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  #1  
Alt 12.04.2007, 21:19
Carina.P Carina.P ist offline
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Unglücklich Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Ich muss jetzt hier mal eine frage stellen...
Bin ich ein schlechter Mensch, eine schlechte Tochter, weil ich meine Eltern nicht regelmäßig auf dem Friedhof " besuchen " gehe?
Mein Vater ist mitlerweile 9 Jahre Tot, meine Mutter 4 Jahre und ich glaube, man kann die Tage noch gut zählen an denen ich auf dem Friedhof war.
Vielleicht stelle ich diese Frage den Falschen, denn die vielen Beiträge, die ich bis jetzt gelesen haben waren doch alle noch relativ frisch, aber ich dachte ich wage es einfach mal.
Ich fühle mich schuldig, und ich habe ein wahnsinnig schlechtes Gewissen.
Es gehört sich doch gefälligst für ein Kind regelmäßig frische Blumen auf das Grab seiner Eltern zu stellen, vielleicht sogar ein paar Worte zu sprechen, halt einfach mal zu zeigen das man da war, und sie nicht vergessen hat, oder?
Das schlimme ist, ich weiß ja das es so sein sollte. Aber ich kann es nicht ändern und ich fühle mich verdammt schlecht dabei!!!
Ich kann nichtmal das Gefühl beschreiben das ich habe wenn ich mich doch mal auf den Friedhof traue. Ich glaube es ist gar keins. Ich sitze einfach nur da und denke an nichts.Ich bin nichteinmal traurig. Ich bin einfach nur nichts! Und dann gehe ich wieder, genauso wie ich gekommen bin...
Wenn ich zu Hause ankomme schaue ich auf die Fotos, und dann bricht alles aus mir heraus woran ich noch 5 Minuten vorher nichtmal denken konnte. Dann kommen diese Bilder von den Beerdigungen, die vielen Menschen die dort waren, die vielen leider auch teilweise unerfreulichen Ereignisse die sich überschlagen haben. Angst, Wut, Trauer, Resignation, unendliche Liebe und die Leere, die sie hinterlassen haben...
Ich habe und werde meine Eltern niemals vergessen und auch meine Liebe zu Ihnen wird niemals enden...
Ich trage sie bei mir, jeden verdammten Tag meines Lebens.Ich denke den ganzen Tag an sie, frage mich was sie jetzt wohl grad auf "ihrer Wolke" machen, ob es ihnen gut geht. Und wenn ich mit ihnen sprechen möchte, dann tu ich das, egal wo ich grade bin.
Verletze ich sie damit, nicht täglich an ihren Gräbern zu stehen, wenn ich doch gar nicht dahin muss um sie zu Lieben, an sie zu denken und ihnen ganz Nahe zu sein?
Verletze ich meine Pflicht als Tochter?
Verletze ich meine Pflicht als Mensch?
Ich weiß es einfach nicht, und ich hoffe, dass es hier jemanden gibt der mir irgeneine Antwort darauf geben kann.
Bin ich ein schlechter Mensch, oder ist das einfach nur meine Art der Trauer, meine Art damit umzugehen?


Liebe Grüße, Carina
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  #2  
Alt 12.04.2007, 21:32
Benutzerbild von iris1506
iris1506 iris1506 ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

liebe carina

du bist durchaus kein schlechter mensch, nur weil du nicht täglich zum friedhof rennst.

meine mama lebt noch bei uns, leider alzheimer stadium III, mein papa ist leider vor einem jahr gestorben.

der friedhof ist gleich bei uns um die ecke, ich kann papas grab von uns aus sehen.
im sommer, oder so wie jetzt gehe ich täglich, da gegossen werden muß.
ich sorge auch immer für ein blühendes grab und alle paar tage für frische blumen.

gefühle zeigen auf dem friedhof kann ich auch nicht.
weder spreche ich mit papa noch stimmt es mich am grab traurig.
es steht ja "nur" die urne drin.

zu hause habe ich papas bild, papas glücksbringer und ganz viele kleine persöhnliche dinge.
zu hause kann ich weinen und traurig sein. da ist mir papa viel näher als auf dem friedhof.

mache dir also keine gedanken

wenn irgendwelche leute reden sollten, höre einfach nicht hin

denn gedanken und gefühle kann keiner nachvollziehen.

