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  #1  
Alt 19.07.2002, 23:15
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Hallo zusammen!

Jetzt schaue ich schon seit Monaten immer wieder ins Forum und habe dennoch noch nichts zu meinem Thema gefunden. Auch der Büchermarkt gibt irgendwie nicht das her, was meine Fragen beantworten kann.

Im Dezember 2002 ist mein Vater an seiner Krebserkrankung gestorben. Das ist sehr schlimm für mich. Ich finde in der normalen Welt niemanden, mit dem ich reden kann. Ich habe das Gefühl, die Menschen weichen dem Thema aus. Sogar in unserer Familie wird nicht darüber gesprochen. Von meinem Vater selbst schon, das tue ich selber auch sehr oft, aber nicht von seinem Sterben. Ich konnte ihn in seiner letzten lebenswoche leider nicht mehr begleiten, da er sich isoliert hatte, habe nur ein Mal (!) mit ihm telefoniert. Ihr könnt euch denken, wie schrecklich das jetzt für mich ist.

Ich wüsste so gerne, was er gefühlt hat in dieser letzten Woche. Was er gedacht hat. Ich finde keine Antworten. Kann mir hier nicht jemand helfen?
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  #2  
Alt 20.07.2002, 00:07
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Standard Wer kann mir helfen?

Hallo Anja.

Es gibt auf diese Fragen wohl keine Antworten.Auch ich sitze da mit diesen Fragen.Obwohl ich immer bei meinem Mann war und wir so glaube ich immer über alles gesprochen haben,so denke ich konnte und wollte er nicht darüber reden.Zum einen sicher aus Angst, mich zusätzlich zu beunruhigen(fällt kein besseres Wort ein) und zum anderen sicher weil man diesen Weg allein gehen muß.Es gibt sicher wenige Menschen die darüber reden können.
Gründe für diese Verschlossenheit gibt es viele.Auch ich mach mir Vorwürfe ihm nicht die Signale gegeben zu haben mit mir darüber reden zu können.
Es tut mir Leid dir nicht weiter helfen zu können.Ich glaub auch es wird kaum Literatur dazu geben,weil das doch sehr individuell ist.
Ich wünsch Dir und uns Allen die Kraft das irgentwann akzeptieren zu können.
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  #3  
Alt 20.07.2002, 18:20
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Hallo Anja,

es ist merkwürdig,- es scheint doch auch andere Menschen zu geben, die sich mit bestimmten Gedanken quälen. Mein Mann ist nach einer qualvollen Zeit, in der ich ständig bei ihm war gestorben. Wir haben uns in unserer langen innigen Ehezeit ständig über alles und uns und und und..... unterhalten. Wir waren uns sehr nah,- näher geht es garnicht und dennoch hat er sich in den allerletzten Tagen vor seinem Tod (ich weiß nicht ob er ihn erahnt hat) völlig in sich zurückgezogen und sprach fast nicht mehr,- auch mit mir nicht. Kein Austausch, keine Klage,- nichts.Ich grüble ständig darüber nach ob ich irgend etwas falsches gesagt oder getan habe, denn auch ich war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage wirklich klar zu denken vor Kummer, Panik und Übermüdung!
Aber vielleicht ist es wirklich so, es lag nicht an Dir oder mir,- unser geliebter Patient brauchte die Ruhe und das "in sich gehen".Auch mir hat es weh getan, denn ich empfand das sich von mir zurückziehen als "Bestrafung".
Ich fürchte, wir müssen es hinnehmen wie es war und uns sagen, es galt nicht uns!Deshalb bin ich auch irgendwie "froh" zu lesen, daß es nicht nur mir so ging und dasselbe müßte für Euch gelten.
Nadine
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  #4  
Alt 20.07.2002, 20:31
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Liebe B., liebe Nadine!

Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr so schnell geschrieben habt. Seid umarmt!
Ich glaube, dass ihr mich vielleicht nicht richtig verstanden habt. Mein Vater hat sich räumlich distanziert. Er ist weit weg in eine Klinik gegangen und ich bin sicher, dass er wusste, dass er nicht mehr zurückkommen würde, sondern dort sterben würde. Das wollte er übrigens auch. Ich glaube auch, dass er sich von uns so abgesetzt hatte (er wollte nicht, dass einer von uns bei ihm ist und auch die Anrufe von uns waren ihm, glaube ich, lästig), weil er sich von uns lösen wollte. Er hat gespürt, dass wir ihn noch nicht loslassen konnten. Und sicher fiel es auch ihm schwer, uns loszulassen, solange er noch um uns war oder unsere Stimmen gehört hat. Ich glaube, dass dies sein Grund war, uns zu verlassen. Er wollte in Ruhe sterben, weil er unter diesen Qualen nicht mehr weiterleben wollte.

Wenn Menschen sich in ihren letzten Lebenstagen von einem abwenden und nicht mehr sprechen, haben sie meiner Meinung nach vielleicht angefangen, sich vom Leben überhaupt abzuwenden. Sie müssen das tun, weil sie sonst nicht sterben können. Wer stirbt, hat eben nichts mehr mit dem Leben zu tun.

Mein Problem ist aber eher, dass ich wissen will, was konkret in ihm vorgegangen ist. Ich will auch wissen, wie er sich körperlich gefühlt hat, ob er Schmerzen hatte, wie stark seine Übelkeit war. Ich würde das alles gerne einmal nachfühlen können. Ich will wissen, ob er Angst hatte oder ob er das Leben so satt hatte, dass er sich wirklich auf seinen Tod freuen konnte. Ich will wissen, ob er überhaupt noch an irgendetwas Freude empfunden hat und ob er noch an uns gedacht hatte.

Ich weiß, dass er morgens an seinem Todestag noch gelacht hat. Drei Stunden bevor er gestorben ist, hat er noch mit meiner Mutter telefoniert.

Seid lieb gegrüßt und danke fürs Zuhören. Anja
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  #5  
Alt 20.07.2002, 21:58
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Hallo Anja

ich glaube nicht, das Dir irgendjemand die Antwort gebe kann.
Denn wer kann sagen, was in einem Menschen vorgeht - wenn er stirbt? Wer kan wissen, ob er Schmerzen hatte oder ob er eine gut funktionierende Schmerztherapie hatte? an wen er gedacht hat, an wen nicht? Hatte er Angst, oder hat er sich auf die Ruhe gefreut?

Ich glaube auch, das jeder Mensch andere Gedanken hat - wenns dann soweit ist. Meine Mutter fiel 3 Tage vor ihrem Tot ins KOma, und schon die Tage vorher hat sie ich nicht einmal mehr erkannt. Das tat sehr weh, ich war 19 Jahre alt, und konnte nicht verstehen, das sie mich nicht erkannt hat. Und ich erkannte sie auch kaum noch, so sehr hatte sie sich verändert innerhalb kürzester Zeit. Und wie sollte ich meinen viel jüngeren Geschwistern erzählen, das die eigene Mutter mich nicht mehr erkannt hat - und ganz sicher auch nichts mehr von der Exsitenz meiner Geschwister wußte. Sie durften sowieso nicht mit ins Krankenhaus.

Meine Schwester hingegen ( starb mit 38 Jahren an BK) ist eine Woche vor ihrem Tot ins KOma gefallen und ist ein paar Minuten vor ihrem Tot noch einmal wachgeworden - und ist dann mit einem erlösenden Lächeln eingeschlafen.

Guck mal, wenn Dein Vater noch 3 Stunden vorher mit Deiner Mutter telefoniert hat, behalte doch das in Erinnerung. Er hat gelacht - du kennst doch das lachen Deines Vaters? Es ist doch eine schöne Erinnerung. Wenn er nicht mehr an Euch gedacht hätte, hätte es das Telefonat nicht gegeben, oder?

