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Alt 23.02.2013, 00:51
Milie78 Milie78 ist offline
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Standard Komisches Leben

Am Montag bin ich das erste Mal seit Papas Tod wieder am Krankenhaus vorbeigefahren. Es war ein bisschen komisch, genauso wie so manches ein bisschen komisch war in letzter Zeit.

Morgen sind es 15 Wochen. Die Wochenuhr zaehlt automatisch weiter, ich kann nichts dafuer. Und ausser Welpenbesitzern und frisch gebackenen Eltern zaehlt ja sonst auch kein Mensch in Wochen. Aber ist ja eigentlich auch irrelevant, wie man die Zeit verpackt. In der Nacht vom 3. auf den 4. November 2012 ist Papa eingeschlafen, ganz ruhig und friedlich. (Thread dazu unverschoben im Angehoerigenforum). Ich bin mehr als dankbar, dass ich ihn begleiten durfte, fast bis zum Ende. Er ist gegangen, als ich kurz im Bad war. Ich habe es gefuehlt, ich habe gewusst, dass es vorbei sein wird, wenn ich gehe. Jedenfalls hatte ich ein Gefuehl, bewusst gedacht habe ich das nicht. Aber es war dann so, und es war okay. Ich konnte es gut verstehen. Ich war mit ihm allein, und diese Stunden waren ohne Zweifel die „einschneidensten“ in meinem Leben. Im positiven Sinne. Er hatte mir vorher gesagt, dass das seine letzte Nacht wird, und er wollte nicht, dass ich noch jemanden anrufe. Es mag komisch klingen, aber ich war froh, dass wir allein sein konnten. So habe ich neben seinem Bett gesessen, seine Hand gehalten, und jede Stunde zufaellig um genau halb auf die Uhr geschaut. Ich bin um 16.30h dort angekommen, um 20.30h hat er „meine letzte Nacht“ gesagt, um 0.32h kam ich aus dem Bad zurueck...

Ich habe dann ca. 1 Std. spaeter meine Familie angerufen. Meine Mutter, Schwester, Schwager und 2 Tanten sind angerueckt, selbstverstaendlich alle mit starren Gesichtern und rot geheuleten Augen. Wie es eben ist, wenn der Mann, Vater, Bruder stirbt. Nicht unerwartet, aber doch sehr ploetzlich. Natuerlich waren sie alle entsprechend friedlich, wie es sich gehoert, aber mir kamen die verheulten Gesichter ein bisschen stoerend in meiner seltsamen Idylle vor. Mich hat auch irritiert, dass sie alle so vorsichtig mit ihm waren, es hat gedauert, bis sie ihn angefasst haben, und dann nur ganz vorsichtig. Das ist mir in dem Moment richtig aufgefallen. Ich hatte diese Distanz ueberhaupt nicht, und das hat mich gefreut. Es war echt alles sehr komisch, frueher war ich immer so ein bisschen die Drama Queen, aber ich glaube, ich bin vor ein paar Jahren doch erwachsen geworden. Im Gegensatz zu all meinen Erwartungen konnte ich gar nicht so richtig weinen oder trauern oder irgendwas von dem, was ich erwartet haette. Ich hab mich so stark gefuehlt, so stark wie nie zuvor. Ich fand es ueberraschend, aber natuerlich positiv ueberraschend und ich war stolz auf mich, dass ich so viel aus unserer Zeit gezogen habe. Natuerlich habe ich mal geweint, aber nie viel, weil ich mir immer gedacht habe, dass das gar nicht noetig ist, weil am Ende sowieso alles gut wird. Irgendwie. Die Beerdigung fand ich sehr schoen. Papa wurde im Familiengrab neben Vater und Mutter beigesetzt, und da er ein Dorfjunge war, war auch richtig viel los. Und alle haben ordentlich viel geweint. Nur ich nicht. Also, ein paar Traenchen natuerlich, aber so schnell wie die kamen, waren sie auch wieder gegangen.