liebe grüße

iris
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  #3  
Alt 12.04.2007, 21:53
Benutzerbild von oblivion
oblivion oblivion ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Liebe Carina

Mach Dir nicht so viel gedanken.Man trauert im Inneren,und jeder auf eine andere Art.Was ist besser :jeden Tag zum Grab zu gehen und Schwarz zu tragen,aber eigentlich nicht traurig sein,aber alles tun damit die Umwelt es denkt?Oder für sich selber zu Hause oder an einem anderen Platz der schöne Erinnerungen birgt um seine Lieben zu weinen und wirklich zu Trauern?Du machst es schon richtig so wie es ist.Die einen brauchen den täglichen Gang zum Friedhof die anderen können es nicht ertragen und können besser woanders Trauern.

P.S: es soll nicht heißen daß die jenigen die Schwarz tragen und zum Grab gehen nicht wirklich trauern,aber ich denke da an die für die es nur ein "Pflichtbesuch "ist.

Liebe Grüsse von Elke

www.kevin-bluemel.de.vu
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  #4  
Alt 12.04.2007, 21:54
Benutzerbild von Melanie79
Melanie79 Melanie79 ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Ich schließe mich Iris an!

Mein Vater ist erst vor einem Monat verstorben, der Friedhof ist auch bei mir quasi um die Ecke, deswegen sorge ich natürlich auch regelmäßig für frische Blumen, gieße die Schalen und Bäumchen usw.
Jedoch vergehen auch schon mal 2 oder 3 Tage, an denen ich, trotz der Nähe des Friedhof's, nicht dort bin, und wenn ich dort bin, dann fühle ich auch nichts. Sicher gibt es, so kurz nach seinem Tod, Momente in denen es mir einen Stich versetzt, dass auf dem Kreuz tatsächlich der Name meines Vaters steht. Aber nahe fühle ich mich ihm nur zuhause, in dem Haus, in dem auch er lebte oder wenn ich, wie auch ihr beide, Fotos anschaue oder an gemeinsame Momente denke.
Fühl Dich also nicht schlecht Das im Grab sind nicht Deine Eltern, sondern nur die Überreste des Körpers, der ihnen am Ende (...vielleicht?...ich weiß ja nicht wie es speziell in ihren Fall war) Schmerzen bereitete.

LG...Melanie
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  #5  
Alt 12.04.2007, 22:51
Carina.P Carina.P ist offline
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Beitrag AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Ich Danke euch allen von ganzem Herzen für eure lieben Antworten
Ich habe darüber noch mit niemandem gesprochen, vielleicht auch aus Angst vor der Antwort.
Ich habe immer erwartet das man mich ungläubig und entsetzt ansieht wenn ich so etwas sage. Jetzt zu sehen, dass es Menschen gibt, die darüber genauso denken wie ich tut unendlich gut.
Mein Bruder sagt immer, wenn ich sage das ich auf dem Friedhof war, ich sollte das nicht sagen, schließlich wäre ich bei Mama und Papa gewesen.
Ich fahre nicht dort hin um bei meinen Eltern zu sein.Ich fahre dort hin, um eine Blume auf ein Grab zu legen! Meine Eltern sind immer und überall bei mir...

Liebe Grüße an alle
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  #6  
Alt 13.04.2007, 02:49
Benutzerbild von christa Benz
christa Benz christa Benz ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Liebe Carinna,

Mein Mann starb im letzten Jahr im März.Ich habe es auch nicht weit zum Friedhof.Aber ich gehe jeden Tag hin und rede mit Ihm.Er fehlt mir so sehr.Aber frage mich mal nach neun Jahren wie e da aussieht.Man trägt trotzdem weiterhin im Herzen bei sich.Jeder hat das Recht so zu trauern wie
er es für recht hält.
du wirst deine Eltern nie vergessen und das ist gut so.
Ganz liebe Grüsse an dich Christa B.
__________________
Die Liebe ist stärker als der Tod
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  #7  
Alt 13.04.2007, 08:32
Maja08 Maja08 ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Hallo Carina,
du bist mit deiner Einstellung nicht alleine.
Auch mein Papa ist seit 10 Jahren tod. Bei der Beerdigung war ich auf dem Friedhof und seit dem nie mehr. Ich trauere hier zu Hause. Für mich ist mein Papa jederzeit um mich und ich denke sehr häufig an ihn.
Viele Menschen brauchen den Friedhof als Ort zum Trauern und andere, wie wir, ebend nicht. Und das ist ok. Jeder auf seine Weise und ohne schlechtes Gewissen.
Meine Mama (zur Zeit wegen Krebs mit vielen Metastasen, Chemo im Krankenhaus) hat zwar eine andere Einstellung als ich, aber sie respektiert auch meine. Darüber bin ich sehr froh.