Weißt du, ich versuche mir oft die schönen Momente ins Gedächtnis zurückzurufen.. Das Lachen meiner Schwester; das Gesicht meiner Mutter wenn sie ihre unzähligen Versuche, uns 7 Kinder Ordnung beizubringen unternommen hat. Das Gerangel mit meinen 1 Jahr älteren Bruder ( starb kurz vor meiner Mutter ); die unendlichen Versuche meinem Vater dieses widerliche Zigarren Rauchen abzugewöhnen, und die dazugehörigen Tricks.
Ach - irgendetwas fällt mir da immer ein.

Das ich so denke, heißt nicht, das ich auch traurig bin. Heute mehr als früher. Früher mußte ich stark sein, mußt jemand für die Geschwister da sein. Da blieb für mich keine Zeit zu trauern, schwach zu sein.
Heute kann ich es mir erlauben - auch mal traurig zu sein.

Ich vermisse vor allen Dingen meine Schwester sehr.

Ich wünsche dir, das Du mit dem Tot Deines Vaters umgehen lernst - und vielleicht wirklich die schönen Stunden im Gedächtnis behältst.

viele Grüße
elisabeth
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  #6  
Alt 20.07.2002, 21:58
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Liebe Anja,

ja wahrscheinlich hatte ich Dich nicht ganz richtig verstanden und dennoch meinen wir dasselbe.Der Eine hatte sich räumlich distanziert und der Andere einfach in sich selbst verkrochen, da er nicht mehr die Möglichkeit hatte, sich räumlich zu distanzieren.
Auch was Du alles erfragst, habe ich nachvollzogen,- denn genau diese Dinge gehen ja auch mir ständig im Kopf herum.Auch ich möchte u.A. wissen, ob mein Mann an mich dachte (obwohl ich vor ihm saß) und vor allen Dingen wie er an mich dachte.Ich merkte nur zuhause schon, bevor wir das letzte Mal in die Klinik gingen (daß es das letzte Mal war wußten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht).Ich machte meinen Mann auf die Krocusse im Garten aufmerksam und die Osterglocken, die langsam kamen,- aber er sah gar nicht hin.Ich fürchte wirklich, er wollte nichts mehr sehen und hören um nicht noch mehr zu leiden.Selbst die Freunde, die abends immer anriefen, wollte er die allerletzten Tage nicht mehr sprechen.Er "schottete" sich gegen alles ab.Und als es dann in der letzten Nacht ganz dramatisch wurde, waren seine letzten Worte nur noch:schlafen-schlafen-schnell-schnell. Ich habe das so interpretiert, daß er nichts aber auch garnichts mehr mitbekommen wollte.Für mich ein Schock, ich hätte so gerne noch einmal ein liebes Wort von ihm gehört.Oder ihm liebe Dinge gesagt.
Was ihr Vater gedacht hat, weiß ich natürlich nicht, aber die Tatsache, daß er sich räumlich distanziert hat, deute ich so, daß er erstens seiner Familie das teilweise doch grauenvolle Sterben nicht zumuten wollte mit anzusehen. Und dann auch sich wirklich selbst von allen Erinnerungen zu lösen (die sonst nur weh tun).Die gewohnte Umgebung zu verlassen um nicht an "jeder Ecke" auf Erinnerungen zu stoßen, die weh tun, wenn man sein Leben nicht behalten darf. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er sich auf den Tod gefreut hat. Es war sicher eher eine Art Ohnmächtigkeit der hoffnungslosen Situation gegenüber und das sich dem entziehen wollen. Mein Mann wußte auch genau in welcher Verzweiflung er mich zurücklassen würde,- aber ich glaube, er schaltete diese Gedanken einfach ab,um nicht noch mehr seelisch leiden zu müssen,- da er ja an der Situation nichts ändern konnte.
Ihr Vater hatte sicher eher Angst vor dem Tode, hatte aber vielleicht auch Angst vor lauter verheulten Gesichtern um ihn herum? Aber vielleicht (und daran klammere ich mich auch in meiner Verzweiflung)sah er am Ende nur noch Licht und fühlte Wohlbefinden. Es gibt Menschen, die dem Tod schon ganz ganz nah waren, die manchmal solche Dinge erzählen.
Im Endeffekt, wir können nur spekulieren, aber ich glaube wir sind der Wahrheit ziemlich nah.Und auch Dein Brief hat mich unsere Situation aufeinmal besser verstehen lassen,- danke.
