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  #1  
Alt 02.11.2015, 18:53
Lunacat_91 Lunacat_91 ist offline
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Hallo liebe Gemeinschaft,
ich bin im September 24 geworden und mein Leben ist vor etwas mehr als einem Jahr aus all diesen bequemen Stukturen gerissen worden, die man erst dann erkennt, wenn sie nicht mehr da sind.
Mein Freund, mit dem ich seit März 2010 zusammen war, hat letzten Oktober die Diagnose Peritonealkarzinose bekommen. Wir haben alles versucht. Aber wer diese Krankheit kennt, weiß, wie machtlos die Medizin momentan noch dagegen ist. Christoph, so heißt mein Freund, ist am 31. März gestorben. Nach 6 Monaten Kampf, Verzweiflung und Leid.
Ich würde mich gerne mit anderen jungen Menschen austauschen, die ebenfalls die (vielleicht?) Liebe ihres Lebens verloren haben. "Vielleicht" deshalb, weil Christoph sein Leben ja nicht mal wirklich beginnen durfte. Während alle anderen in meinem Alter ihr Studium abschließen, auf Jobsuche gehen, Party machen, neue Leute kennenlernen, hole ich meine Bachelorarbeit nach und bin am liebsten alleine in meinem Wohnheimszimmer hier in München. In diesem Alter erlebt man ja normalerweise das, was so gern "time of my life" genannt wird. Es ist jedes Mal ein Schlag ins Gesicht, wenn ich mir vergegenwärtige, was eigentlich alles passiert ist während der letzten 13 Monate. Anfang Oktober 2014 waren Christoph und ich noch in New York. Da war er schon krank. Auch Anzeichen waren schon da. Aber wie fatal diese Anzeichen waren, haben weder wir, noch sein damaliger Hausarzt erkannt.
Vielleicht lieber etwas mehr zu mir und Christoph: Im März diesen Jahres waren wir fünf Jahre zusammen. Wir kannten uns allerdings schon länger, durch die Schule. In der 12. Klasse sind wir zusammen gekommen. Wir haben gemeinsam das Abi gemacht, sind nach Berlin gezogen, voller Euphorie, nur um dann festzustellen, dass das nicht das Wahre ist. Danach dann nach München an die LMU. Niemand dort hatte bessere Noten als Christoph. Das Stipendium, für das er vorgeschlagen wurde, konnte er aufgrund der Krankheit nicht mehr antreten. Es ist unfassbar. Der intelligenteste Mensch, den ich kannte, durfte nicht mal seine Abschlussarbeit an der Uni schreiben.

Im Moment fehlen mir für Weiteres die Worte...
Vielleicht meldet sich ja jemand, der Ähnliches erlebt (hat).

Geändert von Lunacat_91 (02.11.2015 um 19:00 Uhr)
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  #2  
Alt 02.11.2015, 19:04
vintage vintage ist offline
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mein beileid für dich.


schau mal unter www.verwitwet.de
ob verheiratet oder nicht ob mit oder ohne kinder aus beziehungen,
spielt keine rolle in dem netzwerk....

das "sich anders fühlen" ist nach traumatischen ereignissen fast "normal",
je nach resilienz auch.
wenn du genauer schaust wirst du in deinem Umfeld und auch an der uni menschen finden,
die so sind wie du. sie haben nicht immer ihre/n partner/in verloren,
sondern manchmal andere tragische erlebnisse (üb)erlebt.

vg, vintage
__________________
lieben gruß, vintage



Mein geliebter Mann wurde nur 49 Jahre alt und
starb knapp fünf Monate nach der Diagnose.
* Juli 1965 - + Mai 2015

ED Weihnachten 2014 Darmkrebs mit zu vielen Lebermetastasen,
dann auch Lungenmetastasen...

Geändert von vintage (02.11.2015 um 19:06 Uhr)
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  #3  
Alt 02.11.2015, 19:32
Benutzerbild von anni.
anni. anni. ist offline
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Hallo Lunacat,

ich hatte dir damals schon in deinem Thread geantwortet. Zwar ist mein Freund nicht krank (zum Glück) aber ich fühle einfach so mit dir, weil wir genau im gleichen Alter sind. Ich hoffe, du findest hier liebe Menschen, die ähnliches erlebt haben und dir mit ihrer Erfahrung weiterhelfen können. Ich selbst wüsste auch nicht, wie ich sowas verkraften soll. Es ist einfach so ungerecht manchmal. Aber sich komplett zurückziehen macht alles nur noch schlimmer.