Auch wenn ich mal sterbe (hoffe ich habe noch viel Zeit, bin 45 J.), würde ich am liebsten anonym beerdigt werden. Aber das überlasse ich dann meinem Mann und meinen beiden Töchtern. Vieleicht brauchen sie auch den Friedhof als Ort zum Trauern.

Allso du siehst, du bist mit deiner Einstellung und deinen Gefühlen nicht allein.

Ob man trauert und wie man trauert ist nicht an einem Ort, wie z.B. Friedhof, gebunden.

Für mich liegt auf dem Friehof nur die Hülle, die Seele ist immer bei mir.

Liebe Grüße
Maja
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  #8  
Alt 13.04.2007, 09:08
vanitas02 vanitas02 ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

hallo ...

ich war am anfang täglich auf dem friedhof. mittlerweile bin ich noch sehr sehr oft, aber nicht mehr täglich. mir ging es am anfang vor allem darum, dass ein lichtchen brennt. meine mama hatte kerzen so gern und es war winter und finster und kalt. jetzt wird es weniger. im sommer klar zum gießen immer wieder mal. aber ich finde es nicht schlimm, wenn jemand nicht auf den friedhof geht. meine mama würde mich verstehen, wenn ich dann an den punkt komme, wo ich nicht mehr oft gehe. sie war auch keine friedhofsgängerin. andere gräber (oma, onkel, cousine, etc.) besuche ich nie. da war ich zu beerdigung und seitdem nie mehr.
ich finde das nicht schlimm. manche fühlen sich ja auf dem friedhof dem verstorbenen nahe. bei mir ist das nicht so. ich bin an mamas urnenfach. aber meine mama ist mir überall näher, als da. daheim, im garten, beim spazieren gehen ... überall wo ich halt zeit mit ihr verbracht habe. aber nicht auf dem friedhof. ich denke, jeder sollte so trauern wie er es braucht und auch an dem ort, an dem er möchte. das ist für mich nicht der friedhof. ich gehe da auch immer sehr "geschäftig" rein. kurz an die urnenwand. tausche die kerze. gieße die töpfe davor. und gehe wieder. da halte ich keine zwiesprache mit meiner mama. da steh ich nicht in gedanken versunken. da mach ich einfach nur, was getan werden muss und dann gehe ich wieder.
genau aus diesem grund haben wir auch ein urnenfach genommen. ich denke, meine mama hätte das genau so gewollt. wie gesagt, sie war keine friedhofsgängerin. das mochte sie gar nicht. sie hätte nicht gewollt, dass sich jemand um ihr grab kümmern muss. nun hat sie ein urnenfach mit kerzenhalter. davor halt 2 blumentöpfe. aber ein grab hätte sie nicht gewollt und ich hätte auch kein grab pflegen wollen. am anfang hätte ich es sicher gemacht. aber ich denke, mit der zeit wäre es eingeschlafen. das ist genau richtig so, wie es ist.

also, mach dir keine gedanken. meine mama ist für mich auch nicht da auf dem friedhof. gut, da steht ihre asche. aber das ist doch nicht meine mama. meine mama ist mir zu hause, etc. viel viel näher.

lass dir da von den leuten nix sagen. was soll das denn bringen? wenn man jemanden zwingt, oft auf den friedhof zu gehen, ist der "sinn" den manche ja darin finden (dem verstorbenen nahe zu sein) total verfehlt. damit muss einfach jeder so umgehen, wie es zu ihm passt ...

