ich jedoch in mich zusammen. Ich konnte nicht aufhören zu heulen. Selbst heute nach der Reha schaffe ich es nicht, mich freiwillig unter Menschen (ausgenommen meine Kinder und meine Familie) zu begeben. Ich verkrieche mich und bin fast schon depressiv. Warum komme ich aus dieser Tretmühle nicht wieder heraus? Wieso muss ich ständig heulen?

Mein Freund hält mir vor, dass er feiern wolle, dass alles raus ist und nichts geblieben ist. Dass er das so aber nicht könne, wenn ich immer so ein Gesicht ziehe... In meinem Herzen ist aber etwas geblieben. Ich kann es nicht beschreiben, aber ich bekomme es auch nicht heraus.

Nächste Woche ist mein Scheidungstermin. Mein Mann versucht, die Kinder jedes Wochenende bei sich zu haben (in der Woche muß er ja arbeiten). Es wird eine mündliche Anhörung stattfinden und auch ich werde aussagen müssen. Mir graut es wahnsinnig davor. In vier Wochen soll ich wieder arbeiten. Ich würde am liebsten nicht mehr dorthin zurückgehen!

Mit meinen Angehörigen kann ich darüber nicht sprechen. Sie sagen lediglich, ich soll froh sein, dass nichts mehr ist.

Klar, ich habe zwei gesunde Kinder und mein Freund auch! Aber wir wollten vielleicht noch ein Baby. Diese Entscheidung hätte ich gerne selber gefällt. Soll ich auch darüber froh sein, dass ich nun keine Möglichkeit mehr habe, diese Entscheidung zu treffen?
In der Reha sagten Sie mir dazu nur, dass ich für eine Schwangerschaft eh schon ziemlich alt sei, dass es die Risiken erheblich erhöht hätte... Vielleicht sei es besser so....
Es fällt mir so schwer, dass zu akzeptieren.

Ich würde gerne so vieles in meinem Leben ändern, jedoch lassen dass meine Lebensumstände im Moment nicht zu. Manchmal liege ich auf dem Bett und kann Stunden lang die Decke anstarren. Wenn mich dann jemand fragt, woran ich denke, kann ich darauf keine Antwort geben...

Früher bin ich gerne feiern gegangen. Heute gehe ich lieber alleine im Park spazieren. Meine Freundinnen lobten an mir immer, dass ich "meinen Rucksack" zu Hause lassen konnte. Jetzt gelingt mir das nicht mehr und schon steh ich da... Auf gewisse Leute reagiere ich nun sehr empfindlich. Mag sie nicht sehen...

Meine Kinder mußten 9 Wochen auf mich verzichten, bzw. konnten mich immer nur kurz besuchen. Für sie wollte ich ganz schnell wieder nach Hause. Wie schaffe ich es bloss, die Mama für die beiden zu sein, die ich "vorher" war?

Dank Euch für's zuhören!
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  #2  
Alt 24.10.2010, 14:05
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nikita1 nikita1 ist offline
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Liebe Jojo,
Willkommen im Forum, auch wenn wir lieber in anderen freudigeren Foren schreiben würden.
Doch hier ist genau der richtige Platz, um Probleme zu besprechen, die ausserhalb niemand versteht.

Was du beschreibst, kommt mir bekannt vor, hatte auch eine Adeno.
Auch ich funktioniere in der "gesunden" Welt nicht mehr, wie vor der Erkrankung.
Hektischer Aktionismus wechselt sich ab mit Phasen, wo ich niemanden sehen oder hören will. Nix macht mehr so richtig Spass.

Gut, ich versuche es: reise, arbeite, halte die Wohnung in Schuss (nun ja, einigermassen), unterstütze meine Jungs beim Studium, erstelle Webseiten (das einzige, wozu ich mich aufraffen kann) aber im Inneren bin ich immer nur genervt, leer, ausgepumpt... und weiss nicht warum.
Ja, warum kann ich das Leben nicht mehr geniessen ????? Das frage ich mich jeden Tag und finde keine Antwort.

Ich hatte schon ein Rezidiv, in zwei Tagen wird geschaut, ob die Bestrahlung gewirkt hat.
Vielleicht ist das der Grund: man sagt uns, wir sind geheilt, aber der Schock sitzt tief und so richtig glauben wir es nicht.
Also leben wir nur in der Warteschleife. Die Gedanken kreisen um die Krankheit und sonst um nichts.

Die anderen sind ja gesund, die können ihre Probleme auch allein angehen. Wir sind ausschliesslich mit uns und unserem unbeschreiblichen Kummer beschäftigt.

Wenn mein Rezidiv nicht gekommen wäre, glaube ich, dass sich nach einigen Jahren, wenn denn alle Nachsorgeuntersuchungen o.k. gewesen wären...mein das Leben und die Psyche, wieder normalisiert hätten.
Ich war schon nah dran, hatte mich sogar schon aus dem Krebskompass ausgeklinkt. Es hat nicht sollen sein....bin zurück und rechne nun unter den jetztigen Vorraussetzungen mit 3-4 Jahren, vorrausgesetzt, der Krebs hält die Füsse still.
Erst die Gewissheit, die Krankheit wirklich los zu sein, wird uns die Lebensfreude zurückgeben.
Manche schaffen es schneller, manche nie....
Versuche es, dir selbst einzureden, dass die Angst nicht wirklich was bringt, eventuell besuche einen Psychologen, der sich auf Onkologische Erkrankungen spezialisiert hat. Gehe das Leben in kleinen Schritten an, jede Freude, jedes Lachen ist ein kleiner Erfolg, der dich ins gesunde Leben zurückbegleitet.
__________________
Liebe Grüße
Nikita