Ich drücke dich!

Anni
__________________
Mein lieber Papa (*1958):

05/2014 ED Primär inoperables Thymuskarzinom
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  #4  
Alt 03.11.2015, 13:40
diejüngste diejüngste ist offline
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Hallo Lunacat,

bei mir war's auch nicht mein Freund, sondern meine liebe Mama, aber wir sind etwa im gleichen Alter (bin 89 geboren) und kann deine Gedanken deshalb sehr gut verstehen und nachvollziehen.

Dein Verlust tut mir sehr leid.
Ich würde dir gerne etwas mutmachendes schreiben, aber leider fehlen mir wie so oft die Worte.
__________________
meine liebste Mama
05.08.1960 - 04.06.2015

Unsere Geschichte:
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=64138

Ich hab dich lieb Mama.
Bis zum Mond und zurück.

http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=66377
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  #5  
Alt 03.11.2015, 19:05
Lunacat_91 Lunacat_91 ist offline
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Zunächst einmal einfach Danke für eure lieben Antworten.

Es tut mir schrecklich leid, dass ihr auch einen geliebten Menschen an Krebs verloren habt und so etwas durchmachen musstet bzw. immer noch müsst.

Denn wir wissen wohl alle ganz genau, dass es nicht mit dem, was Außenstehende oft "sacken lassen" und "aufarbeiten" nennen, getan ist und es einem dann schon wieder einigermaßen gut geht. Ich zumindest spüre das jeden Tag. Man macht eben irgendwie weiter, wie betäubt. Passt sich an, setzt eine Maske auf. Und Menschen, die von all dem nichts wissen, merken vielleicht gar nichts oder denken allenfalls, man sei einfach strange. Ich hab jetzt monatelang versucht, mich anzupassen und mir nichts anmerken zu lassen. Und jedes Mal wieder, wenn ich z.B. mit Freundinnen in eine Bar gegangen bin, habe ich gemerkt, wie anders alles ist und wie unwohl ich mich dabei fühle. Wieso mache ich das dann? Vielleicht, um meinen Freundinnen eine Freude zu machen oder um wenigstens ein kleines Stückchen Normalität auszuleben? Und doch ist es das nicht wert... Das Ende der Geschichte ist jedes Mal, dass ich mich schrecklich fühle und anfange zu weinen, sobald sich die Wohnungstür hinter mir schließt. Es ist schon erstaunlich, dass man zusammen mit Menschen aufwachsen kann und sie für einen die besten Freunde sind, die man sich vorstellen kann, und man dann aber plötzlich nicht mehr miteinander reden kann. Bzw. nicht über das reden kann, was mich einfach pausenlos beschäftigt. Nicht, dass mir keine Gespräche angeboten werden. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich die Einzige bin, die danach nicht davon loskommt und nicht einfach irgendetwas anderes machen kann, nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Das klingt jetzt alles furchtbar böse. So ist es aber nicht gemeint. Es waren in meinem Freundeskreis ja alle mehr oder weniger von Christophs Tod betroffen. Alle kannten ihn, manche besser, manche weniger gut. Wir waren alle in derselben Klasse bzw. im selben Studiengang. Und dennoch ist es einfach so, dass es mich als Freundin am härtesten getroffen hat. Während der 6 Monate haben ihn die wenigsten besucht. Zu groß war wohl die Angst, die Scheu vor einem Krebskranken. Und Christoph selbst wollte auch niemanden aktiv einladen. Er war die meiste Zeit sehr schwach und wollte sich vor kaum einem Menschen die Blöße geben. Immer beherrscht. Selbst kurz vor seinem Tod... Ich dagegen war fast täglich bei ihm zu Hause, war im Krankenhaus dabei, bei Arztgesprächen. Ich habe mit angesehen, was so ein Monster aus einem jungen Menschen machen kann. Einer, für den Musik und Literatur alles war, will plötzlich nichts mehr hören und nichts mehr lesen. Nichts mehr lernen angesichts der Sinnlosigkeit und des baldigen Todes. Christoph hat wohl von uns allen als Erster verstanden, was kommen wird. Umso bewundernswerter ist es, dass er so gekämpft und alles versucht hat. Jetzt ertappe ich mich dabei, wie ich dieses Wort benutze, was ich in diesem Kontext so sehr hasse - bewundernswert. Von allen Seiten kam es auf mich zu, auch als Christoph noch am Leben war: "Oh, du machst das wirklich so toll. Es ist echt bewundernswert wie du das durchstehst". Bewundernswert? Klingt ja fast so als sei ich zu beneiden. Bin ich etwa eine gute Betroffene, eine gute Hinterbliebene? Danke, auf solche "Komplimente" kann ich verzichten. Als könnte man das Verhalten von Menschen in solchen Situationen bewerten. Selbst wenn ich nicht gleich wieder mit der Uni weitergemacht hätte, hätte man es mir nicht ankreiden können. Ich verstehe nicht, wie man an meinem Verhalten irgendwas bewundernswertes finden kann. Es ist die Hölle. Und das jeden Tag.