viele grüße
__________________
es wird schon wieder
wieder
wieder wie was
wieder wie vorher
es wird nie wieder wie vorher
irgendwann wird es
aber nicht wieder (pirko)
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  #9  
Alt 13.04.2007, 17:55
Carina.P Carina.P ist offline
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Beitrag AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Hallo ihr Lieben!
Nochmals vielen Dank für eure Antworten.
Ich möchte euch gerne noch eine Geschichte erzählen die sich ein paar Monate nach der Beerdigung ereignete, die aber meine einstellung zum Friedhof nicht gerade positiv beeinflusst hat.
Meine Oma(Mutter meiner Mama), war bei mir zu besuch denn sie wohnt in Stuttgart.(Ich wohne in einem Kuhkaff Namens Oer-Erkenschwick, Kreis Recklinghausen ) Jedenfalls war sie 2 Wochen zu Besuch, und ich glaube,dass waren mit die schlimmsten zwei Wochen seit meine Mutter starb. In diesen zwei Wochen ist sie nämlich jeden Tag mindestens noch 1 mal mehr gestorben.Meine Oma hat und wird ihren tot nie überwinden, dass soll und muss sie ja auch gar nicht! Keine Kind sollte vor seiner Mutter sterben, und verstehen muss man das schon gar nicht.
Nun ist es aber leider auch so, dass meine Oma glaubt wir(meine Geschwister und ich) würden überhaupt nicht oder zumindest,in ihren Augen,zu wenig um unsere Mama trauern!!!
Ich bin mit ihr zum Friedhof gefahren, alleine, und sie ist weinend neben dem Grab meiner Mutter zusammengebrochen! Ich stand daneben und wusste überhaupt nicht was ich mit ihr machen sollte. Sie ließ sich nicht beruhigen.
Sie saß da, streichelte den Grabstein und war völlig apartisch.
Jetzt stand ich dort, mit meinen 23 Jahren, mit meiner verstörten 75 jährigen Oma und war völlig mit der Situation überfordert. Mein damals dreijähriger Sohn zuppelte an mir herum, verstand die Welt nicht mehr und fand das alles eigentlich einfach nur langweilig und wollte nach Hause! Was sollte ich ihm da auch erklären???Ich konnte zu diesem Zeitpunkt ja selbst nicht verstehen was um Himmels Willen da passierte!
Auf der einen Seite mein Kind, dass nicht verstand was los war, warum ich so nervös wurde , auf der anderen Seite meine Oma die völlig wütend wurde und mich mit einem so vorwurfsvollem Blick bedachte,dass ich glaubte ich sei der Teufel in Person!
Ich hielt ihrem Blick in diesem Moment stand, denn ich wusste für mich, dass es nicht richtig war was sie da tat. Auch in all ihrer Trauer, in all ihrem schmerz hätte sie nicht so reagiren dürfen. Sie hätte mir nicht den Vorwurf machen dürfen, nicht genug um meine Mutter zu trauern, nur weil ich nicht weinend neben ihr zusammengebrochen bin. Sie hätte nicht vergessen dürfen, dass ich ein dreijähriges Kind an der Hand hatte vor dem ich ganz sicher nicht, und schonmal garnicht in dieser Situation auch nur eine Träne vergossen hätte!
Doch das tat sie...
Das Ende vom Lied war, dass sie nicht mehr bei mir bleiben wollte, weil sie fand ich wäre zu fröhlich!!! Ich verstand die Welt nicht mehr...
Ich fing wirklich an, mich zu fragen,ob ich der herzlose Mensch bin für den sie mich hält.
Und dann dachte ich mir, nein, dass bist du nicht. Deine Mama hätte nie gewollt das du dein lächeln verlierst...
Und das habe ich bis heute nicht...
Ich bin davon überzeugt, dass mir meine Mama und auch mein Papa, wenn sie es könnten, kräftig in den Hintern treten würden wenn ich nicht mindestens ein Mal am Tag für sie lächeln würde. Und das mache ich, jeden Tag aufs neue, auch wenn es mir manchmal nicht wirklich leicht fällt. Ich zeige ihnen mein Lächeln, denn ich weiß, dass sie sich um nichts mehr sorgen gemacht haben, als das es ihren Kindern gut geht...

Ich bin danach nie wieder alleine mit meiner Oma zum Friedhof gefahren, aber wir verstehen uns mittlerweile wieder gut.
Aber diesen einen Blick werde ich nie mehr vergessen....

