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Alt 07.05.2007, 11:44
Annie1978 Annie1978 ist offline
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Registriert seit: 13.03.2007
Beiträge: 1
Standard Glioblastom - Warum nur?

Hallo,

ich verfolge die verschiedene Threads in diesem Forum nun schon seit einigen Wochen. Bislang konnte ich mich nie dazu durchringen, etwas zu schreiben. Wahrscheinlich, weil ich nicht weis, wie ich meine Gefühle ausdrücken soll bzw. weil ich eigentlich gar nicht weiß, was ich eigentlich fühle.

Zu „meiner“ Geschichte: Die Mutter meines Freundes ist letztes Jahr Anfang Juni zu Hause mit zwei Krampfanfällen zusammengebrochen. Zum Glück waren wir an dem Wochenende, an dem es passiert ist gerade bei ihr zu Besuch (sie wohnt(e) in Rostock, wir leben in Hamburg). Es wurde dann ein Gehirntumor diagnostiziert, der operiert wurde. Nach der OP sagte uns die Ärztin, der Tumor konnte entfernt werden, es wären auf dem CT keine Tumorreste mehr erkennbar, den genauen Befund könne man erst nach der Gewebeuntersuchung sagen. Da wir, wie oben beschrieben, woanders wohnen, standen wir nicht in ständigem Kontakt mit dem Krankenhaus. Der Mutter meines Freundes ging es nach der OP schnell wieder gut, sie wirkte völlig normal, psychisch stabil und hat sich auch körperlich sehr schnell von der OP erholt. Uns hat sie, als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde gesagt, der Befund hätte ergeben, dass es sich mit über 90%iger Wahrscheinlichkeit um einen gutartigen Tumor handelte, dass jetzt aber zur Vorsicht, um ganz sicher zu gehen noch Bestrahlung und eine leichte Chemo in Tablettenform gemacht wird. Wir haben diese Aussagen nie hinterfragt, da sie, wie gesagt, einen völlig stabilen und normalen Eindruck auf uns machte. Die weitere Therapie hat sie soweit ganz gut überstanden, sie war zwar psychisch nicht so gut drauf, da die ständige Fahrerei zum Krankenhaus, Wartezeiten, Bestrahlung ziemlich an ihren Nerven gezehrt hat. Aber soweit ging es ihr körperlich gut, und wir haben auch zunächst an ihrem Geisteszustand keine Veränderungen bemerkt.
Ab Mitte/Ende Februar diesen Jahres fiel dann ihrem engeren Umfeld auf, dass sie verwirrter wurde. Sie wusste teilweise nichts mehr von Verabredungen, machte die Tür nicht auf, brauchte eine halbe Stunde um sich die Schuhe anzuziehen. Anfang März hat die Hausärztin sie schließlich wieder in die Neurologie eingewiesen. Dadurch haben mein Freund und ich dann erst erfahren, dass sie an einem Glioblastom erkrankt ist. Das Rezediv ist fast doppelt so groß wie der Ursprungstumor und hat bereits die zweite Gehirnhälfte befallen. Die Diagnose stand bereits seit Juli letzten Jahres fest, aber entweder wollte sie es uns nicht sagen, oder sie hat es selber nicht verstanden oder es nicht wahrhaben wollen und wir haben nie hinterfragt. Jetzt machen wir uns natürlich Vorwürfe, dass wir nicht intensiver nachgeforscht haben, dass wir nicht recherchiert haben, was Temodal für ein Medikament ist. Andererseits hätte es ja auch nichts geändert, die Diagnose wäre die gleiche geblieben, das Todesurteil wäre das gleiche geblieben, wir hätten es einfach nur eher gewusst.
Was die Sache so schlimm macht, mein Freund hat vor 2 ½ Jahren erst seinen Vater verloren. Er ist an Lungenkrebs gestorben. Mein Freund ist 26 und bald Vollwaise, das ist einfach wahnsinnig ungerecht. Er hat in den letzten Jahren so viel Sch… erlebt. Vor 5 Jahren starb seine Lieblingsoma, dann wurde er trotz des besten Ausbildungsergebnisses seines Jahrgangs nach zwei Jahren entlassen, dann die Erkrankung seines Vaters und dessen Tod, dann war er wegen eines besch… Arbeitszeugnisses lange arbeitslos und jetzt das! Ganz nebenbei ist seine andere Oma an Darmkrebs erkrankt. Wie lange dieser letzte Teil Familie noch da sein wird, ist also auch unklar.