Tapferkeit ist die Fähigkeit, von der eigenen Furcht keine Notiz zu nehmen.
George Patton
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  #3  
Alt 24.10.2010, 18:25
Jojo73 Jojo73 ist offline
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In Italien kursiert die Geschichte von einem Grafen, der sehr alt wurde, weil er ein Lebensgenießer par exellence war. Niemals verließ er das Haus, ohne sich zuvor eine Handvoll Bohnen einzustecken. Er tat dies nicht etwa, um die Bohnen zu kauen. Er nahm sie mit, um so die schönen Momente des Tages buwusster wahrnehmen und um sie besser zählen zu können. Für jede positive Kleinigkeit, die er tagsüber erlebte - zum Beispiel eine nette Konversation auf der Straße, das Lächeln seiner Frau und Lachen seiner Kinder, ein köstliches Mahl, eine feine Zigarre, einen schattigen Platz in der Mittagshitze, ein Glas guten Weines - kurz: für alles, was die Sinne erfreute, ließ er eine Bohne von der rechten in die linke Jackentasche wandern. Manche Begebenheit war ihm gleich zwei oder drei Bohnen wert. Abends saß er dann zu Hause und zählte die Bohnen aus der linken Tasche. Er zelebrierte diese Minuten. So führte er sich vor Augen, wie viel Schönes ihm an diesem Tag widerfahren war und freute sich des Lebens. Und sogar an einem Abend, an dem er bloß eine Bohne zählte, war der Tag gelungen, hatte es sich zu leben gelohnt.

Danke Nikita! Ich werde es versuchen. Gleich kommen meine Kinder von ihrem Wochenende bei Papa zurück und dafür wandern zwei Bohnen in die linke Tasche. Dir alles Liebe!

Jojo

Geändert von Jojo73 (24.10.2010 um 18:27 Uhr) Grund: Tippfehler ;-)
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  #4  
Alt 25.10.2010, 16:16
Jojo73 Jojo73 ist offline
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Hallo,

heute habe ich meinen Sohn zum ersten Mal (er wurde am 31. August eingeschult) zur Schule gebracht. Er war stolz wie Bolle - ich allerdings auch.

Der "Dorffunk" scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. Ich wurde direkt auf dem Schulflur angesprochen, wie es mir denn gehe - man sähe mir ja gar nichts an. Es war so unangenehm, da ich die Personen nicht mal wirklich kenne . Nach dem Mittagessen rief ein Vater vom Schulfreund meines Sohnes bei uns an. Er habe gehört, ich sei wieder da und ob ich körperlich denn wieder auf dem Damm sei...

Jetzt sind die Kinder unterwegs und ich weiß nichts mit mir anzufangen. Werde jetzt einen Spaziergang durch die Sonne machen.

Nikita - ich drück Dir für morgen ganz fest die Daumen!!!!!!!!!

Alles Liebe

Jojo
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  #5  
Alt 25.10.2010, 20:01
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blueblue blueblue ist offline
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Standard AW: Depriphase

Hallo liebe Jojo,

ich kann dir sehr gut nachempfinden. Wie Frau sich nach einer solchen Diagnose und Behandlung fühlt, kann wohl nur ein selbst Erkrankter wirklich verstehen.

Ich habe auch mein "altes Leben" nicht mehr wiedergefunden. Ich befinde mich derzeit noch auf der Suche nach meinem "neuen Leben" nach dem Rezidiv.

Mich hat es im März 2008 auch aus heiterem Himmel so voll erwischt, dass ich zunächst nicht wußte, was da mit mir eigentlich passiert. Alle Angehörigen, Freunde und sonst Anverwandte wußten nicht wie sie mit mir umgehen sollten. Dann kamen die Sätze, die du auch schon aufgezählt hast, mit der Zeit fand ich sie total blödsinnig und bin jedem ins Wort gefallen, der sich anschickte sich in diesen Sätzen zu üben. Ich fand sie einfach irgend wann nur noch zum .

Natürlich wußte ich, dass es alle gut mit mir meinten und trotzdem reagierte ich zum Teil sehr schroff und verletzend und hoffte hinterher immer, dass mir das niemend verübeln möchte.

Aber ich fühlte mich eben in einer ganz miserabelen psychischen Verfassung, ich befand mich irgend wie im freien Fall und ein Ende war nicht in Sicht.

Inzwischen bin ich in jeder nur denkbaren Hinsicht in umfangreicher ärztlicher und psychologischer Betreuung und das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass ich jetzt ein anderes Leben habe.

Lass dich mal

blueblue
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  #6  
Alt 26.10.2010, 10:19
Jojo73 Jojo73 ist offline
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Liebe blueblue,

es scheint in der Natur der Menschen zu liegen, sich in solchen Situationen dermaßen blöd zu verhalten. Ich überlege, wie ich reagiert habe, als meine Schwägerin mir erzählt hat, dass ihre Zellveränderung des Gebärmutterhalses schon Krebszellen waren. Keine Ahnung. Ich weiß es nicht mehr. Hoffentlich nicht genauso bescheuert, wie mir heute alle Leute vorkommen.

Vielleicht sollte ich überlegen, ebenfalls psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Irgendwie muß ich schließlich zukünftig durch den Alltag kommen, ohne einen Bogen um Menschenansammlungen zu machen.

Es ist irgendwie beruhigend zu wissen, dass es mir nicht alleine so geht. Das Leben wird nie wieder sein, wie vorher. Alle 3 Monate wird die Welt für eine Woche still stehen... Kann Frau lernen, damit umzugehen?

Dank Dir

Jojo
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