Ich weiß, ich konnte Dir nicht helfen, aber wir haben uns gegeseitig Denkanstöße gegeben und auch das könnte eine Art Hilfe sein.?
Alles Liebe, Nadine
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  #7  
Alt 21.07.2002, 01:26
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Liebe Anja,
als ich wußte, daß meine Mutter sterben würde - sie lag damals im Hospiz mit Brustkrebs im Endstadium und wollte so gerne sterben, nicht wegen der Schmerzen und der Krankheit, sondern wg. lang-jähriger schwerer Depressionen und des damit verbundenen Leidens - da wollte ich auch "besser" oder wenigsten im Ansatz verstehen, was mit ihr und in ihr vorging. Neben den Gesprächen im Hospiz half mir das Buch von Sherwin B. Nuland "Wie wir sterben" Kindler Verlag.Nuland ist Chirurg und Medizinhistoriker und weiß wovon er spricht. In seinem Buch zeigt er die biologische und klinische Realität um uns zu helfen, die Furcht vor dem "unbekannten Land" zu überwinden. Er zeigt aus seiner Erfahrung, daß jeder Mensch auf seine eigene Art stirbt, so, wie er auch auf seine eigene Weise gelebt hat.
Ich fand das beeindruckend und es hat - ein wenig - und im nachhinein immer mehr - geholfen. Auch mir selbst, da ich bereits 2mal an Krebs erkrankt war und immer damit rechnen muß beim nächsten Mal gehen zu müssen.
Ich glaube, daß man am Ende ganz bei sich ist und auch das Recht darauf hat es so einzurichten wie man es für sich ganz persönlich regeln möchte. Auch wenn das für die Nächsten schwer zu verstehen ist, wie ja der schwerste Part immer bei den Zurückbleibenden bleibt. Wenn ich erst einmal weis und akzeptiert habe, daß ich gehen muß, richte ich es so ein - soweit ich das kann - wie es für mich am besten ist. Und wenn ich spüre oder weiß, daß ich meine Angehörigen auf diesem Erkenntnisstand nicht mitnehmen kann, aus welchen Gründen auch immer, und wenn die eigene Kraft eben nur für mich auf meinem letzten Weg reicht - so bitte ich meine Angehörigen um Vergebung - aber ich denke, ich darf dann auch so "egoistisch" sein. Es ist mein letzter Weg und ich darf dann auch "nur" an mich denken. Ich glaube Du hast Deinen Vater in Deiner Interpre-tation seines Verhaltens schon ganz gut verstanden.
Das Buch von Nuland kann Dir bestimmt weitere offene Fragen beantworten. Alles Gute auf dem Weg.
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  #8  
Alt 21.07.2002, 12:55
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Hallo,
hier noch ein weiterer Buch-Tipp:
Die Schweizer Ärztin Dr. Elisabeth Kübler-Ross hat ebenfalls gute Bücher geschrieben. Sie hat viele Sterbende begleitet und die Erfahrung gemacht, was Menschen kurz vor ihrem Tod noch denken und fühlen. Die Ärztin gibt in ihren Büchern gute Denkanstösse.

Liebe Grüsse an Euch
von Brigitte
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  #9  
Alt 21.07.2002, 13:18
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Liebe Brigeitte, liebe Elisabeth!

Vielen lieben dank für eure Literaturtipps. Alle von euch genannten Bücher habe ich schon mehrmals gelesen. Sie haben mir bei meinen allgemeingültigen Fragen auch weitergeholfen, aber eben nicht in Bezug auf die ganz individuellen, meinen Vater betreffenden. Ich weiß, dass niemand auf der ganzen Welt mir diese Fragen beantworten kann und das soll ja eigentlich auch keiner. Aber- und das ist der Grund, warum ich mich hier im Forum oute- es tut einfach unheimlich gut, wenn man sich anderen mal mitteilen kann und spürt, dass jemand Anteil an den eigenen Gedanken nimmt. Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr euch die Zeit genommen habt, meien Sorgen zu lesen und mir etwas zurückzuschreiben. Dass ihr euch Gedanken über meine Fragen gemacht habt. Damit allein helft ihr mir schon weiter. es ist ein Segen, dass es dieses Forum hier gibt.