Ihr merkt vielleicht schon, dass das hier so ein bisschen Blog-artig wird und es alles sehr auf mich und meine eigene Erfahrung bezogen ist, was ich hier schreibe. Hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel. Das soll nicht egoistisch rüberkommen...
Schreibt gerne auch von euren eigenen Eindrücken, Ängsten, Erfahrungen... vielleicht hilft es ja.

Liebe Grüße an alle,
Lunacat

Geändert von Lunacat_91 (03.11.2015 um 19:10 Uhr)
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  #6  
Alt 03.11.2015, 19:10
Lunacat_91 Lunacat_91 ist offline
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Zunächst einmal einfach Danke für eure lieben Antworten.

Es tut mir schrecklich leid, dass ihr auch einen geliebten Menschen an Krebs verloren habt und auch so etwas durchmachen musstet bzw. immer noch müsst.

Denn wir wissen wohl alle ganz genau, dass es nicht mit dem, was Außenstehende oft "sacken lassen" und "aufarbeiten" nennen, getan ist und es einem dann schon wieder einigermaßen gut geht. Ich zumindest spüre das jeden Tag. Man macht eben irgendwie weiter. Passt sich an, setzt eine Maske auf. Und Menschen, die von all dem nichts wissen, merken vielleicht gar nichts oder denken allenfalls, man sei einfach strange. Ich hab jetzt monatelang versucht, mich anzupassen und mir nichts anmerken zu lassen. Und jedes Mal wieder, wenn ich z.B. mit Freundinnen in eine Bar gegangen bin, habe ich gemerkt, wie anders alles ist und wie unwohl ich mich dabei fühle. Wieso mache ich das dann? Vielleicht, um meinen Freundinnen eine Freude zu machen oder um wenigstens ein kleines Stückchen Normalität auszuleben? Und doch ist es das nicht wert... Das Ende der Geschichte ist jedes Mal, dass ich mich schrecklich fühle und anfange zu weinen, sobald sich die Wohnungstür hinter mir schließt. Es ist schon erstaunlich, dass man zusammen mit Menschen aufwachsen kann und sie für einen die besten Freunde sind, die man sich vorstellen kann, und man dann aber plötzlich nicht mehr miteinander reden kann. Bzw. nicht über das reden kann, was mich einfach pausenlos beschäftigt. Nicht, dass mir keine Gespräche angeboten werden. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich die Einzige bin, die danach nicht davon loskommt und nicht einfach irgendetwas anderes machen kann, nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Das klingt jetzt alles furchtbar böse. So ist es aber nicht gemeint. Es waren in meinem Freundeskreis ja alle mehr oder weniger von Christophs Tod betroffen. Alle kannten ihn, manche besser, manche weniger gut. Wir waren alle in derselben Klasse bzw. im selben Studiengang. Und dennoch ist es einfach so, dass es mich als Freundin am härtesten getroffen hat. Während der 6 Monate haben ihn die wenigsten besucht. Zu groß war wohl die Angst, die Scheu vor einem Krebskranken. Und Christoph selbst wollte auch niemanden aktiv einladen. Er war die meiste Zeit sehr schwach und wollte sich vor kaum einem Menschen die Blöße geben. Immer beherrscht. Selbst kurz vor seinem Tod... Ich dagegen war fast täglich bei ihm zu Hause, war im Krankenhaus dabei, bei Arztgesprächen. Ich habe mit angesehen, was so ein Monster aus einem jungen Menschen machen kann. Einer, für den Musik und Literatur alles war, will plötzlich nichts mehr hören und nichts mehr lesen. Nichts mehr lernen angesichts der Sinnlosigkeit und des baldigen Todes. Christoph hat wohl von uns allen als Erster verstanden, was kommen wird. Umso bewundernswerter ist es, dass er so gekämpft und alles versucht hat. Jetzt ertappe ich mich dabei, wie ich dieses Wort benutze, was ich in diesem Kontext so sehr hasse - bewundernswert. Von allen Seiten kam es auf mich zu, auch als Christoph noch am Leben war: "Oh, du machst das wirklich so toll. Es ist echt bewundernswert wie du das durchstehst". Bewundernswert? Klingt ja fast so als sei ich zu beneiden. Bin ich etwa eine gute Betroffene, eine gute Hinterbliebene? Danke, auf solche "Komplimente" kann ich verzichten. Als könnte man das Verhalten von Menschen in solchen Situationen bewerten. Selbst wenn ich nicht gleich wieder mit der Uni weitergemacht hätte, hätte man es mir nicht ankreiden können. Ich verstehe nicht, wie man an meinem Verhalten irgendwas bewundernswertes finden kann. Es ist die Hölle. Und das jeden Tag.