Viele liebe Grüße, Carina
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  #10  
Alt 13.04.2007, 18:39
Benutzerbild von rezzan
rezzan rezzan ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Liebe Carina,
ich bin so froh, dass du mal darüber geschrieben hast. Genauso geht es mir nämlich auch. Meine Mutter ist vor 5 Jahren gestorben (sie war erst 54) und mit ihr meine ganze Welt. Ich war 2 Jahre lang jeden Tag bei ihrem Grab. Manchmal sogar zweimal, vor und nach der Arbeit. Im Winter war es immer ganz schlimm, weil es morgens noch so dunkel war. Aber ich hatte ein so dringendes Verlangen, weil ich wusste sie liegt da ganz alleine und dachte sie wartet auf mich und freut sich über meinen Besuch. Ich heule jetzt noch Rotz und Wasser wenn ich das hier schreibe. Es ist echt unglaublich - die Zeit heilt gar nix.

Dann nach zwei Jahren war es schlagartig anders. Ich konnte und wollte einfach nicht mehr hin. Auch ich kann gar nicht sagen warum. Ich stand irgendwie wieder einmal an ihrem Grab und dachte immer nur "es tut mir leid, es tut mir so leid, so leid dass ich ihr nicht helfen konnte, so schrecklich leid, dass sie so leiden musste, so leid dass ich ihr das nicht abnehmen konnte. Und immer wieder gingen mir die Bilder ihres Leidens durch den Kopf, wie sie litt, wie sie da lag, die schrecklichen Krankenhausaufenthalte, die sinnlosen OPs, der jahrelange Alptraum, ihre Angst und wie viel sie sicher aus Rücksicht auf uns nicht gesagt hat, ihre Schmerzen und ich konnte ihr nicht helfen. Sie war so ein guter Mensch, das hat sie nicht verdient, dass hätte ihr nicht passieren sollen. Alles was ich fühle ist immer nur, dass es mir so leid tut für sie, dass es mir heute noch den Atem raubt, wenn ich daran denke.

Und am nächsten Tag bin ich einfach nicht hingegangen und die darauffolgenden Tage auch nicht. Ich weiß nicht warum, ich fühle mich schrecklich dabei, aber ich kann nicht. Ich fahre mittlerweile sogar extra einen kleinen Umweg um nicht am Friedhof vorbeizufahren. Jetzt ist vor kurzem mein Vater gestorben und liegt neben ihr. Seit seiner Beerdigung vor sechs Monaten war ich kein einziges Mal mehr dort. Ich fühle mich so elend deswegen und weiß nicht warum ich es nicht schaffe, wenigstens mal an wichtigen Tagen wie Geburtstag, Muttertag o. ä. hinzugehen. Das macht mich wirklich zusätzlich noch fertig. Ich sage mir jedes Wochenende, dieses Mal gehst du hin, jetzt mach schon. Aber es geht einfach nicht.

Versteh mich bitte nicht falsch, an meinen Gefühlen hat sich gar nichts geändert, es zerreisst mich immer noch, dass sie und nun auch noch mein Vater so sehr leiden mussten und ich glaube auch, dass sie sich "freuen" würden, wenn ich sie besuche. Aber ich kann einfach nicht.

Wahrscheinlich ist es eine Schutzreaktion. Meine Schwester meinte (der es genauso geht, aber sie kann sich noch hin und wieder dazu bewegen hinzugehen), dass wir wahrscheinlich einfach nicht mehr unglücklich sein wollen. Es einfach nicht mehr wahrhaben wollen. Und wenn man dort hingeht ist es einfach zu deutlich.

Aber irgendwie weiß ich auch nicht. Ich fühle mich einfach nur wie ein Alien und würde so gerne einen "normalen" Weg finden. So wie andere auch, hin und wieder mal auf den Friedhof gehen können. Sich endlich nicht mehr so schlecht fühlen. Aber wenn ich hier lese, merke ich, dass auch andere scheinbar ähnliche Probleme haben und das tröstet mich doch etwas.

Sorry, dass es so lang geworden ist, aber es hat wirklich eine Ader getroffen.