Bei seiner Mutter war als wir sie dann in der Neurologie besucht haben schnell klar, dass sie nicht mehr in ihre Wohnung zurück kann. Sie war verwirrt, hat für einen so simplen Handlungsablauf wie sich-etwas-anziehen drei Stunden gebraucht, hat sich teilweise im Krankenhaus in der Toilette eingeschlossen und die Schwestern mussten sie nach Stunden herausholen. Sie selber hat nicht gemerkt, wie viel Zeit vergangen war. Sie war einfach nicht mehr in der Lage sich auf eine Handlung zu konzentrieren. Teilweise ist sie auch nicht mehr auf Toilette gegangen, weil sie nicht gemerkt hat, dass sie muss. Sie wurde im Krankenhaus zunächst mit Pflegestufe 1 begutachtet, da sie grds. zwar alleine essen, waschen, sich anziehen konnte, es musst immer nur jemand aufpassen, dass sie das auch macht.
Wir haben sie dann erstmal in Rostock in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung untergebracht. Dort ist sie nach zwei Wochen umgekippt und mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. Im Krankenhaus konnte man zwar auf Röntgen und CT keine Blutungen o.ä. feststellen, aber seit diesem Sturz ging es rapide bergab. Sie hat nicht mehr gesprochen, konnte nicht mehr selber aufstehen, musste gefüttert, gewickelt werden. Seit dem 16.04. ist sie nun bei uns in Hamburg in einem Pflegeheim. In der Kurzzeitpflege haben sie sie zumindest noch in einen Rollstuhl setzen können, um mit ihr raus zu gehen. Auch das ist nicht mehr möglich, sie ist nur noch bettlägerig, spricht nicht, reagiert auch kaum. Sie guckt zwar und gestikuliert mit den Armen, aber was sie mitbekommt, ob sie meinen Freund oder mich erkennt, ob sie weiß, wo sie ist – wir wissen es nicht. Selbst auf einfache ja/nein-Fragen gibt es keine Reaktion. Sie isst und trinkt wenig, an einigen Tagen geht es besser, an anderen Tagen gar nicht. Zum Glück führen sie im Pflegeheim ein Protokoll darüber, so dass sie einen Tropf bekommen, wenn sie zu wenig getrunken hat. Die Höherstufung der Pflegestufe ist beantragt, aber das dauert ewig. Die Kostenübernahme der Heimkosten durch das Sozialamt ist auch beantragt, dauert aber auch ewig. Das Pflegeheim an sich macht zum Glück einen ganz guten Eindruck. Sie hat dort ein schönes helles Einzelzimmer, kann von ihrem Bett aus dem Fenster in einen Park gucken. Wir haben einige persönliche Dinge aus der Wohnung in Rostock in ihr Zimmer gestellt. Das Pflegepersonal ist überwiegend freundlich, es wird darüber Protokoll geführt, wie viel sie gegessen und getrunken hat und man lagert sie regelmäßig um.
Es ist so erschreckend zu sehen, wie ein Mensch innerhalb weniger Wochen von einer selbstständig lebenden Person zu einem völligen Pflegefall werden kann. Das ist doch kein Leben! Wieso passiert so was? Und wieso uns? Mein Freund hat gerade mit einem berufsbegleitenden Studium begonnen, d.h. Studium und betriebliche Ausbildung im Wechsel, was sehr anspruchsvoll ist und wo er sich reinhängen muss, um danach Übernahmechancen zu haben. Ich bin auch voll berufstätig und habe kürzlich noch mit einem Fernstudium begonnen. Die Wohnung in Rostock muss bis zum 30.06. geräumt und vollständig renoviert werden. Ich weiß nicht, wie wir das alles schaffen sollen!
Mein Freund ist im Moment unglaublich rational, er zeigt überhaupt nicht, wie er sich fühlt und will das glaube ich auch nicht zeigen. Er funktioniert und verdrängt. Wie schlecht es ihm geht, merke ich eigentlich nur daran, dass er fast jede Nacht bis 4 oder 5 Uhr am Computer sitzt und spielt. Mehr als 2-3 Stunden schläft er nicht pro Nacht.
Ich fühle mich so völlig hilflos, weiß nicht, wie ich ihm helfen soll. Zumal ich mich mit der Situation völlig überfordert fühle. Ich mag seine Mutter auch kaum besuchen, weil ich mit ihrem Zustand nicht klar komme und deswegen habe ich ein schlechtes Gewissen. Schließlich habe ich sie schon gerne, für sie war ich immer wie ein zweites Kind. So viel Zuneigung werden meine Eltern meinem Freund nie entgegenbringen. Ich versuche zu helfen, indem ich Papierkram erledige, beim Ausräumen der Wohnung helfe usw. Aber andererseits muss ich auch irgendwie sehen, dass ich mein Leben, meine Ausbildung auf die Reihe kriege. Ich fühle mich so egoistisch, weil ich manchmal denken, es ist seine Mutter, er muss sich kümmern. Andererseits bin ich doch auch für ihn verantwortlich, ohne mich ist er doch aufgeschmissen. Und dann wieder will ich das alles nicht.