Ihr merkt vielleicht schon, dass das hier so ein bisschen Blog-artig wird und es alles sehr auf mich und meine eigene Erfahrung bezogen ist, was ich hier schreibe. Hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel. Es soll nicht egoistisch rüberkommen...
Schreibt gerne auch von euren eigenen Eindrücken, Ängsten, Erfahrungen... vielleicht hilft es ja.

Liebe Grüße an alle,
Lunacat

Geändert von Lunacat_91 (03.11.2015 um 19:20 Uhr)
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  #7  
Alt 03.11.2015, 20:10
petitejeff petitejeff ist offline
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Standard AW: Mitte 20 und anders als alle anderen

Liebe Lunacat,

mir tut dein Verlust unfassbar Leid.

Ich kann dich verstehen, auch wenn ich nicht meinen Partner, jedoch meinen geliebten Vater verloren habe. Ich bin 23, sollte wohl auch gerade die "time of my life" erleben wie du es schreibst, aber das ist nicht möglich. Mein Vater war sehr lange Krank und all diese Zeit war mein Leben quasi auf Pause.Die Zeit, in der Altersgenossen sich finden, Abenteuer erleben, Zukunftspläne schmieden.. auch ich habe diese Zeit verloren und bin noch weit davon entfernt wieder in diesem so normalen Alltag anzukommen.
Es erwarten alle das man sich wieder "fängt", wieder "normal" ist - aber das ist unmöglich. Durch so eine Erfahrung verändert sich einfach der gesamte Blickwinkel aufs Leben, die Prioritäten verschieben sich so dermaßen.. Man wird nie wieder dieser unbeschwerte Zwanzigjährige sein..

Meine Erfahrung ist eine völlig anderen, aber ich glaube ich kann dich ein stück weit verstehen. Meld dich gern, ich komme aus Innsbruck..
Jeff
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  #8  
Alt 03.12.2015, 00:45
Lunacat_91 Lunacat_91 ist offline
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Stockholm´s cold but I´ve been told I was born to endure this kind of weather

Gedanken von vor ein paar Wochen...

