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  #1  
Alt 03.07.2011, 15:49
tinowuff tinowuff ist offline
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Registriert seit: 03.07.2011
Ort: Schwarzwald
Beiträge: 2
Standard Ich fühle mich allein gelassen

Ich bin neu hier und möchte meine Geschichte erzählen. Vielleicht hilft es mir.
Ich bin seit Monaten immer mal wieder als Besucher hier gewesen.
Weiss gar nicht, wo ich anfangen soll.
Vor 13,5 Jahren ist meine Mutter am heiligen Abend im Alter von 53 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Ich weiss es noch genau. Vormittags war ich noch bei ihr in der Klinik. Man hatte sie ins künstliche Koma gelegt. Ich hielt ihre Hand und sagte, obwohl ich nicht gläubig bin: Lieber Gott nimm sie zu dir. Abends um 19.00 Uhr, klingelte das Telefon und die Klinik rief an. Da haben wir unsere Tochter, sie war damals acht Jahre alt, zur Nachbarin gebracht und sind dann in die Klinik. Meine Mutter lag da, als ob sie schlief. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie das Weihnachtsfest für mich seitdem aussieht. Die Krankheit meiner Mutter dauerte ein Jahr mit Metastasen im Gehirn und in der Leber.
Da brach für mich eine Welt zusammen. Ich muss anmerken, meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich 3 Jahre alt war und haben dann noch 3 Jahre zusammengelebt bis ich zur Schule kam. Mein Vater hat wieder geheiratet und 2 Kinder. Ich bin mit meinem Bruder bei meiner Mutter geblieben. Ich habe nicht die beste Kindheit gehabt. Musste sogar ins Kinderheim, weil meine Mutter Angst hatte allein zu bleiben und immer Typen hatte, wo Alkohol eine grosse Rolle spielte. Deshalb habe ich meine Mutter trotzdem lieb,aber das hat mich so geprägt, dass ich zum Beispiel noch nie betrunken war und teilweise etwas seltsam reagiere. Meinen Vater habe ich zuerst imer noch besucht, aber je älter ich wurde umso seltener wurden die Besuche bis ich ganz wegblieb. Doch das nur kurz angemerkt.
Die erste Zeit nach der Beerdigung bin ich immer ans Grab meiner Mutter, aber es wurde mit mir immer schlimmer und so habe ich sie nicht mehr besucht. Ich kann es nicht so richtig beschreiben. Ich weiss natürlich, dass sie tot ist, aber wenn ich nicht an ihr Grab gehe ist es auch nicht so richtig war. Ich verdränge es halt. Ich fühlte mich aber so allein, dass ich meinen Vater geschrieben habe. Er wohnte immer noch auf Rügen und wir sind ja mit meiner Mutter in den Schwarzwald gezogen. Es waren bestimmt 18 Jahre, dass wir uns nicht gesehen hatten. Von da an hatten wir wieder Kontakt. Seine Frau ist eine ganz liebe.
Mitte Januar diesen Jahres klingelte bei mir, dass Telefon. Mein Halbschwester war dran und sagte: Papa geht es nicht gut, er hat Lungenkrebs! Für mich brach eine Welt zusammen. Ich hatte kurz zuvor aufgehört zu rauchen und rauche bis heute nicht und werde nie wieder eine rauchen. Bin dann sobald es ging zu meinem Papa gefahren. Er war in der Klinik. Inzwischen hatte man noch Metastasen im Gehirn festgestellt. Von da an wusste ich, mein Papa wird an der gleichen Krankheit sterben. Da frage ich mich: Wenn es einen Gott gibt, warum macht er so etwas?
Konnte ein paar Tage bei meinem Papa bleiben, aber irgendwann musste ich wieder Heim.
Mein Papa hat dann Bestrahlung und Chemo bekommen. Er hatte seitdem auch keine Zigarette mehr geraucht. Ich war so stolz auf ihn, da er vorher mindestens 2 Schachteln geraucht hat. Dann kam er nach Hause und am 2. Tag rauchte er wieder. Die Krankheit war schon schlimm, aber das er wieder rauchte war noch schlimmer. Für mich war es als wenn er mich verraten hat und sich früher aus dem Leben stehlen wollte. Ich machte, was ich mein Leben lang gelernt hatte. Ich verdrängte alles und brach den Kontakt ab. Meine Tochter rief immer an und hielt mich auf dem laufenden. Seitdem bin ich auch in psychologischer Behandlung. Es half etwas. Aber dann am 20.Juni 2011 ist mein Papa gestorben. Das gab mir den Rest. Beerdigung ist am nächsten Samstag. Ich werde nicht hin. Dann ist es für mich auch nicht richtig wahr. Das ist auch wieder ein richtiger Rückschlag. Für mich ist alles sinnlos. Das einzige, was mich hier noch hält, sind mein Hund Tino ( Mein Lebensmotto seit Jahren lautet: Ich liebe die Tiere, denn ich kenne die Menschen ) und meine Tochter. Ich weiss nicht, wie es weitergeht, aber ich weiss auch, dass es nicht normal ist. Aber das Leben hat das aus mir gemacht, was ich jetzt bin.
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  #2  
Alt 04.07.2011, 15:01
tochtermama tochtermama ist offline
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Registriert seit: 08.12.2008
Beiträge: 8
Standard AW: Ich fühle mich allein gelassen