Ich wünsche allen hier alles Liebe,
Rezzan
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  #11  
Alt 13.04.2007, 20:11
Carina.P Carina.P ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Liebe(r)? Rezzan!
Ich habe mich anfangs gar nicht getraut über dieses Thema zu schreiben, denn ich dachte, aufgrund meiner schlechten Erfahrungen, dass es Vorwürfe nur so hagelt!
Aber jetzt habe auch ich generkt, dass es anscheinend gar nicht so wenige Menschen gibt denen es genauso geht, und das macht mich auf eine Art richtig glücklich. es tut mir im Allgemienen sehr gut hier zu schreiben, denn ich glaube, dass ich viel zu lange versucht habe mit mir alleine fertig zu werden, weil ich andere nicht mit mir belasten wollte.
Aber hier fühle ich mich irgendwie geborgen, auch wenn ich überhaupt niemenden kenne, vielleicht aber auch gerade deswegen!?
Anders als bei dir hatte ich allerdings nie das Gefühl, meine Eltern dort allein zu lassen.Für mich und meine Geschwister war es eher schlimm, dass wir unsere Eltern nicht zusammen beerdigen durften. Da mein Vater schon mit 49 starb, hat natürlich überhaupt niemend damit gerechnet, dass meine Mama ihm schon vier Jahre später, mit 48 folgen würde. Deshalb bekam er damals ein Einzelgrab. Als meine Mama dann starb, haben wir alles menschenmögliche versucht um sie irgendwie noch zusammen zu kriegen, sprich, wir wollten die Urne meiner Mutter mit in sein Grab beisetzen lassen. aber das wurde uns von der Stadt und der Friedhofsverwaltung verboten! Also bekam auch sie ihr eigenes Grab, auf der anderen Seite des Friedhofs.
Schon alleine diesen Weg zu gehen, von meiner Mama zu meinem Papa...,geht gar nicht!
Meine Papa hatte am 04.01 Geburtstag, am 27.03 seinen 9. Todestag, und ja, dieses Jahr war ich das erste Mal an diesem Tag nicht dort und schäme mich dafür zu Tode!
Ich weiß nichtmal warum ich nicht da war. Ich hab es nicht vergessen, ich war einfach nur nicht da!
Meine üblichen Tage zum Friedhof zu gehen waren sonst immer die Todestage, Geburtstag, Muttertag, Weihnachten etc...
Dieses Jahr war ich noch kein Mal dort! Alle erzählen mir "es wurde eine neue Hecke gepflanzt, ich hab neue Blumen gepflanzt, sieht schön aus, musst mal gucken gehen", aber dann geh ich erst recht nicht. entweder gehe ich von ganz alleine oder gar nicht, und ich glaube so sollte es auch sein.
Ich glaube, und das habe ich auch erst jetzt hier in diesem Forum gelernt, für Menschen wie uns ist es einfach nur richtig mit dem Herz am richtigen Ort zu sein! Meine Eltern sind immer in meinem Herz, und mein Herz ist immer bei ihnen, ganz egal wo ich bin oder wo sie sind!
Und ich denke bei dir ist es nicht viel anders!
Du kannst ihnen auf dem Friedhof nicht viel geben, ausser eine Blume auf das Grab zu stellen, eine Kerze anzuzünden...
Aber deine Liebe, die du mit die trägst, die kann dir keiner nehmen, und ihnen auch nicht....

Und über die Länge der Antworten brauchen wir wohl jetzt nicht mehr sprechen, oder

Carina
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  #12  
Alt 16.04.2007, 14:11
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rezzan rezzan ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Liebe Carina,

Mensch das ist ja nochmal so schlimm...diese blöde Verwaltungspolitik ist doch wirklich unfassbar!! Für mich ist es komischerweise schon ein Trost, dass meine Mutter jetzt nicht mehr "alleine" ist. Ich verstehe dich da echt...

Auch wenn es sich jetzt doof anhört, aber irgendwie ist es doch bestimmt auch tröstlich, dass dein Vater eben nicht damit gerechnet hat so früh zu gehen.

Mein Vater wollte sofort ein Doppelgrab und hat auch einen Stein machen lassen, auf dem sein Name und sein Geburtsdatum bereits standen. Nur das Todesdatum war noch offen. Du kannst dir ja sicher vorstellen, wie toll das jedes Mal für mich war, vor diesem Riesen-Grabstein zu stehen, der mir jedes Mal sagte: Hey, bald liegt dein Vater auch noch hier! Und vier Jahre nach ihrem Tod wurde er dann auch krank. Es war für mich echt fast keine Überraschung. Irgendwie kam mir seit dem Tod meiner Mutter das Leben eh nur noch vor, wie ein Warteraum in dem ich sitze und auf die nächste Katastrophe warte. Wie in nem falschen Film eben.

