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Alt 04.09.2006, 01:04
effekt effekt ist offline
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Registriert seit: 03.09.2006
Beiträge: 9
Standard Wenn alle Quellen versiegen..

Hallo,

Ich bin durch Zufall heute auf dieses Forum gestossen und habe bislang noch nie irgendeine Moeglichkeit genutzt mich mitzuteilen. Es gibt nur eine Hand voll Menschen die den vollen Umfang meiner Verluste kennen. Das aendert sich jetzt wohl.

Zwischen 1993 und 1997 habe ich meine Mutter und meinen Vater (ich war 10 und 13) indirekt und direkt an Krebs verloren.

Meine Mutter hatte neben AIDS (dem sie mit Selbstmord im Krankenhaus, als sie im Endstadium dort lag voraus kam) einen Gehirntumor der sie gerichtet haette, waere der HI-Virus nicht schneller gewesen. Sie wurde 33 Jahre alt.

Mein Vater hatte mehrere Jahre Gehirntumore und Operationen hinter sich gebracht bis er dem Glioblastoma Multiforme letztendlich erlag, nachdem man ihm grosse Teile seines Gehirns (unter anderem das Sprachzentrum) heraus operiert hatte. Er wurde 49 Jahre alt.

Viel mehr ueber den Tod der beiden weiss ich nicht da ich bereits zu beginn der Krankheit meines Vaters komplett abgeschaltet habe -- ich habe ihn allein gelassen, er hatte sehr oft epileptische Anfaelle, allein, zuhause, weil ich unterwegs war und mich mit Drogen und Nonsense abgelenkt habe.

Da meine Eltern lange geschieden waren verlief die Krankheit meiner Mutter komplett ohne mich, bis ich an ihrem Todestag erfuhr das sie gestorben ist.

Es hat Jahre gedauert bis der Schmerz eingesetzt hat - zum Tod meiner Mutter habe ich keine einzige Traene geweint, kein einziges Wort darueber verloren. Ihre Urne wurde abgeholt ohne das ich sie je wieder gesehen habe und ueber einem See in den USA verstreut, von ihrer Mutter. Der Tod meines Vaters, nachdem ich ihn Monate lang nicht mehr besucht hatte, hat mir ebenfalls nur kurz ein paar Traenen entlockt.

Mein Vater war trotz vieler Verfehlungen in den fruehen Jahren zu einem unfassbar starken Mann geworden. Er war ein gigantisches Vorbild und heute teile ich nicht nur seinen Musikgeschmack, seinen Stil und seinen Bartwuchs sondern all seine Ueberzeugungen und Ideale die mir bewusst mitgegeben wurden.

All die Jahre an die ich mich bewusst erinnere, war er eine Ikone der Staerke fuer mich und meinen Bruder. Zu der Zeit, jung wie ich war, habe ich das nicht realisiert. Dafuer realisiere ich das heute um so mehr und gerade deshalb schmerzt es so stark das er jetzt nicht da sein kann. Das er nicht zu mir aufsehen kann (ich war bereits mit 12 fast so gross wie er - 1.79m), mich nicht umarmen kann und mir nicht sagen kann wie stolz er auf mich ist.

Trotz aller Fehler sind aus diesen beiden Menschen zwei unfassbar grosse (sowohl koerperlich als auch in allen anderen Aspekten) Brueder entstanden, die Ideale wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Guete und Loyalitaet ueber alles andere erheben allein weil es die Grundwerte waren die unser Vater uns geschafft hat zu vermitteln.

So spreche ich, aufrecht stehend mit ueber 1.90m Koerpergroesse, erhobenem Haupt und stolz geschwelter Brust ueber meinen Vater, mich und meinen Bruder (2 Jahre juenger als ich), in der Regel.

Doch der Schmerz ist zu gross und er wird mit jedem Tag der vergeht mehr. Nachdem mich heute meine Freundin abermals verlassen hat, verlangen mein Verstand und mein Herz nach einer Rechtfertigung fuer weitere Existenz. Sie hatte es geschafft als meine erste, groesste und bislang einzige Liebe der einzige Mensch zu werden der mir den Schmerz wirklich nehmen konnte -- nun wird sie mich verlassen, der Schmerz wird wiederkehren und noch angefacht durch den akkuten Verlust.