Tut mir leid, für diesen langen Text. Ich weiß, es ist alles sehr konfus geschrieben, aber im Moment läuft alles so konfus. Ich bewundere Euch alle, wie aufopferungsvoll Ihr Euch um Eure Angehörigen kümmert und komme mir selber vor wie ein egoistisches A…loch. Ich habe Eure Threads ausgiebig gelesen und mir ist bewusst, was da noch auf uns zukommen kann, und ich weiß nicht, wie wir das überstehen sollen.
Ich weiß, einige von Euch werden verständnislos den Kopf schütteln, wie ich mich so verhalten kann. Bitte glaubt mir, ich habe vor jedem von Euch die größte Hochachtung!

Liebe Grüße aus Hamburg,

Annie

Geändert von Annie1978 (07.05.2007 um 14:40 Uhr)
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  #2  
Alt 07.05.2007, 14:04
leonardo leonardo ist offline
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Registriert seit: 26.07.2006
Ort: Tirol
Beiträge: 21
Standard AW: Glioblastom - Warum nur?

Liebe Annie,

ich schüttle ganz bestimmt nicht verständnislos den Kopf über deine Gedanken und Gefühle. Ich kann dieses Chaos, dass in deinem Innersten herrscht sehr gut verstehen. Natürlich willst du deinem Freund zur Seite stehen und seiner Mutter helfen. Und natürlich ist die ganze Situation unglaublich schwierig und kaum fassbar. Dass du dir manchmal denkst, er soll sich doch um seine Mutter kümmern, ist eine ganz normale Reaktion. Wir sind alle nur Menschen und neigen dazu, schlimme Sachen von uns wegzuschieben. Das ist ein Schutzmechanismus, ohne den wir das Ganze nicht überstehen würden. Mach dir keine Vorwürfe, wenn du solche Gedanken hast. Es ist schon schwierig genug. Auch ich hab in den vergangenen eineinhalb Jahren manchmal den Wunsch gehabt, einfach davonzulaufen. Dem Elend zu entkommen. Aber so funktioniert das eben nicht und ich versuche immer wieder all meine Kräfte zu mobilisieren, um meinem Freund beizustehen. Manchmal geht es leichter, manchmal ist es kaum zu ertragen. Dieses Auf und Ab wird einen immer begleiten. Man lernt damit zu leben, auch wenn man es sich anfangs nicht vorstellen kann.

Ich drück dich ganz fest und schick dir viele kraftvolle und ermutigende Grüße.
Claudia
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  #3  
Alt 07.05.2007, 19:21
Benita Benita ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.09.2005
Beiträge: 573
Standard AW: Glioblastom - Warum nur?

Hallo Annie,

es ist unglaublich, was ein Mensch ertragen muss, ja ertragen kann. Den schlimmsten Part hat natürlich die Mutter deines Freundes, aber auch ihr Angehörigen steht nicht viel besser da. Dein Freund steht seiner Mutter am nächsten, du deinem Freund. Jeder muss sein Päckchen tragen.
Wichtig ist nur eins. Euer Zusammenhalt. Du musst für ihn da sein und ihn unterstützen. Dass er rational ragiert ist gut. Es muss getan werden, was getan werden muss. Alles andere hilft nicht weiter. Hör bitte auf, die Vorwürfe zu machen. Das ist vergeudete Energie und von der braucht ihr zurzeit und demnächst noch genug. Uns Angehörigen geht es doch allen so.
Ich liebe meinen Mann sehr, wir sind seit 25 Jahren ein Superteam und ich stehe ihm seit 7 Jahren bei seiner Krebserkrankung zur Seite. Er sagt immer: "wenn ich dich nicht hätte, wollte ich nicht mehr leben." Auf der einen Seite bin ich glücklich, dass ich es schaffe ihm Lebensmut zu geben und seinen Kämpfergeist zu stärken. Auf der anderen Seite ist es eine riesige Verantwortung. Auch ich habe Tage, an denen ich glaube, ich schaffe es nicht mehr, alles übersteigt meine Kräfte und ich würde am liebsten weglaufen.
Irgendwohin, in einen dunklen Raum, wo ich nichts höre, nichts sehe und niemandetwas von mir will. Das geht natürlich nicht und so mache ich einfach weiter. Ich weiß, er würde das gleiche für mich tun.

Also, du bist kein A....loch. Kämpfe weiter für deinen Freund.

Ich wünsche dir viel Kraft dafür..
Liebe Grüße Benita
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