Ich glaube, so oder so, es ist immer schwer...vielleicht kriegen wir das ja doch irgendwann mal auf die Reihe. Ich wünsche es dir und allen anderen auch.

Ganz liebe Grüße
Rezzan (klingt wie'n Männername, ist es aber nicht )
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  #13  
Alt 16.04.2007, 14:42
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Ingridk Ingridk ist offline
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Standard AW: Bin ich ein schlechter Mensch weil....

Mein Papa ist 1974 gestorben. Ich war bei seiner Beerdigung und seitdem nie wieder an seinem Grab. Ich kann einfach nicht. Ich sehe ihn immer noch so vor mir wie ich ihn kannte und lieb hatte. Schon der Gedanke an sein Grab gehen zu müssen, fällt mir schwer und ich muß weinen. es ist schon so lange her, aber es tut immer noch weh.
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  #14  
Alt 16.04.2007, 18:12
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rezzan rezzan ist offline
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Liebe Ingrid,
es ist wirklich unglaublich, nicht wahr? So lange ist es nun bei dir her und der Schmerz ist immer noch da...das bestätigt eigentlich nur dass, was ich tief im Inneren schon ahne - Die Zeit heilt gar nix....

Liebe Grüße, Rezzan
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  #15  
Alt 16.04.2007, 19:59
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Beate'68 Beate'68 ist offline
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Hallo Rezzan, hallo @Alle,

mein Vater starb 1972. Seine Grabstelle zu besuchen, hat mir nie etwas ausgemacht - ich war vier als er starb und habe keinerlei Erinnerungen an ihn. Ich kann mich aber noch erinnern, daß wir als Kinder den Naturstein geschrubbt haben, aber alles ohne schmerzliche Gedanken. Auch war ich später jahrelang nicht ein einziges Mal mehr an seinem Grab.

Seit September letzten Jahres liegt meine Mutter neben ihm. Ich kümmere mich in Abständen um die Grabpflege - wir wohnen nicht im gleichen Ort - und stelle meiner Mutter eine Kerze hin. Schwer beschäftigt mit der Grabpflege verdränge ich dabei meist alle Gedanken an sie. Unabhängig davon sind meine Gedanken jeden Tag bei ihr und ich weiß, daß das für meine Mutter auch so absolut ok ist. Sie selbst war auch absolut kein Friedhofsgänger.

Und dann ist da noch meine Schwester, die 1992 tödlich verunglückte. 10 Jahre lang bin ich an ihrem Todestag, ihrem Geburtstag und auf Weihnachten jeweils zu ihrem Grab - ein Einzelgrab, was mich noch heute stört - gefahren, habe ihr ganz bestimmte Blumen gebracht und eine Kerze für sie angezündet. Nach 10 Jahren habe ich mir dann gesagt, daß ich endlich loslassen muß - ich wußte, daß ich das selbst 10 Jahre danach noch nicht geschafft hatte und vielleicht auch noch immer nicht so recht habe, auch wenn ich nicht mehr zu ihr fahre.

Ich denke wie auch immer wir es mit dem Gang zum Friedhof halten, einzig wichtig ist, daß wir unsere Lieben im Herzen behalten. Und daß dem so ist, dessen bin ich mir eigentlich bei jedem, der hier schreibt, sicher.

Rezzan, Du schreibst, 'die Zeit heilt gar nix'. Aus meiner Sicht würde ich sagen, über den tiefen Wunden bilden sich mit der Zeit Narben, die je nach 'Wetterlage' manchmal nur 'zwicken' und an anderen Tagen selbst Jahre später immer wieder mal aufbrechen können. Eine echte Heilung unseres Schmerzes kann auch ich mir nicht so recht vorstellen, doch werden die schmerzvollen Momente im Laufe der Zeit merklich weniger - so habe ich es zumindest erlebt.

Ich wünsch Euch noch einen schönen Abend.

LG
Beate
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