Leider bin ich nicht in Stockholm, sondern in München. Aber kalt ist es. Der erste Schnee fällt vom Himmel, schmilzt aber sobald er eine Oberfläche berührt. Christoph sieht diese ersten Flocken nicht fallen. Es mag einem Außenstehenden wie eine banale Erfahrung vorkommen, aber für mich ist es wieder eine Erfahrung mehr in meinem Leben ohne Christoph als lebenden Menschen darin. Der erste Schnee nach seinem Tod. Wie die Flocken da so langsam vor sich hin schweben, unsicher, ob sie wirklich da hinunter fallen wollen, wo sie gleich schmelzen werden, erinnern sie mich an mein früheres Leben. Mein altes Leben, das mit der Diagnose plötzlich weg war. So wie die Schneeflocken, wenn sie auf dem Boden aufkommen. Heute sitze ich hier im Wohnheim. Wo war ich vor genau einem Jahr? Wohl in der bisher dunkelsten Zeit meines Lebens. Die Diagnose lag schon über einen Monat zurück, die Therapie lief bereits. Es war noch die erste Chemo vor den folgenden Umstellungen. Das FLOT-Schema. All die Begriffe, an die wir uns damals so schnell gewöhnen mussten, um überhaupt zu verstehen, was für eine Behandlung Christoph da über sich ergehen lassen muss, verschwimmen immer mehr. Ich erinnere mich an einige Dinge nur vage. Wenn ich an die Zeit vor einem Jahr zurück denke, erinnere ich mich an lange Nächte ohne Schlaf, dafür nicht an die Vormittage, denn da holte ich den Schlaf meist nach. Ich erinnere mich an die schrecklichsten Dienstage meines Lebens, an denen ich nach München pendeln musste, um zwei Seminare zu besuchen. Danach ging es gleich wieder zurück nach Hause. Ich erinnere mich an Schachpartien mit meinem Papa, solange Christoph noch ein wenig Zeit für sich alleine haben wollte. Diese Schachpartien waren wohl wie eine Art Therapie für mich. Es wurde kaum geredet, wir spielten einfach Schach. Wer gewann, war egal. Ich musste einfach etwas anderes in meinen Kopf kriegen, wenigstens für ein paar Minuten. Immer und immer wieder wollte ich spielen. Hauptsache, da war etwas, worauf ich mich konzentrieren musste. Und doch war ich in ständiger Alarmbereitschaft, mein Handy stets neben mir.
Wenn ich doch noch ein einziges Mal mit ihm reden könnte. Einmal, fünf Minuten. Warum gibt mir niemand diese fünf Minuten? Ich werde nicht mehr mit ihm sprechen. Nie wieder. In dieser einen Nacht im März taten sich gleichzeitig hunderte "nie wieder"s und hunderte "erste Male" auf. Wie eben dieser erste Schnee. Der erste Schnee nach Christophs Tod. Jetzt, wo die Bäume keine grünen Kleider mehr tragen und die Tage sich schon am Nachmittag in Dunkelheit hüllen, werde ich mit jedem Blick aus dem Fenster an die Zeit vor einem Jahr erinnert. Erstaunlich, was allein dieses Wetter alles in mir auslöst. Wird von nun an jeder Wintereinbruch so sein? Ein einziges riesiges Post-It, das mich daran erinnert: Heute vor einem, zwei, drei, vier, fünf... Jahren?
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Je mehr du gedacht hast, je mehr du getan hast, desto länger hast du gelebt.
(Immanuel Kant)


Christoph (1992-2015) - Ich vermisse dich
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  #9  
Alt 03.12.2015, 11:37
Franziska72 Franziska72 ist offline
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Liebe Lunacat,

Deine Gedanken kann ich soo gut nachempfinden. Nur bin ich Dir in etwa ein Jahr voraus. Mein Mann starb letztes Jahr im Juni nach 6monatiger Krankheit. Alles was Du schreibst könnte von mir kommen.
Ich kann Dich dennoch etwas beruhigen. Wie alle schreiben, die Trauer verändert sich mit der Zeit. Es gibt viele erst Mal ohne ihn... das erste Mal Einkaufen danach war auch ein spezielles Erlebnis. Man greift automatisch nach den Sachen, die ER gerne gegessen hat, ich bin dann nur noch geflüchtet. Mittlerweile habe ich dort meine eigene Routine wieder gefunden. Mir bestehen noch einige erste Male ohne ihn bevor, es wird auch Dinge geben, die ich definitiv ohne ihn nie wieder machen möchte.
Mir geht es jetzt schon viel besser als letztes Jahr um diese Zeit. Die Käseglocke (so habe ich den Nebel getauft, in dem man die ersten Monate lebt) über meinen Kopf ist nahezu verschwunden, ich habe oft wieder den Kopf für Alltägliches. Meine Trauer ist nicht mehr 24 h am Tag präsent. Natürlich denke ich noch jeden Tag an meinen Mann und ich vermisse ihn schrecklich und auch ich denke trotz der 18 Monate, er müsste bald wieder kommen. Aber ich weine nicht mehr so viel, meine Tränen sind oft nicht mehr so verzweifelt wie letztes Jahr. Es geht weiter. Ich habe auch schon viele Momente, in denen ich glücklich bin und ich meine so richtig glücklich ohne aber... (nach dem Motto: ist ja ganz schön, aber trotzdem ist alles schrecklich).
Oft tut es mir sogar richtig gut, wenn ich mich wieder einmal richtig ausgeheult habe, wenn der Damm gebrochen ist und wieder ein kleiner See von Tränen vergossen wurde. Durch die Trauer muss man leider durch und ein kleines bisschen nimmt man dauerhaft mit. Es wird nie wieder so wie vorher. Doch es lohnt sich weiter zu machen.
Ich drück Dich,
Franzi
__________________
Und wir dachten wir hätten noch soviel Zeit!
Jeder Tag mit Dir war ein Geschenk.
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Mein Schatz: 1972-01.06.2014
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  #10  
Alt 11.12.2016, 23:26
Lunacat_91 Lunacat_91 ist offline
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The saddest thing that I'd ever seen
Were smokers outside the hospital doors