Trotz allem Schmerz ist paradoxerweise der Gedanke an meinen Vater und die Hoffnung daran ihn gluecklich und vor allem stolz zu machen womoeglich der festeste Anker den ich in dieser Welt habe. Selbstmord waere feige und erbaermlich - alles wofuer er gekaempft hat, seine Opfer fuer mich waeren dann wertlos gewesen.

Da ich aber nicht an Gott glaube, glaube ich eben so wenig an ein "Leben nach dem Tod" - er existiert nicht mehr, er wird nie wieder stolz auf mich sein koennen. Niemals wieder wird er hinter mir stehen und bewundern was ich tue. Niemals wieder wird mich ein Mensch "grosser" nennen, da ich es von nun an im Gedenken an ihn jedem verbiete der es versucht. Niemals wieder werde ich das Gefuehl voelliger Erfuellung und Waerme haben allein durch den Blick eines Menschens, allein durch die blose Anwesenheit.

..bleibt nur Hass und Zerstoerung als Antrieb

So schliesse ich an den Titel an: Wenn alle Quellen des guten versiegen, wenn alles das Bedeutung hatte verstorben oder gegangen ist, wenn Liebe nicht mehr der Antrieb ist dann bleibt nur Hass.

Ich bewundere jeden hier der seine Verluste "sauber" verarbeiten konnte, jeden der es geschafft hat zu reden wenn ich geschwiegen haette. Die diversen Geschichten die ich gelesen habe bevor ich mich entschlossen habe diesen Thread zu verfassen haben mir ueber eine Stunde lang Traenen in die Augen getrieben, so stark das es mir schwer fiel zu lesen. Ich wuensche niemandem, keinem von euch, die Sackgasse in der ich stehe. Verzweiflung und Hass moegen der beste Antrieb und Ausweg sein, helfen aber nicht ueber den endlosen Schmerz hinweg oder verstaerken ihn sogar.

Verarbeitet eure Verluste und greift jede Hand die man euch reicht. In solchen Zeiten wird auch recht schnell deutlich wer sich wirklich etwas aus euch macht und wer nicht - man kann einmal ordentlich aussortieren.

Und wenn euch sonst nichts haelt, niemand zur Hilfe eilt oder versteht denkt daran das wer auch immer es ist den ihr verloren habt Hoffnungen und Traeume hatte, Ideen und Kraft in euch investiert hat. Nichts davon darf verloren gehen, oder vergessen werden. Wenn es auch offensichtlich keinen anderen Sinn in unserer Existenz gibt, kein groesseres Ziel, keine Perspektive, duerfen wir die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Wenn ihr es nicht schafft fuer euch selbst aufzustehen und zu kaempfen, dann kaempft fuer das was man euch ueberlassen hat. Tragt die Ideale und Vorstellungen eurer Eltern, Partner oder Geschwister weiter -- nur so werden sie ewig leben. Nicht Gott, Alah oder irgendein mystisches Wesen garantieren das "Leben nach dem Tod" -- ihr tut es.

Uebrigens habe ich das Gesicht meines Vaters, als nordischen Krieger dargestellt, auf meinem rechten Arm taettowiert (ca. 15x20 cm gross). Das war das mindeste das ich tun konnte um ihn fuer mich ein Stueck weit am Leben zu halten. Vielleicht animiert das andere ja, anstatt das Angesicht der Geliebten im Schrank neben den Urlaubsfotos verstauben zu lassen, auch etwas aehnliches zu tun.

Waehrend ich das hier geschrieben habe hat sich meine Stimmung auch mehrfach gewandelt - ich bin jetzt wieder relativ ruhig und wische mir die Liter traenen aus den Augen. Auch wenn mein Thread nur das erreicht hat, war es schon nicht sinnlos ihn zu schreiben.

Ich liebe euch beide, bis alles Leben endet, bis die Sonne fuer immer untergeht, bis in alle Ewigkeit. Niemand wird mich oder Siegfried zerstoeren, niemand wird es je schaffen uns zu schaden. Wir beide tragen euch in uns, durch uns werdet ihr leben und durch unsere Kinder sollt ihr niemals in Vergessenheit geraten.

Wahre Glorie findet man nur im ehrenvollen Tod. Wir sehen euch in den goldenen Hallen.
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Geändert von effekt (04.09.2006 um 01:08 Uhr)
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