Liebe tinowuff,

mein herzliches Beileid! Es ist grausam, was Du für schwere Schicksalsschläge ertragen musst! Ich wünschte, ich könnte helfen. Wie Du anscheinend selbst schon vermutest, ist Verdrängung nicht die beste Strategie, obwohl wir sie uns aussuchen, um uns selbst zu schonen schätze ich. Ich glaube, wir lassen immer nur so viel an uns ran, wie wir verkraften können. Du machst es bestimmt richtig. Gehst Du denn noch weiter zum Psychologen? Vielleicht würde Dir der Besuch auf der Beerdigung auch helfen? Vielleicht ein Gespräch mit der hinterbliebenen Frau Deines Vaters? Ich weiß es auch nicht. Jedenfalls hat Dein Vater bestimmt nicht wieder angefangen zu rauchen, um Dich zu verraten. Ich stelle mir vor, dass man dann denkt, jetzt habe ich eh schon Krebs und Metastasen, da muss ich mich die verbliebene Zeit nicht auch noch mit Entzug quälen, sondern kann wenigstens weiterrauchen. Es ist schließlich nicht so einfach, aufzuhören und schon gar nicht, wenn man so stark abhängig war.

Das Gefühl, nur für mein Kind weiterzuleben, kenne ich auch.
Ich wünsche Dir viel Mut und Kraft!
tochtermama
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  #3  
Alt 04.07.2011, 16:01
Benutzerbild von Wasser13
Wasser13 Wasser13 ist offline
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Registriert seit: 16.04.2010
Beiträge: 138
Standard AW: Ich fühle mich allein gelassen

Liebe/r tinowuff,

zuerst einmal mein Beileid und mein Mitgefühl. Es ist furchtbar, beide Elternteile verloren zu haben; ich weiß, wovon ich schreibe.

Du, ... ein Stück weit schließe ich mich tochtermama an. Du warst (bist noch?), wie Du schreibst, in psychologischer Behandlung - lass' Dir von dieser Seite her auch weiterhin helfen. Deine Eltern haben sich vor vielen Jahren getrennt - eine lange Zeit, die Du (leider) nicht mit beiden Elternteilen erleben konntest/durftest. Viele Fragen werden sicher offen bleiben, manches läßt sich aber vielleicht auch (er-)klären ... Vielleicht hilft Dir die Frau Deines Vaters ... schreib' ihr / ruf' sie an ...

Dass Dein Vater weiterhin geraucht hat - kann ich sogar ein Stück weit verstehen. Warum denn aufhören, wenn das Ruder nicht mehr herumzureißen ist? Warum auf das verzichten, was man selber letztlich noch als Genuss empfindet? Wenn er Dich gefragt hätte, Du das Ausmaß der Erkrankung gekannt hättest - hättest Du es ihm verboten? Vielleicht hättest Du auch gesagt: okay ... laß' sie dir schmecken.

Was ich für Dich aber schön finde: Du hast die Gelegenheit gehabt, wieder Kontakt zu Deinem Vater zu haben und Du schreibst, er hätte eine liebe Frau an seiner Seite gehabt. Die Dinge lassen sich nun nicht mehr ändern, man kann das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen. Vielleicht hätte sich Dein Vater auch noch viel mehr Zeit mit Dir/für Dich und Deine Tochter gewünscht.

Dein Vater wird am Samstag beerdigt - ohne Dich. Du kannst es nicht "unwahr" machen, indem Du die Augen zumachst. Und vielleicht kommt eines Tages der Tag, an dem es Dir leid tut, ihm nicht ein letztes Mal "Auf Wiedersehen" gesagt zu haben ... Ich weiß: leicht dahingeschrieben. Aber einen Abschied gibt's nur einmal ...