Hier bin ich wieder. Nachdem ich monatelang hier nicht rein geschaut habe. Irgendwann wurde es zu viel und ich konnte all diese Geschichten und Gedanken nicht länger ertragen. Man kann es Egoismus nennen. Oder Selbstschutz. Oder Auszeit. Oder Weitermachen. Weitermachen mit dem Leben einer, zu dem Zeitpunkt, Vierundzwanzigjährigen.
Heute habe ich allerdings auf zeitjung.de den Blog eines Krebskranken in meinem Alter gelesen. Ich erkenne vieles, was wir vor zwei Jahren (unfassbar...) erlebt haben, in seinen Texten wieder.
Mein Leben mittlerweile... Es ging mir seit März, also ziemlich genau ein Jahr nach Christophs Tod, eigentlich besser. Ich war mit Freundinnen in den USA unterwegs. Unter anderem in San Francisco. Ich erinnere mich noch daran, wie Christoph - es muss im Februar 2015 gewesen sein - gesagt hat, dass er diese Stadt gerne noch sehen würde. Jetzt war ich dort. Für uns beide.
Mittlerweile lebe ich nicht mehr in München, sondern studiere woanders. Ich habe mich hier sehr gut eingelebt und auf Anhieb super nette Leute kennengelernt.
Einen Dämpfer gab es allerdings... Ich habe im Juni eine eigene Diagnose bekommen. Ich habe selbt chronisch krank. Das liegt bei uns in der Familie und ist - ich weiß es nicht - vielleicht durch diese extreme psychische Belastung in der Zeit davor nun eben ausgebrochen. Es ist ironisch. Wenn man denkt, es kann nicht schlimmer kommen... Aber mein erster Gedanke war einfach nur: Gott sei Dank nichts Schlimmeres, kein Krebs.
Ich weiß gar nicht so recht, an wen ich all das gerade adressiere. Es ist ein Schreibdrang.
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Christoph (1992-2015) - Ich vermisse dich

Geändert von Lunacat_91 (15.01.2017 um 12:53 Uhr)
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  #11  
Alt 15.01.2017, 12:40
Lunacat_91 Lunacat_91 ist offline
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Eines Tages wirst du für mich Dinge tun, die du hasst. Das bedeutet es, eine Familie zu sein.

Wahre Worte sind das. In Christophs schlechtesten Zeiten war es seine Familie - und ich, aber ich denke nach fast 5 Jahren Beziehung und in so einer Extremsituation konnte man mich quasi zur Familie zählen - die Dinge für ihn tat, die sie hasste. Und die auch er hasste. So sehr, dass es dafür keine Wort gibt. Mehr als abgrundtief. Dazu gehörten Dinge wie die täglichen Kalorienrationen herzurichten und an den Port anzuschließen. Essen ging ja nicht mehr. Und wenn, dann in viel zu geringen Mengen. Man konnte mit ansehen, wie die Chemo ihn auszehrte. Woche für Woche war da weniger. Und wer ihn in gesundem Zustand kannte, hat es eigentlich kaum für möglich gehalten, dass er mal noch dünner sein könnte. Zumindest nicht noch dünner ohne... ja, ohne krank zu sein.