Seid gegrüßt. Anja
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  #10  
Alt 21.07.2002, 20:30
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Liebe Anja, du hast recht, dieses Forum ist wirklich etwas Besonderes. Eure Beiträge haben mich den ganzen Tag beschäftigt und tun es noch, besonders wenn ich draußen mit dem Hund unterwegs bin. Jeder erlebt auf seine Weise so wie jeder Mensch seinen ganz eigenen Lebens- und Sterbeweg geht - und doch gibt es viel Gemeinsames. Beim Durchlesen aller Beiträge, die ich mir ausgedruckt habe, fällt mir auf, daß Du, Anja, schon sehr weit gekommen bist - auf dem Weg zu verstehen. Das beeindruckt mich sehr, vor allen Dingen, auf welche Weise Du Dich den Fragen näherst. Einige Deiner Fragen werden und können wohl nie beantwortet werden, - aber ist das so schlimm???
Ich denke, wir suchen besonders dann dringend Antworten auf unsere Fragen, wenn wir in bestimmten Situationen noch Angst haben. Erhalten wir - vermeintlich -plausible Antworten, können wir uns orientieren (auch in der Trauer und im Verlust), wir halten noch fest, was wir verloren haben und können so besser Angst und Verzweiflung"im Schach" halten.

Später, wenn wir loslassen konnten, schwindet die Angst und wir können es zulassen, in bestimmten Situationen Fragen einfach stehen zu lassen. Du wirst das erleben - Du bist auf einem guten Weg und Dein Vater - wo immer er auch ist - begleitet Dich und vermutlich lacht er dabei auch ein bißchen.
Alles Gute, Elisabeth M.
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  #11  
Alt 21.07.2002, 23:41
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Hallo zusammen!

Nadine, du schreibst, dass du dir nicht vorstellen kannst, dass mein Vater sich auf seinen Tod gefreut haben könnte. Da würde ich dir widersprechen wollen. Ich glaube, Frieden im Tod zu finden ist seine einzige Hoffnung gewesen, und ich weiß, dass er nicht mehr leben wollte! Wäre er gesund gewesen oder hätte zumindest nicht diese körperlichen Einschränkungen und Schmerzen gehabt (Schmerztherapie hat nicht gegriffen) oder diese schreckliche Übelkeit, die er monatelang erdulden musste ohne auch nur eine Minute lang Erleichterung zu finden, dann hätte er es vorgezogen zu leben. Aber unter diesen Bedingungen hat er nicht leben wollen, das weiß ich, weil er es uns geschrieben hatte.
Vielleicht hatte er gar keine Angst mehr davor, zu sterben, weil er sich einen schlimmeren Zustand als den aktuellen sowieso nicht mehr vorstellen konnte. Ich glaube nicht, dass er sich distanziert hatte, um unsere "verheulten Gesichter" nicht sehen zu müssen, weil er das vielleicht nicht ertragen hätte. Ich denke, dass er am Schluss schon so weit war, sich wirklich nur noch auf seine Bedürfnisse zu konzentrieren. Da ist es ihm sicher egal gewesen, ob er uns traurig macht, wenn er uns verlässt. Ich stelle es mir immer so vor, wie wenn es mir selber mal so richtig schlecht geht. Wenn ich zum Beispiel mal so schlimme Bauchschmerzen habe, dass ich keinen Menschen mehr sehen möchte, wenn ich nur noch allein sein möchte. Dann ist es mir zum Beispiel auch egal, was andere empfinden. Ist jetzt ein etwas blöder Vergleich, aber was besseres fällt mir aus meinem eigenen Leben gerade nicht ein.
Ich könnte mir vorstellen, dass mein Vater es auch so empfunden hat. Dennoch hätten wir ihn durch unsere Anwesenheit daran gehindert, sich auf sich zu konzentrieren. Mal ganz abgesehen davon, dass er es als anstrengend empfunden hätte, uns unterhalten zu müssen (denn so ein Mensch ist er gewesen...), hätte es ihn nur von sich selber abgelenkt. Wir hätten ihn immer wieder aus seiner Vorbereitung herausgerissen.
Ich habe ihn nur noch einmal angerufen. Ich wusste, dass er nicht wollte, dass ich noch Kontakt zu ihm halte oder aufbaue. Es ist mir schwergefallen, mich nicht bei ihm zu melden, weil ich auch nicht wollte, dass er das Gefühl bekommt, dass ich ihn abgeschrieben habe oder alleinlasse. Aber ich wollte ihm meinen Respekkt und meine Liebe zeigen, indem ich seinen Willen akzeptiere. Alles andere hätte ich ignorant und rücksichtslos gefunden.
Seine letzten Worte zu mir waren "Nacht...Nacht" und er meinte "Gute Nacht". Für mich waren sie Abschiedsworte. Er wollte mir Tschüss sagen damit. Es war überflüssig, mich danach noch einmal mit ihm auszutauschen, es war alles gesagt.
Aber natürlich mache ich mir mitunter auch Vorwürfe, nicht doch mehr für ihn getan zu haben. Vielleicht hätte er es zugelassen, ihn bis zum wirklichen Schluss zu begleiten, wenn ich ihm das Gefühl gegeben hätte, dass ich ihn loslassen kann. Wenn ich mich so verhalten hätte, dass er mich nicht als Belastung empfunden hätte, sondern als Stütze. Denn das glaube ich auch: Kein Mensch ist in seinen letzten Stunden gerne allein, wenn er einen anderen Menschen bei sich haben kann.
Nur die Voraussetzungen müssen halt erfüllt sein.
Also hab ich vielleicht doch nicht alles richtig gemacht...