Nochmal mein Mitgefühl für Dich und sei still gegrüßt von "wasser13"
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  #4  
Alt 04.07.2011, 20:44
tinowuff tinowuff ist offline
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Registriert seit: 03.07.2011
Ort: Schwarzwald
Beiträge: 2
Standard AW: Ich fühle mich allein gelassen

Danke für eure Zeilen.
Alaska, das Gedicht spiegelt genau meine Gedanken wider.
Wasser13 und Tochtermama, heute war ich beim Psychiater. Also die Medikamente soll ich weiter nehmen. Bin auch schon etwas ruhiger geworden, aber meine Lebenseinstellung und meine Reaktionen zeigen keine Veränderung. Morgen gehe ich das erste Mal zur Verhaltenstherapie. Da setzt ich meine ganze Hoffnung drauf. Heute war es schon anstrengend, da wird es morgen wohl noch intensiver. Vielleicht hat hier jemand Erfahrung damit und könnte mal etwas darüber berichten.
Das ich zu Birgit, die Frau von meinem Vater, oder zur Beerdigung fahre, soweit bin ich noch lange nicht. Das geht nicht von heute auf morgen.
Das mit der Raucherei von meinem Vater ist ja nur so schlimm, weil er ja wochenlang schon nicht geraucht hatte und allen gesagt hatte, dass er nie wieder rauchen wird. Er ist so froh drüber. Und dann fängt er wieder an.
Meine Mutter hat bis fast zum Schluss geraucht. Sie hat gesagt, was habe ich denn sonst noch vom Leben. Das ist zwar ein trauriger Satz, aber ich habe das akzeptiert.
Es ist schön, dass es Menschen wie euch gibt.
Eure Tinowuff
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  #5  
Alt 05.07.2011, 14:32
Benutzerbild von Wetterhexe
Wetterhexe Wetterhexe ist offline
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Registriert seit: 11.09.2008
Ort: Stuttgart
Beiträge: 142
Standard AW: Ich fühle mich allein gelassen

Liebe Tinowuff,

ich kann Dich gut verstehen, ich war selbst in einer ähnlichen Situation...
Ich hatte meinen Paps über 12 Jahre nicht gesehen und auch keinen Kontakt zu ihm gehabt, ich muss gesehen, ich hatte auch nie großen Wert darauf gelegt, die Scheidung meiner Eltern hat doch schon viele unliebsame Erinnerungen hinterlassen....
Aber ich kann Dir nur eines sagen, ich hatte noch ein halbes Jahr mit meinem Paps, das ich so gut genützt habe wie es ging, und ich bin froh darüber!!!!
Ich kenne das Gefühl einfach alle sbeiseite schieben zu wollen, es zu vergessen, aber das hat mir selbst nichts gebracht, im Gegenteil, es holt einen immer wieder ein.....
Ich bin froh das ich mich von meinem Paps verabschiedne konnte. Meinem Bruder ging es ähnlich wie Dir, er weigerte sich mit auf die Aussegnung (mein Paps wollte verbrannt werden) zu gehen, heute bereut er es, sehr sogar!!!
Ich will nicht von meinem Bruder auf Dich schließen, aber du schreibst ja das du auch versuchst das Geschehene mit deiner Mama zu verdrängen, und wie es scheint gelingt es Dir nicht.
Es ist schwer loszulassen, und Trauer ist ein so starkes Gefühl, aber so stark es ist, so sicher ist es auch, dass du Dich dem ganzen stellen musst, sonst kommst du nie ganz zur Ruhe.
Es gibt Tage, an denen geht es mir besser, aber dann kommen auch wieder Tage, an denen geht es mir wirklich bescheiden, auch heute noch, und das ist ganz normal....
Mir hilft es an solchen Tagen immer wenn ich meim Paps ein paar Zeilen schreibe, manchmal hier im KK, manchmal auf Papier, die zünde ich dann an, oder hab sie auch schon mit zu ihm genommen wenn ich ihn besucht habe.
Jeder findet seinen ganz eigenen Weg mit seiner Trauer umzugehen, und ich bin mir sicher, auch du wirst einen finden......

Alles Liebe
Wetterhexe
__________________
Mein lieber Paps
31.08.1955 bis 03.03.09

Unser neuer gemeinsamer Lebensweg ging viel zu schnell zu Ende.
Ich vermisse Dich
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