So ging das noch eine ganze Weile weiter. Das Leben hat mir nicht wirklich Zeit zum Trauern gelassen, weil sich viele Dinge auf einmal eher unguenstig entwickelt haben, und um sowas muss man sich kuemmern. Trauer oder nicht, das interessiert das Leben ja nicht wirklich. Und das ist ja manchmal auch gut so. Mir ging es relativ gut, immer eher stark und dankbar als traurig und einsam. Im Dezember kam dann mein Freund zu Weihnachten. Ich weiss, es klingt komisch, aber wir hatten uns seit August nicht gesehen. Er wohnt in NY und durch Papas Krankheit hatte ich weder Zeit noch Lust, oefter wegzusein. Und da habe ich dann gemerkt, dass es mir wohl doch nicht ganz so super ging, wie ich immer gedacht habe. Ich habe den ganzen ersten Abend absolut keine Naehe zulassen koennen (damit meine ich noch nicht mal Schweinkram, sondern ganz langweilge Umarmungen), und ich konnte nur heulen. Da habe ich mich ganz schoen ueber mich selbst gewundert, ich hatte das nicht kommen sehen. Es wurde dann nach ein 2 Tagen besser, aber es hat mir gezeigt, dass ich nicht immer alles im Griff habe oder haben kann. Seitdem bin ich etwas sensibler als vorher. So faellt es mir im Moment immer etwas schwerer, zum Friedhof zu fahren und viele kleine Begebenheiten lassen mir manchmal die Traenen in die Augen steigen. Ich weiss, es ist alles ganz normal. Ich finde es erstaunlich, wie unterschiedlich die Menschen Trauer erleben und wie verschieden die Wege sind, die wir gehen, um jeder fuer sich mit unseren Verlusten fertig zu werden.

Naja, das Leben ging dann wieder etwas seltsam weiter, was darin geendet hat, dass ich jetzt arbeitslos statt wie geplant selbststaendig bin. Aber das ist ja nichts, was sich nicht in Ordnung bringen liesse. Im Moment ist meine Mutter im Krankenhaus (nichts schlimmes), aber ich merke trotzdem mal wieder – wie jeden Tag – wie sehr mein Vater fehlt. Ganz besonders in den Momenten, wenn ich ihm eigentlich erzaehlen, was meine Mutter oder Schwester oder Oma mir wieder schreckliches angetan haben. Damit meine ich nur so Kleinigkeiten wie: Ich komme gerade vom Einkauf und Oma sagt „ich hab vergessen, dass ich noch Milch brauche. Auf jeden Fall heute.“ Anstatt auf dem Handy anzurufen, waehrend ich noch im Laden bin... Dann komme ich wieder, und Oma bittet mich, die Milch zu der anderen in den Vorratsschrank zu stellen!!! Ohne Worte... Ich mache das alles gerne, und Oma ist so, war immer so und wird mit Sicherheit auch so bleiben, und ich bin froh, sie zu haben. Aber mit meinem Vater habe ich dann immer spassig mit den Augen gerollt, und er hat mich natuerlich voll in meiner Klage unterstuetzt, wenn auch nicht verbal...

Und weil es jetzt auch nichts mehr macht, wenn meine kleine Geschichte noch ein bisschen laenger wird, moechte ich zum Schluss noch was witziges von gestern zum besten geben: Gestern bin ich mit dem 40kg Labrador meines Vaters losgeschoben und hatte die besten Vorsaetze, uns beiden mal was richtig gutes zu tun und mindestens 2 Stunden extralange zu gehen. Dazu sei kurz gesagt, dass er nicht dick, sondern einfach sehr gross und sehr muskuloes ist. Er ist auch schon 4, und will nicht mehr mit wahllos jedem Hund spielen. Hat wohl inzwischen einen Geschmack entwickelt. Aber wenn er spielen will, dann muss man aufpassen: Wir sind total showreif an 2 Schaeferhunden vorbeigegangen, ohne huepfen, jammern oder bellen. Waehrend ich also noch damit beschaeftig war, meine Brust vor Stolz schwellen zu lassen, hat Papas Labrador seinen alten Kumpel Kalle entdeckt. Ich aber nicht. Ic hab Kalle dann erst gesehen, als ich mich auf meiner linken Pobacke wiedergefunden habe. Den Hund hat’s gar nicht interessiert, dass es hinter ihm gerumst hat, und weil es ja so schoen glatt war, war es wohl auch gar nicht so schwer, mich noch einen Meter hinterherzuziehen! Da hatte er dann Kumpel Kalle erreicht und ich sass vor Frauchens Fuessen. Kalles Frauchen hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund, und ich habe den Hund gleich auf allen Vieren ausgeschimpft, da kann man wenigstens nicht nochmal umfallen. Hat mich bestimmt total ernst genommen, der fiese Kerl! Naja, und das fand ich deshalb so lustig, weil mein Vater zwar ein sehr netter Mann war, aber ueber kaum etwas so herzlich lachen konnte wie ueber solche Begebenheiten, wenn eben jemand lustig eine Bruchlandung macht. Darum hatte ich nach meiner Rutschpartie relativ gute Laune und musste den ganzen restlichen Weg (der gekuerzt wurde!) vor mich hinkichern... Und druecke es mal so aus: ich habe mich nicht alleine gefuehlt.

Und mit so froehlichen Gedanken moechte ich dann auch schliessen. Es hat gut getan, seit langem mal wieder zu schreiben. Und es tut gut, dass ich mich damit angefreundet habe, dass das Leben eben einfach komisch ist.
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