Im März sind es zwei Jahre. Zwei Jahre seitdem ich den Tod meines Freundes miterlebt habe. Das Leid vor diesem Zeitpunkt und das Leid danach sind nicht miteinander vergleichbar. Irgendwann, nach einem monatelangen, aussichtslosen Kampf, der zu einem nicht mehr lebenswerten Leben geführt hat, sehnt man sich ein schnelles Ende fast schon herbei. Harte Worte. Aber wer einmal einen intelligenten, geliebten Menschen in dem Zustand gesehen hat, den eine Unterfunktion sämtlicher Organe bewirkt, der würde sich auch ein möglichst schnelles Ende für den anderen wünschen. Christoph hatte mir, als er noch klar denken konnte, das Versprechen abgenommen, ihn in die Schweiz zu bringen, sobald so ein Zustand eintritt. Er wollte so nicht leben. In seinen letzten Tagen musste ich mich der Frage stellen, ab wann es genug sei. Wann ich ihm nun diesen "Wunsch" erfüllen sollte. Noch ein Tag? Noch zwei? Nächste Woche? Mir wurde diese Entscheidung abgenommen: An dem Tag als er ins Krankenhaus gebracht wurde, starb er. Er wollte dort nicht sein. Und vielleicht wusste er genau, dass diese Entscheidung zu groß für mich war.

Jetzt sitze ich hier. Fast zwei Jahre später. Ich dachte, ich würde diese Panik, selbt krank zu sein, nicht mehr bekommen. In den Wochen und Monaten nach seinem Tod lebte ich in fast ständiger Angst, beobachtete meinen Körper ganz genau, tastete mich selbst ab, nahm Zink ein. Nur um dann im Juni 2016 eine eigene Diagnose zu bekommen... Und mein erster Gedanke war nur: Zum Glück kein Krebs. Mit der Krankheit lebe ich nun und ich dachte: Ok, das ist nun mein Los. Jetzt weiß ich es also. Mit 23 den Freund verlieren, mit 24 selber eine Diagnose kriegen. Aha. Gut. Ich konnte das soweit akzeptieren. Und ich dachte mir, dass ich nun keine Angst mehr haben müsste. Ich kannte ja nun mein "Schicksal". Ich weiß jetzt, welche Krankheit ich habe und brauche mir um weitere keine Sorgen machen. Das ging seit Juni gut. Bis jetzt. Jetzt kommt sie wieder... Die Angst vor Krebs. Seit Tagen spüre ich ein Ziehen im Bauch, taste ab, mache mich verrückt. Wie in den Wochen und Monaten nach Christophs Tod. Ich dachte, ich hätte diese Panik überwunden, die Angst vor dem Krankwerden. Also morgen zum Arzt... Da ich umgezogen bin und hier noch keinen Hausarzt habe, hoffe ich, dass ich auch ohne Termin irgendwo dran komme und auf Verständnis treffe mit meiner Angst. Nichts wäre schlimmer als ohne Ultraschall wieder heim geschickt zu werden. Wie Christoph damals. 7 Monate vor seinem Tod.

Es holt mich alles immer wieder ein. Die Vorstellung, irgendwann einmal wieder ganz losgelöst von diesen schrecklichen Monaten leben zu können, ist eine Illusion.
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(Immanuel Kant)


Christoph (1992-2015) - Ich vermisse dich

Geändert von Lunacat_91 (15.01.2017 um 12:54 Uhr)
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  #12  
Alt 16.01.2017, 22:58
Kleinzeller_Speiseröhre Kleinzeller_Speiseröhre ist offline
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Hi Lunacat,
mir geht es genau wie dir. Jedes Ziehen und Drücken löst bei mir mittelschwere Panik aus dass es ein Tumor sein könnte. Seit dem Tod meiner Mutter bin ich gefühlt Stammgast beim Arzt. Ist schwer sich davon loszumachen. Krebs schleicht sich so gemein an und oft ist es dann einfach schon zu spät. Aber trotzdem nervt und stresst es mich, immer in Lauerstellung zu liegen...Das kann es doch irgendwie auch nicht sein.
War dir wohl keine große Hilfe...Aber zumindest geht es nicht nur dir so.
Liebe Grüße von jamila
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