Nein, ihr Lieben, es sind keine Vorwürfe, die ich mir hier mache, aber es sind meine Gedanken. es ist das, was mich seit langem schon beschäftigt. Ich habe eines daraus gelernt. Wenn noch einmal ein naher Mensch im Sterben liegen sollte, werde ich anders darauf vorbereitet sein.

Ich wünsche euch eine gute Nacht. Anja
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  #12  
Alt 02.08.2002, 16:14
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Hallo zusammen,

schade, dass ihr auf meinen letzten Beitrag nicht mehr reagiert habt. Ich fände es sehr hilfreich, wenn ihr mir eure Gedanken dazu mitteilen könntet.

Seid lieb gegrüßt. Anja
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  #13  
Alt 02.08.2002, 16:50
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Hallo Anja,

ich denke schon, dass Du dich richtig verhalten hast. ( Sofern das Wort richtig- richtig ist)

Ich glaube auch, dass sich dein Vater zurückgezogen hat, um sich auf das Sterben vorzubereiten. Er brauchte sicher seine ganze Kraft für sich selbst. Das Zurückziehen ging nicht gegen Euch.
Ob ein Mensch in seinen letzten Stunden gern oder nicht gern alleine ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich kann mir vorstellen, dass das ganz unterschiedlich ist.
Vielleicht kann man sich dann nicht aufs <Sterben konzentrieren, oder empfindet es doch als Belastung wenn man in Ruhe gehen möchte und der Angehörige will reden.
Ich bin sicher, wenn das Leben nur noch Qual und Leid bedeutet, der Tod dann Erlösung ist und man froh ist, dass das Leid ein Ende hat. Unter solchen Umständen ist das Leben nicht mehr schön und Lebenswert. Muss es da nicht so sein, dass man froh ist, gehen zu dürfen?
Dein o.a. Bericht ist so ziehmlich identisch mit meiner Einstellung.
Hört sich vielleicht unsentimental an, aber ist es nicht ein Trost, dass er das Leiden hinter sich hat? Sicher hättest Du ihn gern noch bei Dir,- aber unter diesen Lebensbedingungen die er zuletzt durchstehen musste, ist doch dieser Weg besser- oder?

Liebe Grüße
LI(ane)
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